GEAS-Reform: Der Anti-Asyl-Pakt erreicht die Schweiz

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Der Anti-Asyl-Pakt erreicht die Schweiz.

In der Juni-Ausgabe des Sosf-Bulletins haben wir ausführlich über den Migrations- und Asylpakt der EU berichtet. Inzwischen ist diese hochumstrittene Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) auch in der Schweiz angekommen. Mitte August eröffnete der Bundesrat die Vernehmlassung für insgesamt vier Bundesbeschlüsse, mit denen er die für die Schweiz relevanten Teile des Pakts ins Schweizer Recht überführen will.


Der erläuternde Bericht zur Vernehmlassung zeigt nun auf, warum es sich bei der Reform um nichts anderes als um einen Anti-Asyl-Pakt handelt: Fluchtbewegungen nach Europa sollen mit aller Macht verringert, Weiterreisen innerhalb Europas verhindert und (Dublin-)Ausschaffungen beschleunigt werden. So wird der Zugang zum individuellen Recht auf Asyl in Europa praktisch abgeschafft.

 

Dublin im Fokus
Für die Schweiz stellt der Anti-Asyl-Pakt vor allem eine massive Verschärfung der Dublin-Regelungen dar, mit Hilfe derer die Schweiz Asylsuchende wieder loswerden kann, ohne ihre Schutzbedürftigkeit überhaupt zu prüfen. Diverse Fristen des Dublin-Rechts werden zu Ungunsten der Geflüchteten angepasst und neu sind selbst unbegleitete minderjährige Asylsuchende von Dublin-Ausschaffungen bedroht.

 

Wird eine Person mit Dublin-Nichteintretensentscheid zudem krank und ist daher nicht ausschaffungsfähig, verlängert sich die Frist, in der die Schweiz nicht auf ihr Gesuch eintreten muss, neu von sechs Monaten auf drei Jahre. Drei Jahre, in denen ihre Asylgründe nicht geprüft werden, drei Jahre in der Nothilfe, ohne Rechtsstatus und Integrationsaussichten, drei Jahre in ständiger Angst vor einer Ausschaffung, die die Schweiz bekanntlich besonders rigoros durchführt. Kurz: drei verlorene Jahre.

 

Der Bundesrat lobt diese Verschärfungen als Effizienzsteigerungen des Dublin-Systems und stellt marginale Erleichterungen (z.B. eine Verkürzung der Dublin-Haft von sechs auf fünf Wochen, die obendrein mit einer Ausweitung der Haftgründe einhergeht) als Verbesserungen des Flüchtlingsschutzes dar.

 

Fadenscheinige Solidarität

Selbst dem Bundesrat scheint jedoch bewusst zu sein, dass mit dem Pakt an den EU-Aussengrenzen massive Grundrechtsverletzungen drohen und ein Scheitern der Grenzverfahren zu einem Zusammenbruch des gesamten europäischen Abschottungssystems führen könnte. Als fadenscheiniges Zugeständnis an die Kritiker:innen schlägt er deshalb vor, dass sich die Schweiz freiwillig und punktuell am neuen Solidaritätsmechanismus der EU beteiligen könnte.


Mit diesem Mechanismus sollen Asylsuchende aus den Aussengrenz-Staaten auf andere Dublin-Staaten verteilt werden – es sei denn, letztere kaufen sich von der Übernahme frei. Ohnehin ist dieser Mechanismus nur für 30 000 Personen pro Jahr angedacht – angesichts von EU-weit einer halben bis einer Million Asylgesuchen pro Jahr (d.h. 0.2% der EU-Bevölkerung) nichts als ein Tropfen auf den heissen Stein. Gemäss des Verteilschlüssels der EU müsste die Schweiz aufgrund ihrer Bevölkerungsgrösse und ihres Bruttoinlandsprodukts von diesen 30 000 Personen übrigens nur ca. 3.5% übernehmen, was gut 1000 Asylsuchenden oder Zahlungen in Höhe von 21 Millionen Euro entspräche.

 

Eine freiwillige Übernahme der einzigen GEAS-Verordnung, die für Geflüchtete in der Schweiz tatsächlich eine Verbesserung darstellen würde, zieht der Bundesrat hingegen nicht in Betracht: die Übernahme der Qualifikationsverordnung, die in der EU den Status des «subsidiären Schutzes» begründet und eine deutlich bessere Rechtsposition mit sich bringt als das Schweizer Pendant der «vorläufigen Aufnahme».

 

Dieser Text erschien zuerst im Sosf-Bulletin Nr. 3/2024.

 

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