Kriminalisierung der Migration: Solidarische Netzwerke

Artikel
Unterstützer:innen von Homayoun hinter einem Transpi

Dieser Artikel ist im Sosf Bulletin 1/24 erschienen.

 

Die Kriminalisierung von Migration und von jenen in Solidarität mit Migrant:innen sind zwei Seiten desselben Gewaltkontinuums. Es ist eine Strategie, die Aufmerksamkeit von der strukturellen Gewalt der Grenzen abzulenken. Es ist das Paradoxon der europäischen Migrationspolitik: Jene die Sicherheit suchen werden verfolgt, jene die schwere Verbrechen begehen – namentlich die europäischen Migrationsbehörden, die Küstenwachen und Polizeien – bleiben straffrei, und werden gar unterstützt von weiten Teilen der Politik. 

 

Doch es gibt auch Erfolge. 2022 wurden in Italien drei eritreische Männer vom Vorwurf des Menschenhandels freigesprochen – sie waren angeklagt, weil sie Landsleuten halfen, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, Lebensmittel zu kaufen und eine Unterkunft zu finden. Von Griechenland, Italien, Malta bis nach Ägypten schliessen sich solidarische Gruppen und Anwält:innen mit Familien und Betroffenen zusammen und holen Menschen aus den Gefängnissen – immer wieder erfolgreich. Es sendet den Behörden das Signal, dass man dieser Entwicklung nicht tatenlos zuschaut und – wo möglich – Rekurse einlegt, Verfahren anstrebt und Öffentlichkeitsarbeit betreibt. Vor über einem Jahr haben deshalb zahlreiche Gruppe das Netzwerk «Captain Support» ins Leben gerufen, um die Bemühungen zu koordinieren – und noch mehr Licht auf die Entwicklung zu werfen. 

 

Captain Support 

Verbände und Organisationen, die sich für Bewegungsfreiheit und globale Gerechtigkeit einsetzen, haben sich unter dem Banner «Captain Support» zusammengeschlossen. Dazu gehören unter anderem, ARCI Porco Rosso, Alarm Phone, borderline-europe, Legal Centre Lesvos, Clinica Legale Roma Tre, Aegean Migrant Solidarity und die El Hiblu 3 Kampagne. Sie dokumentieren unterschiedliche Praktiken der Kriminalisierung von Menschen auf der Flucht und insbesondere von Bootsfahrer:innen. Das Hauptziel: Kriminalisierte Personen zu unterstützen, unter anderem durch Rechtshilfe und Beratung, aber auch durch die Verbreitung nützlicher Informationen, um Kriminalisierung präventiv zu bekämpfen. Zudem intervenieren sie gemeinsam als Netzwerk und als individuelle Organisationen in den herrschenden Diskurs. Damit stärken sie eine Gegenerzählung zu derjenigen der Behörden und Teilen der Politik, die Migration als Gefahr darstellen. Eine Gefahr, die vom Staat durch die Schaffung stärkerer Grenzen und rabiatem Vorgehen gegen migrantische Gemeinschaften geschützt werden sollte. Die Initiativen für die Pylos 9, für die El Hiblu 3 und für Homayoum finden alle unter dem Dach von Captain Support zusammen. 

 

Pylos 9 

Nachdem am 14. Juni 2023 das stark überfüllte Fischerboot «Adriana» in internationalen Gewässern vor Pylos in Griechenland sank, waren die Schuldigen schnell gefunden. Obwohl Hunderte von Menschen vor den Augen der griechischen Küstenwache ertranken, waren nicht etwa die griechischen Beamt:innen und ihre mangelnde Hilfeleistung schuldig, sondern neun der Überlebenden. Sie wurden von den griechischen Behörden verhaftet.

 

Bereits am 13. Juni 2023 informierte Alarm Phone, eine Telefonnotrufnummer für Geflüchtete in Seenot, die griechische Küstenwache über das überfüllte Boot. Die Adriana befand sich innerhalb der griechischen Such- und Rettungszone. Heute ist klar: Die Küstenwache war seit dem späteren Nachmittag vor Ort, doch versäumte es, eine effektive Rettungsaktion einzuleiten. Viele Überlebende beschrieben danach, wie die Küstenwache versuchte, das Schiff mit einem Seil abzuschleppen. Dieser Versuch war laut Zeug:innenaussagen der Ursprung des Kenterns. Trotzdem wurden neun Überlebende verhaftet. Sie wurden der Beihilfe zur unerlaubten Einreise («Schmuggel»), der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und der Verursachung eines Schiffbruchs, bei dem Hunderte Menschen ums Leben kamen, beschuldigt.

