Erleichterte Einbürgerung für die AusländerInnen der dritten Generation
Die Initiative „Die Schweiz muss ihre Kinder anerkennen“
Das Parlament hat einer Verfassungsänderung und einem Ausführungsgesetz zur erleichterten Einbürgerung von AusländerInnen der dritten Generation zugestimmt. Worüber genau wird am 12. Februar abgestimmt?
Ada Marra: Wir werden über die Verfassungsänderung abstimmen, nicht über das Ausführungsgesetz. Genaugenommen geht es um einen Zusatz in Art. 38 der Bundesverfassung in dem Sinn, dass die Eidgenossenschaft die Einbürgerung von AusländerInnen der dritten Generation erleichtert. Ich möchte betonen, dass es sich dabei nicht um eine automatische Einbürgerung handelt, wie das die wenigen GegnerInnen der Vorlage im Parlament behaupten. Bei den Debatten über die von mir eingereichte Initiative haben die Räte eine ganze Reihe von Sicherungen eingebaut und jene Begriffe gestrichen, die möglicherweise ein ius soli suggerieren könnten. Ius soli würde bedeuten, dass eine Person die Nationalität jenes Staates erhält, auf dessen Boden sie geboren ist. Es ist also ganz eindeutig, worüber abgestimmt wird: Es geht darum, die Einbürgerung zu erleichtern, nicht sie automatisch zu erteilen.
Welche Personen wurde diese Änderung betreffen?
Diese Änderung würde in erster Linie die EnkelInnen der ersten Generation der MigrantInnen betreffen. Das heisst in erster Linie ItalienerInnen, SpanierInnen und PortugiesInnen. Die Kinder aus Ex-Jugoslawien werden weniger in Frage kommen, da sie meistens der zweiten Generation angehören, die sich bereits eingebürgern liess.
Warum haben AusländerInnen der dritten Generation noch keinen Schweizer Pass? Welches sind die Hinderungsgründe?
Da sind mehrere Faktoren zusammen gekommen. Die erste Schwierigkeit liegt klar bei den administrativen Hürden. In der Romandie gibt es bereits erleichterte Einbürgerungen, in der Deutschschweiz ist es viel komplizierter. Das Verfahren führt zu nicht unbeträchtlichen Kosten für die GesuchstellerInnen, was natürlich schon mal ein Hindernis ist. Aber die Schwierigkeiten liegen auch ganz einfach im administrativen Prozess an sich. Schliesslich dürfte bei manchen ein psychologischer Aspekt eine Rolle spielen. Viele Junge, die hier die Schulen durchlaufen haben, die nur noch eine gewissermassen mythische Verbindung zum Land ihrer Vorfahren haben, fragen sich, warum sie überhaupt um die Nationalität nachsuchen sollen, da sie ja nichts von ihren Schulkameraden unterscheidet. Im Sinn von: «Man sollte mir die Staatsbürgerschaft doch einfach geben, warum sollte ich sie verlangen müssen»? Gut möglich, dass es einen solchen Reflex gibt.
Am 12. Februar stimmen wir nur über den Verfassungsgrundsatz der erleichterten Einbürgerung ab. Wie wird dieser Grundsatz im Ausführungsgesetz aber konkretisiert?
Es gibt zwei grundsätzliche Änderungen in diesem Gesetz, das vom Parlament bereits angenommen worden ist. Erstens gibt es einen Paradigmenwechsel im Sinn einer Umkehr der Beweislast bezüglich der Integration. Heute müssen GesuchstellerInnen beweisen, dass sie integriert sind. Das bedeutet Tests, Nachforschungen, Gebühren etc. Mit dem neuen Gesetz wird es gerade umgekehrt sein. In Zukunft wird man de facto davon ausgehen, dass eine Person der dritten Generation integriert ist, dass sie den Einbürgerungskriterien entspricht. Wenn ein Zweifel besteht, können sich Gemeinde und Kanton der Einbürgerung widersetzen, es ist dann aber an ihnen zu beweisen, dass die Person nicht integriert ist. Das ist ein völliger Wechsel der Perspektive. Der zweite sehr wichtige Punkt ist die Harmonisierung der Erleichterung. Sie wird überall in der Schweiz gleich angewandt werden. Wobei man noch einmal deutlich sagen muss, dass die Zuständigkeit der Gemeinden und Kantone nicht völlig verlorengeht, sie können ja immer noch Einspruch erheben, wenn sie der Auffassung sind, die Person sei nicht genügend integriert.
