Solidarität ist kein Verbrechen!
Stellungnahme zur aktuellen Kriminalisierung der Solidarität mit Geflüchteten und zum Marsch für Menschenwürde und Menschenrechte durch die Schweiz.
„Ein guter Mensch zu sein, gilt hierzulande als Dummheit, wenn nicht gar als Schande“, sagte einst Erich Kästner, der bekannte deutsche Dichter. Heute könnte man sogar sagen, wenn wir Regierungen, fremdenfeindlichen Parteien und Gerichten zuhören: „Ein guter Mensch zu sein, gilt als Verbrechen, nicht nur hierzulande, sondern in ganz Europa.“
Mehr und mehr Bürgerinnen und Bürger werden angeklagt und verurteilt, weil sie Flüchtenden helfen. So erfuhr Pater Mussie Zerai vor kurzem, dass die italienische Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen „Beihilfe zur illegalen Einwanderung“ ermittelt. Er lebt im Kanton Solothurn und betreut die eritreische Diaspora in der Schweiz.
Mussie Zerai betreibt schon lange ein Alarmtelefon für Flüchtende im Mittelmeer. Wenn diese in Seenot geraten, erhält er ihre verzweifelten Anrufe. Dann mobilisiert er die Küstenwache, hauptsächlich in Italien. Dank dieses Mannes konnten bisher Tausende von Menschen vor dem Ertrinken gerettet werden. Er ist Mitinitiator der BürgerInnen-Initiative „Watch the Med – Alarmephone“.
Die Strafuntersuchung gegen Zerai ist Teil einer Verleumdungskampagne der italienischen Regierung und der EU gegen humanitäre Organisationen, die mit ihren Schiffen Flüchtlinge aus dem Mittelmeer retten. Sie werden bezichtigt, mit Schleppern zusammen zu arbeiten – ohne jeden Beweis.
Die Behörden versuchen die Arbeit der Helfenden zu behindern und zu verunmöglichen. Denn das Mittelmeer soll „verriegelt“ und die Festung Europa bis auf den afrikanischen Kontinent ausgeweitet werden. Die EU und die Schweiz kollaborieren mit Diktaturen und Kriegsherren, um die Flüchtenden fernzuhalten. Doch die Menschen flüchten weiter. Viele landen in Internierungslagern in Libyen, wo sie Erpressung, Folter und Vergewaltigungen ausgesetzt sind. Andere sterben in der Wüste.
Mussie Zerai ist kein Einzelfall. Wegen dem gleichen „Delikt“, das dem Priester vorgeworfen wird, sind in Südfrankreich (Vallée de la Roya) bereits der Landwirt Cédric Herrou und der Lehrer Pierre-Alain Mannoni zu mehrmonatigen, bedingten Gefängnisstrafen verurteilt worden. Ende September wurde die Kantonsrätin Lisa Bosia Mirra im Tessin zu 80 Tagessätzen à 110 Franken und 1.000 Franken Geldstrafe bedingt wegen „Hilfe zur rechtswidrigen Einreise“ verurteilt. Sie hatte minderjährigen und somit besonders schutzbedürftigen Geflüchteten geholfen, in die Schweiz zu gelangen. Im vergangenen Februar hatten wir ihr und Pfarrer Don Giusto della Valle für ihr humanitäres Engagement den Schweizer Menschenrechtspreis „Offene Alpen“ übergeben.
Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen. Diese Prozesse richten sich nicht nur gegen die UnterstützerInnen der Geflüchteten, sondern gegen alle, die bei uns Schutz suchen. Wir freuen uns, dass auf Initiative von Lisa Bosia Mirra ein Marsch für Menschenwürde und Menschenrechte zusammen mit Geflüchteten und Migrant_innen von Oktober bis Dezember 2017 durch die ganze Schweiz stattfindet. Das Sichtbarmachen der Schutzsuchenden und deren UnterstützerInnen, die Suche nach einem direkten Kontakt zu den BewohnerInnen der Schweizer Dörfer und Städte als „Pilgerinnen und Pilger für mehr Solidarität“ ist ein gutes Signal, um zu zeigen: Es braucht eine andere Migrations- und Asylpolitik, die Türen öffnet, anstatt immer mehr zu schliessen.
Freundeskreis Cornelius Koch
Delémont, den 2. Oktober 2017