 

Doch die Unterstützungskampagne für die neun Angeklagten vom Pylos-Massaker stellt klar: Der wahre Übeltäter ist die Festung Europa. In den letzten vier Jahren hat die griechische Küstenwache ihre Praxis der systematischen Zurückdrängung von Geflüchteten auf dem Meer systematisiert – sie verursachte damit Gewalt, Tod und das Verschwinden von Menschen. Die Pylos 9 Kampagne fordert die unmittelbare Freilassung der Angeklagten und das Fallenlassen der haltlosen Anklagen. Zudem müssten die griechischen Behörden zur Rechenschaft gezogen werden. Es braucht ein Ende der Kriminalisierung von Migration und Bewegungsfreiheit für alle. 

 

Free the El Hiblu 3

Die Kampagne «Free the #ElHiblu3» und die Koalition «Free the 3» setzen sich für die Freiheit von drei jungen Männern ein: Abdalla, Amara und Kader. Die Drei werden in Malta seit 2019 juristisch verfolgt – unter anderem wegen Terrorismusverdacht. Dies weil sie ihre eigene, illegale Rückführung nach Libyen verhinderten. 

 

Und erst kürzlich, Anfang November 2023, nach fast fünf Jahren der Ungewissheit, hat Maltas Generalstaatsanwalt offiziell Anklage gegen die El Hiblu 3 erhoben. «Abdalla, Amara und Kader werden terroristische Aktivitäten, die Entführung eines Schiffes, die Bedrohung einer Besatzung und mehrere andere Straftaten vorgeworfen», schreibt die Unterstützungskampagne. Auf mindestens vier der insgesamt neun Anklagepunkte stehen lebenslange Haftstrafen.

 

Für die Unterstützer:innen der Drei ist klar: Der maltesische Staat versucht, an den Angeklagten ein Exempel zu statuieren. Es ist die europäische Abschottungspolitik umgesetzt von einem komplizenhaften Justizsystem. Die Anklage wurde erhoben, obwohl zahlreiche Zeug:innen bestätigten, dass die Drei an Board als Übersetzer fungierten und damit wichtige Arbeit zwischen der Besatzung des Handelsschiffs El Hiblu und den geretteten Passagieren leisteten. Anstatt strafrechtlich verfolgt zu werden, sollten die El Hiblu 3 für ihre Taten gefeiert werden, mit denen sie die Rückkehr von 100 Menschen in Lebensgefahr nach Libyen verhindert haben. Die Kampagne findet klare Worte für die Ungerechtigkeit: «Widerstand gegen illegale Rückschiebungen nach Libyen ist kein Verbrechen.» Freiheit für die El Hiblu 3. 

 

Free Homayoun

Am 25. August 2021 wurde Homayoun Sabetara, ein aus dem Iran geflohener Mann, von den griechischen Behörden in Thessaloniki verhaftet. Damit begann für ihn und seine Angehörigen eine Tortur die bis heute anhält. Homayoun Sabetara steuerte ein Fahrzeug über die türkisch-griechische Grenze und wurde in der Folge ein Jahr nach seiner Verhaftung wegen Schmuggels zu einer 18-jährigen Haftstrafe verurteilt. 18 Jahre Gefängnis. Weil er ein Fahrzeug über eine Grenze gesteuert hat. Und das obwohl er Berichten zufolge zum Fahren gezwungen wurde. Seit seiner Verhaftung im August 2021 befindet sich Homayoun Sabetara in Griechenland in Haft.

 

Im Juni 2023 startete Homayouns in Berlin lebende Tochter die Kampagne #FreeHomayoun. Zusammen mit weiteren Unterstützer:innen fordert sie «den Freispruch von Homayoun Sabetara, sowie aller Migrant:innen, die wegen «Schmuggel» kriminalisiert werden». Das Berufungsverfahren von Homayoun Sabetara ist für den 22. April 2024 angesetzt. Die Kampagne ruft zu breiter Unterstützung auf. 

 

 

Wollen Sie, liebe Leser:innen, das Captain Support Netzwerk unterstützen?

Support Captain Support

3011 Bern, Schweiz

IBAN: CH6209000000162628066

BIC/ SWIFT: POFICHBEXXX