EU-Asylpolitik: Der lange Weg zur GEAS-Reform

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CCAC Samos (© Nik Oiko, 2021)

Es hängt von der Perspektive auf die europäische Migrations- und Asylpolitik ab, ob im April 2024 eine epochale Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) beschlossen wurde, oder ob die Einigung von Rat und Parlament bloss ein weiterer Schritt in der langen und an Auseinandersetzungen reichen Geschichte der europäischen Migrationspolitik war.


Im September 2020, nach dem Brand des Asylzentrums Moria auf der griechischen Insel Lesbos, stellte die EU-Kommission ihr Reformvorhaben für das europäische Asylsystem vor. Der sogenannte «Neue Pakt für Migration und Asyl» zielte auf eine fundamentale Umgestaltung des GEAS ab. Die Reform blieb viele Jahre lang im Rat der EU liegen. Die dort vertretenen Mitgliedstaaten konnten sich schlicht nicht einigen, ob die Reform geeignet sei, schutzsuchende Personen tatsächlich von Europa fernzuhalten.


Erst als das EU-Parlament die Reform im Frühjahr 2023 im Grundsatz billigte, nahm auch der Rat eine Position an – und ging dabei weit über die Vorschläge der Kommission hinaus. Im Dezember 2023 kam es dann zum Abschluss des Trilog-Verfahrens, bei dem sich der Rat grösstenteils gegen das moderatere Parlament durchsetzen konnte.

 

Ein Rechtsrahmen für ganz Europa

Doch die GEAS-Reform hat eine noch längere Vorgeschichte. Das GEAS wurde Anfang der 2000er Jahre mit der Absicht begründet, ein vereinheitlichtes asylrechtliches Regelwerk für alle EU-Mitgliedstaaten zu etablieren. Erklärtes Ziel war es, Schutzsuchenden EU-weit ein Mindestmass an Rechten zu garantieren. Gleichzeitig stützte sich das GEAS von Anfang an auf die spalterische Logik der Dublin-Verordnung, die die Staaten entlang der Aussengrenzen für einen Grossteil der Asylgesuche verantwortlich macht.


Ab dem Jahr 2010 wurde schnell klar, dass die geopolitischen Verwerfungen in Folge der globalen Finanzkrise auch zu neuen Fluchtbewegungen führen würden. Versuche, die europäische Migrationspolitik anzupassen, scheiterten an den Interessensgegensätzen zwischen den Mitgliedstaaten. Der Sommer der Migration, die Fluchtbewegungen in den Jahren 2015/16, dokumentierte dieses Scheitern auf eindrückliche Weise: Die Asyl- und Aufnahmeinfrastrukturen der EU hatten nicht Schritt gehalten mit den neuen Parametern der Welt, und das Dublin-Regime kollabierte angesichts von mehr als einer Million Neuankömmlingen innerhalb eines Jahres.

 

Reform unter Druck von rechts
Ein erster GEAS-Reformversuch, den die Kommission 2016 als direkte Reaktion auf den Sommer der Migration 2015 angestossen hatte, fand unter den EU-Mitgliedstaaten keine Zustimmung. Gleichzeitig erlebte die populistische und extreme Rechte in Europa einen massiven Aufschwung. Ihre Forderung nach einer Total-Abschottung des Kontinents erzeugte den Druck, unter dem die gegenwärtige Reform schliesslich doch zu Stande kam. 


Dieser Druck von rechts ist auch in den Beschlüssen vom April 2024 ablesbar. Zentrales Element der Reform ist die Möglichkeit, schutzsuchende Personen mit Screening- und Grenzverfahren grenznah festzusetzen und ihnen die Einreise zu verwehren. Die Reform schafft erneut kein echtes Solidarsystem, auch weiterhin können sich Staaten ihrer Verpflichtung zum Flüchtlingsschutz entziehen. Besonders fatal sind jedoch die weitreichenden Möglichkeiten, dass Mitgliedstaaten im Fall von Krisen selbst von den nun noch niedrigeren Mindeststandards abweichen können.


Damit ist die Idee eines gemeinsamen europäischen Asylsystems, das die Mitgliedstaaten in die Verantwortung nimmt und Flüchtlingsschutz in solidarischer Manier für den ganzen Kontinent organisiert, in weite Ferne gerückt. Für die Zukunft des europäischen Projekts sind das denkbar schlechte Vorzeichen.

 

Dieser Text erschien zuerst im Sosf-Bulletin Nr. 2/2024. 

 

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