Editorial, Sosf-Bulletin, 4/2023

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Titelbild, Bulletin 4/2023

Es gelte jetzt erst recht, «der diffusen Angstmacherei und der menschenverachtenden Haltung der SVP entgegenzutreten», schreibt ein Vorstandsmitglied von Solidarité sans frontières gleich nach den Wahlen vom 22. Oktober. Damit hat er recht. Die Wahlen zeigten: der rassistische Diskurs der SVP gegen Geflüchtete und Migrant:innen brachte Rechtsextreme an die Urnen. Und setzte die anderen Bürgerlichen stark unter Druck: Keine 24 Stunden später forderten FDP und Mitte eine restriktivere Asylpolitik. Es scheint wieder einmal, als hätte die SVP die parlamentarische Schweiz im Griff.

Ihre aggressive Politik führt zu einer weiteren Normalisierung von Rassismus und einem immer gewaltvoller werdenden Migrationsregime. Jene, die das am stärksten spüren: von Rassismus betroffene Personen und migrantische Gemeinschaften. Sie merken zuerst, was es bedeutet, wenn Politiker:innen sogenannte Hotspots for- dern. Hunderte Menschen, sind schon heute in «Closed Controlled Access Centres» in Griechenland zusammengepfercht, wo sie unter Nahrungsmittelknappheit leiden.

Die Zivilgesellschaft und Journalist:innen? Ausgesperrt. Jene, die etwas über die Zustände erzählen könnten: eingesperrt und abgeschottet. Die Bundesasylzentren, aber auch das System der Nothilfe in der Schweiz, folgen einer ähnlichen Logik.

Als am 14. Juni 2023 bei Pylos vor der Küste Griechenlands ein Boot sank und über 600 Menschen starben, war die Empörung gross. Nun, ein paar Monate später, ist die Aufmerksamkeit abgeflacht und wieder dominieren die Abschottungsfantasien den Diskurs. Doch für die Überlebenden geht es weiter. Neun von ihnen sind angeklagt, unter anderen wegen Beihilfe zur unerlaubten Einreise («Schmuggel») und der Verursachung des Schiffbruchs. Ihnen droht eine Verurteilung zu hunderten Jahren Haft. Es ist die Logik der Politik der SVP: An (fast) allen Problemen schuld sind Migration und Migrant:innen. Doch im Fall von Pylos organisieren sich Überlebende und Aktivist:innen und wehren sich dagegen, wie der Text auf Seite drei aufschreibt.

Die nationalen Wahlen der Schweiz zeigen: Es braucht gemeinsame und starke Antworten. Übrigens auch in der Klimapolitik. Wie kann es sein, dass einePartei von Klimaleugnern gewinnt? Wo die übrigen Bürgerlichen stehen, machten nach den Wahlen schnell deutlich. Sie suchen in der Asylpolitik die Schuld an ihrer Nieder- lage. Verantwortlich für diese ist aber ihre mangelnde Haltung und ihr Opportunismus gegen rechts. Das sagt im Gespräch auch Albina Muhtari, Chefredaktorin vom migrantischen Onlinemagazin «baba news». Es werde «zu wenig vehement Gegensteuer gegeben». Um Gegensteuer geben und eigene Akzente setzen geht es im Dossier «Teilhabe statt Ausgrenzung». Dort suchen wir Handlungsräume statt Ausreden!

In die gleiche Richtung argumentiert auch Politiker und Aktivist Samson Yemane, der bei der SP aber auch beim Eritreischen Medienbund Schweiz tätig ist. Gemeinsam mit ihm hat Sosf gegen die menschenverachtende Motion von Damian Müller Position ergriffen, die die weitere Auslagerung der Asylverfahren zum Ziel hat. Yemane bezeichnet solche Initiativen als das was sie sind: «skandalös und heuchlerisch». Gerade in dunklen Zeiten müssen wir uns dagegen gemeinsam wehren. Hoffentlich Seite an Seite und mit der Unterstützung von möglichst vielen von Ihnen, liebe Leser:innen.