EURODAC: Vom simplen Fingerabdruck-Speicher zum vernetzten Informationssystem

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CCAC Samos (© Nik Oiko, 2021)

EURODAC, die älteste biometrische Datenbank der EU, ist der versteckte Maschinenraum des Dublin-Systems. Während von aussen Nichteintretensentscheide, gerade noch eingehaltene Überstellungsfristen und gewaltsame Rückschiebungen sichtbar werden, haben Algorithmen im Hintergrund schon Fingerabdrücke gescannt, Datensätze verglichen und schicksalshafte Treffer produziert. Ein Eintrag in EURODAC bedeutet: «Wir prüfen Ihr Asylgesuch gar nicht erst, sondern schicken Sie umgehend in das Land zurück, in dem Sie als erstes registriert wurden». Trotz ihrer unbestrittenen Wirkmächtigkeit ist die Datenbank bis heute ein äusserst simples System. Sie speichert Fingerabdrücke von Asylsuchenden und gibt Auskunft darüber, ob es für neu erfasste Datensätze bereits eine Übereinstimmung gibt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.


Stichwort Interoperabilität
All das wird sich im Zuge der GEAS-Reform ändern. Zu limitiert kam EURODAC den Verfechter:innen eines digitalisierten Grenzschutzes wohl vor, und zu verlockend waren die technischen Fortschritte, die seit Inbetriebnahme der Datenbank in den 1990er Jahren entwickelt wurden. EURODAC wird nun zu einem umfassend vernetzten Informationssystem ausgebaut, in dem neben Fingerabdrücken auch Gesichtsbilder und Ausweiskopien, sämtliche Asylentscheide und Rückführungsbeschlüsse sowie erstmals auch alle verfügbaren Personendaten aller Geflüchteten ab sechs Jahren gespeichert werden.


Vernetzt wird das System insofern sein, als dass die Asyl-Behörden EURODAC nicht mehr nur isoliert abfragen können, sondern mit einem Klick gleich auch Auszüge aus allen anderen Migrations- und Sicherheitssystemen der EU erhalten: vom Schengener Informationssystem SIS, über das Visa-Informationssystem VIS bis hin zum Einreise-Ausreise-Register EES und zur neuen Datenbank für straffällige Ausländer:innen, ECRIS-TCN. Interoperabilität lautet das Gebot der Stunde, das die Schwachstellen der inzwischen als Silos wahrgenommenen Einzelsysteme überwinden soll. Hierzu werden alle Daten in einen grossen Topf geworfen (das zentrale Identitätsregister CIR). Dieser hält die verschiedenen Systeme zwar logisch getrennt, gibt bei einer Übereinstimmung aber dennoch Auskunft darüber, ob Geflüchtete schon einmal ein Visum überzogen oder einen Eintrag in einem Strafregister bekommen haben.


Fatale Konsequenzen
Doch dieses Ausreizen des technisch Machbaren ist nur eine Seite des EURODAC-Upgrades. Die Kehrseite zeigt sich bei einem Blick auf die zukünftige Nutzung. Dann sieht man eine Vielzahl von Änderungen, die einzig darauf abzielen, widerständige Praktiken von Geflüchteten zu vereiteln. Die Fingerkuppen verletzten, um einen EURODAC-Treffer zu vermeiden? Zwecklos, wenn auch ein Gesichtsbild gespeichert wurde. Den eigenen Pass verschwinden lassen, um eine Ausschaffung zu verzögern? Schwierig, wenn zuvor sämtliche Reisedokumente gescannt wurden. In andere EU-Länder weiterziehen, um es unter neuem Namen noch einmal zu versuchen? Aussichtslos, wenn EURODAC alle Asylentscheide mit biometrischen und biographischen Daten verknüpft. Als Sans Papiers untertauchen? Immer riskanter, wenn Polizeistreifen auch von mobilen Lesegeräten aus auf die Datenbank zugreifen können. Unschuldig ins Visier der Justiz geraten, weil an einem Tatort eine nicht identifizierbare Fingerabdruckspur gefunden wurde? Das, hingegen, wird für Geflüchtete in Zukunft immer wahrscheinlicher.
 


In Kürze: EURODAC-Verordnung
Die weitreichenden Folgen der EURODAC-Reform sind in der Schweiz noch am wenigsten bekannt. Die massiv ausbaute Datenbank stellt weiterhin das Funktionieren des Dublin-Regimes sicher, sie wird als umfassendes Asyl-Informationssystem aber auch im Screening-Prozess eingesetzt und speichert in Zukunft sämtliche Asylentscheide ebenso wie die persönlichen Daten aller Asylsuchenden. Durch ihre Verknüpfung mit den anderen Migrations- und Sicherheitsdatenbanken der EU wird sie zudem weit über den Asylbereich hinaus eingesetzt werden.

 

Dieser Text erschien zuerst im Sosf-Bulletin Nr. 2/2024.

 

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