Ausschaffungen (auch Wegweisungen genannt) sind die hässliche Kehrseite der restriktiven Schweizer Asyl- und Migrationspolitik. Sosf stellt sich grundsätzlich gegen jegliche Form von Ausschaffungen, insbesondere gegen solche unter Zwang. Anno 2004, anlässlich der Vernehmlassung zum damaligen Entwurf des Zwangsanwendungsgesetzes, hielten wir fest:
«Wenn der Vollzug einer Wegweisung nur noch möglich ist, wenn die betroffene Person uninformiert und unvorbereitet bei Nacht und Nebel ergriffen, unter Einsatz von oder unter Drohung mit Waffen in ein Flugzeug geschafft wird und dort während eines stundenlangen Flugs gefesselt und in Windeln verpackt ist, dann ist die Grenze der Verhältnismässigkeit längstens überschritten. Die Europaratsempfehlungen 1547 müssen Beachtung finden, auf ein solches Prozedere ist grundsätzlich zu verzichten. Es ist nicht nur für die auszuschaffende Person, sondern auch für die vollziehenden Beamten entwürdigend.»
Diese Art von Ausschaffung wird auf behördlicher Seite «Zwangssausschaffung», Sonderflug oder Level-IV Ausschaffung genannt. Doch die Frage stellt sich:
Wo beginnt der Zwang?
Wer sich ohne gültigen Aufenthaltsstatus (abgewiesene Asylsuchende und Sans-Papiers) in der Schweiz aufhält, muss die Schweiz verlassen. Wenn der Vollzug einer Wegweisung zulässig, zumutbar und durchführbar ist, ordnet das Bundesamt für Migration die Wegweisung aus der Schweiz an. Hierbei wird auf behördlicher Ebene zwischen selbständiger und unfreiwilliger Ausreise unterschieden. Die selbständige Ausreise wird mitunter durch eine Rückkehrberatung und Rückkehrhilfe unterstützt, jedoch haben per Gesetz nicht alle Anspruch darauf. Jenseits einer selbständigen Rückkehr kommt die Unfreiwilligkeit zum Zug, dabei werden eine polizeiliche Rückführung und allenfalls Zwangsmassnahmen angeordnet. Voraussetzungen für solch zwangsweise Rückführungen sind gegeben wenn:
- sich die ausreisepflichtige Person nicht kooperativ verhält
- ihre Mitwirkungspflicht verletzt und durch ihr Verhalten die so genannte freiwillige Ausreise verunmöglicht
- die ausreisepflichtige Person die angesetzte Ausreisefrist verstreichen lässt
- Anzeichen für Untertauchen oder Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vorliegen
Eine polizeiliche Rückführung ist fast immer von Zwangsmassnahmen begleitet, die in einer Form von Administrativhaft angewandt werden. Vorbereitungs-, Ausschaffungs- und Durchsetzungshaft sind die drei Formen der Administrativhaft und eigentlich das letzte Mittel, um den Vollzug der Wegweisung sicherzustellen.
- Ausschaffungshaft
Zur Sicherstellung des Vollzuges kann die betroffene Person in Ausschaffungshaft versetzt werden. Die Ausschaffungshaft kann auch im Anschluss an die Vorbereitungshaft erfolgen. - Vorbereitungshaft
Ausländische Staatsangehörige ohne Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung können während der Dauer des Entscheidverfahrens über ihre Weg- oder Ausweisung in Vorbereitungshaft versetzt werden. Diese dauert maximal sechs Monate. - Durchsetzungshaft
Mit der Anordnung von Durchsetzungshaft soll eine zur Ausreise verpflichtete Person zur Mitwirkung bei der Weg- oder Ausweisung bewegt werden.
Diese Massnahmen sind vom Strafvollzug, welcher ein Gerichtsurteil voraussetzt, klar abzugrenzen. Zwangsmassnahmen werden von den kantonalen Migrationsbehörden verfügt, müssen jedoch durch eine richterliche Behörde innerhalb von 96 Stunden auf deren Rechtmässigkeit und Angemessenheit überprüft werden. Innerhalb dieses Prozederes existieren zudem verschiedene Ausschaffungslevels, die sich wie folgt aufschlüsseln lassen:
- Level I
Die sich illegal in der Schweiz aufhaltende Person, welche die Schweiz nicht freiwillig verlässt, wird durch die Polizei bis zum Flugzeug begleitet. Die Rückreise erfolgt ohne Fesselung und ohne polizeiliche Begleitung. (Verweigerung stets möglich!) - Level II
Nur wenn sich die rückzuführende Person derart widersetzt, dass eine solche Rückführung nicht möglich ist, wird sie gefesselt und von zwei Polizisten begleitet mit einem gewöhnlichen Linienflug zurückgeführt. (Verweigerung stets möglich!) - Level IV
Wenn die rückzuführende Person so renitent ist, dass auch diese Form der Rückführung nicht möglich ist, wird sie in einem Sonderflug mit einer verstärkten Fesselung zurückgeführt.
Quelle: augenauf
In den letzten Jahren starben auf Level-IV-Sonderflügen mehrere Personen. Solidarité sans frontières engagiert sich konsequent für die Abschaffung von Level-IV-Zwangsausschaffungen.
Links
- Dokumentation von augenauf zu Todesfällen auf Level-IV-Sonderflügen
- Vol spécial: Website zum gleichnamigen Film von Fernand Melgar, mit weiteren Informationen zum Thema Zwangsausschaffungen.
- Position von Amnesty International Schweiz
- Position des Vereins Ethik und Medizin Schweiz
- Video: Rekonstruktion einer Level-IV-Ausschaffung
Gesammelte Beiträge
- Arztkommission will Praxis der Zwangsausschaffungen ändern - Tagesanzeiger, 20 11.2013
- Menschenrechtliche Schranken bei Zwangsausschaffungen: Gutachten zuhanden der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) - 1.6.2012
- Offener Brief an den Bundesrat und Aufruf zu einer Manifestation der Trauer
- NIE WIEDER ! DEMONSTRATION IN BERN - 27.3.2010
- Wieviele Tote braucht es noch? Verzicht auf Zwangsausschaffungen!
- Medienmitteilung augenauf zum Tod eines Nigerianers
- UN Menschenrechtsausschuss kritisiert 2009 fehlende unabhängige Beobachter bei Zwangsausschaffungen
- EU Rückführungsrichtlinie für Mindeststandarts bei Ausschaffungen
- Lieber kein Zwangsanwendungsgesetz als eines mit "Taser"