Lorenz Lüthi
Wie kommt man zu einem Praktikum bei Solidarité sans frontières? Man kehrt aus den Ferien zurück und will einen Freund treffen, der aber nie Zeit hat, weil er Generalsekretär von sosf ist und gerade mitten in der Kampagne gegen Ausschaffungsinitiative und Gegenvorschlag steckt. Da bleibt nichts anderes als 2xNein zu sagen – und einmal ja, und schon steckt man mitten in der Arbeit. So begann das Praktikum von Lorenz Lüthi.
Dein Engagement für sosf kam plötzlich - dass du dich in der Migrationspolitik engagiert, ist indes kein Zufall.
So kann man das sagen. Einerseits war ich selbst längere Zeit im Ausland und habe erfahren, was es bedeutet, wenn man Ausländer ist und wenn einen die anderen als Fremden wahrnehmen. Das schärft den Blick auf die Thematik enorm. Andererseits begann meine Politisierung mit der Unterstützung der Kirchenbesetzungen der Sans-Papiers im Jahre 2001. Und schliesslich unterrichte ich seit fünf Jahren MigrantInnen im denk:mal, der autonomen Schule in Bern. Das macht enorm Spass, bringt aber auch Verständnis für andere Lebensrealitäten.
Du hast Dein Geschichtsstudium abgeschlossen. Du hast aber auch das denk:mal mitbegründet – eine praktische Lösung für reale Probleme. Würdest du dich eher als einen «Menschen der Tat» bezeichnen?
Marx hat geschrieben, dass die Philosophen die Welt nur unterschiedlich interpretiert hätten, es aber darauf ankommt, sie zu verändern. Theorie ohne Praxis halte ich nicht für wertlos, aber die Probleme sind manifest und verlangen danach, dass man handelt. Umgekehrt braucht praktische Arbeit zwingend die entsprechende theoretische Reflexion, sonst läuft man Gefahr, sein Handeln bloss opportunistisch nach den Gegebenheiten zu richten.
In den letzten drei Monaten hast du die 2xNEIN-Kampagne mitgeprägt und aus erster Hand mitbekommen. Die Ausschaffungsinitiative wurde angenommen. Warum?
Es ist ein ganzes Bündel von Dingen, die schief laufen in diesem Land. Was sicherlich zu diesem Abstimmungsergebnis geführt hat, ist die diffuse Angst vor Überfremdung. Dazu kommt die absurde Vorstellung, dass sich durch ein Strafrecht, das Schweizer und Ausländer ungleich behandelt, irgendein realen Problem beheben liesse. Genau das schafft doch wieder neues Unrecht. Aber Symptombekämpfung zu lasten derer, die sich nicht wehren können, ist ja wirklich nichts Neues, sondern leider eine Konstante in der Menschheitsgeschichte. Nennen wir es Politik.
Macht unsere Seite etwas falsch? Woran liegt es, dass wir, die mit den Betroffenen zusammen arbeiten, keine Lösungen für die vermeintlichen Probleme liefern können?
Derzeit befinden wir uns eher in einer Abwehrschlacht. Mit sinnvollen Lösungen wie der Regularisierung von Sans-Papiers ernst genommen zu werden, ist in derzeitigen politischen Klima sehr schwer. Wir müssen uns die Diskurshoheit erkämpfen. Die Menschen müssen erkennen, dass nur Akte, die die Gesellschaft versöhnen und alle an ihr teilhaben lassen, uns wirklich weiterbringen.
Und wie würde ein solcher Akt in deiner Praxis aussehen?
Wir befinden uns in einer Demokratie, da sollten auch alle hier lebenden Menschen dieselben Rechte und Pflichten haben – das schliesst auch unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger ein. Weiter muss dringend die individuelle ökonomische Potenz ausgeglichen(er) werden. Die Schere gehört geschlossen, nicht weiter geöffnet. (Ca)
Quelle: sosf-Bulletin 01/2011