Könnte diese Harmonisierung zu Rückschritten in gewissen Kantonen führen, die die erleichterte Einbürgerung bereits eingeführt haben?
Nein. All jene, die bereits ein erleichtertes Verfahren haben, werden dieses beibehalten. Die, die nichts haben, werden die Minimalstandards des neuen Gesetzes anwenden müssen. Und jene Kantone, die bereits ein erleichtertes Verfahren für die zweite Generation kennen, können weiterfahren wie bisher.
Im Parlament gab es ausser vereinzelten Stimmen aus dem rechtsbürgerlichen Lager nur die SVP, die sich geschlossen gegen das Projekt wandte. Wie zeichnen sich die Fronten im Hinblick auf die Abstimmungskampagne ab?
Für mich ist das eine Sache, die nichts mit rechts und links zu tun hat, sondern mit dem gesunden Menschenverstand. Man darf nicht vergessen, dass diese Initiative wirklich keine Revolution bedeutet! In der Schweiz leben zwei Millionen AusländerInnen – und mit diesem Gesetz würden pro Jahr ungefähr 5 000 Person zusätzlich eingebürgert. Es geht also wirklich nicht darum, den Schweizer Pass zu «verramschen», wie das die SVP behauptet. Diese Änderung würde nicht die Welt verändern, aber sie wäre symbolisch sehr wichtig für die betroffenen jungen Leute. Wenn sie früh einen Schweizer Pass erhalten, spüren sie, dass sie «zur Familie gehören», dass sie Teil einer Gemeinschaft sind. Es ist politisch ganz wichtig, diese Abstimmung zu gewinnen. Heute gibt es in Europa und in der Schweiz einen sehr harten Diskurs über Migration, wobei alles vermischt wird. Die Diskussion über unser Thema hilft auch mit, das Thema mit etwas Vernunft anzugehen. Die Leute müssen verstehen, dass die AusländerInnen der dritten Generation – egal, ob sie nun lieb oder böse, gut oder schlecht sind, für die SP oder die SVP stimmen – ganz einfach aus der Mitte unserer Gesellschaft stammen.
2004 hat das Volk die automatische Einbürgerung abgelehnt. Warum haben einige Mühe mit der Idee, den Zugang zur Staatsangehörigkeit zu erleichtern?
Weil wir in der Schweiz immer noch in einem Mythos davon leben, was die Schweiz ausmacht. Die Realität sagt uns, dass schweizerisch sein heute eine Mischung ist. Die Frage, die man sich bei dieser Abstimmung stellen muss, ist doch die, ab der wievielten Generation man schweizerisch ist. Wir glauben immer noch an den Mythos, dass echte SchweizerInnen seit sieben Generationen rein schweizerisch seien. Aber das gibt es praktisch nicht mehr! In der Tat haben wir heute in ganz Europa eine Debatte über die nationale Identität, und wir werden ihr in den Diskussionen vor dieser Abstimmung wohl nicht entgehen. Aber die meines Erachtens wirkliche Frage ist die folgende: Müsste man nicht sagen, dass die dritte Generation, die hier geboren ist, hier die Schulen besucht hat und deren Eltern schon in der Schweiz aufgewachsen sind, einfach schweizerisch ist?
Hat diese Abstimmung etwas Besonderes für die Tochter italienischer Einwanderer?
Ich gehöre zur zweiten Generation. Ich habe mich 1998 einbürgern lassen. Wenn du Kind von ImmigrantInnen bist, stellst du dir immer die Frage nach der Identität. Oft wirst du gefragt, was es bedeutet «schweizerisch» zu sein. Eigenartigerweise haben also gerade die ImmigrantInnen Kinder, weil sie sich diese Frage stellen müssen, auch die klarsten Antworten. Das sind nicht immer dieselben. Es ist bei weitem nicht so, dass alle das gleiche denken, nur weil sie ein Kind ausländischer Eltern sind. Aber es ist schon so, dass die Frage, was Nationalität eigentlich bedeutet, bei den Kindern von ImmigrantInnen einen grossen Platz einnimmt. Man sollte in der Schweiz stolz darauf sein, diese Jugend anzuerkennen. Sie ist unsere Jugend, unser Reichtum. Ein Land ohne Jugend ist ein aussterbendes Land. Es wäre wunderbar, wenn die Schweiz am 12. Februar sagen würde: Das sind unsere jungen Leute, das sind unsere Kinder.
- Autorin: Amanda Ioset.
- «Die Schweiz muss ihre Kinder anerkennen» ist im Bulletin 04/16 von Solidarité sans frontières zu finden.