Die in den Bundeszentren geltenden Ausgangszeiten seien unverhältnismässig, schreiben die Autorinnen eines Gutachtens, das die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus kürzlich vorgelegt hat. Sie stützen sich dabei auf ein Urteil des Bundesgerichts von 2002, in dem es heisst: «Die bewilligungspflichtigen und auf bestimmte Tageszeiten reduzierten Ausgangsmöglichkeiten stellen einen nicht unerheblichen Eingriff in die persönliche Freiheit dar.»
Tatsächlich sind die in der Hausordnung des SEM vorgesehenen Ausgangszeiten für Erwachsene – für unbegleitete Minderjährige gelten eigene Regeln – sehr knapp bemessen. Sofern ihre Anwesenheit wegen Anhörungen oder zu erledigender Hausarbeiten nicht erforderlich ist, können die Asylsuchenden das ihnen zugewiesene Zentrum grundsätzlich nur werktags von 9 bis 17 Uhr sowie am Wochenende vom Freitag 9 Uhr bis Sonntag 19 Uhr verlassen. Dafür brauchen sie jedoch eine Ausgangsbewilligung, die sie bei der Rückkehr ins Zentrum wieder abgeben müssen. In den Sonderzentren für «renitente» Asylsuchende ist auch am Wochenende nur eine Ausgangszeit von 9 bis 17 Uhr vorgesehen. Gravierender noch ist die Situation in den Unterkünften an den internationalen Flughäfen Genf und Zürich: Hier dürfen sich die Asylsuchenden ausschliesslich im nichtöffentlichen Teil, d.h. in der Transitzone, frei bewegen und haben lediglich Anspruch auf einen Spaziergang im Freien pro Tag.
Der Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden sind auch innerhalb des Zentrums Grenzen gesetzt: Der zugewiesene Schlafplatz darf nicht ohne Erlaubnis des Betreuungspersonals gewechselt werden. Gewisse Räume sind nur dem Betreuungspersonal vorbehalten. Lärm und andere störende Geräusche sind generell zu vermeiden. Die Nachtruhe dauert von 22 bis 6 Uhr. In dieser Zeit dürfen die Aufenthaltsräume nicht betreten werden. Die Hausordnung sieht ausserdem vor, dass das Sicherheitspersonal Asylsuchende nach bestimmten Gegenständen durchsuchen und diese sicherstellen darf. Dies beinhaltet auch Lebensmittel, da ausschliesslich in Speisesälen gegessen werden darf.
Unverhältnismässige Sanktionen
Asylsuchenden, die zu spät «nach Hause» kommen (siehe das Beispiel aus Les Rochats im Kasten), die «Auflagen missachten, die ihnen zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung erteilt wurden», oder die beispielsweise elektronische Geräte, alkoholische Getränke oder Vermögenswerte heimlich ins Zentrum bringen, können «diszipliniert» werden. Laut Hausordnung kann ihnen unter anderem der Ausgang oder der Zutritt zu ansonsten allgemein zugänglichen Räumen des Zentrums verweigert werden. Die Beobachtungen von zivilgesellschaftlichen Gruppierungen zeigen zudem, dass daneben auch der Transfer in ein anderes Zentrum oder Kürzungen des Taschengeldes als Sanktionsmassnahmen praktiziert werden. Letzteres schränkt die Bewegungsfreiheit der Betroffenen – gerade in abgelegenen Zentren – noch weiter ein. Denn ohne finanzielle Mittel können sie sich keine Transporttickets leisten, da sie dafür selbst aufkommen müssen. Eine weitere Massnahme ist der Ausschluss aus dem Zentrum für maximal 24 Stunden, wenn die Person «durch ihr Verhalten andere Personen gefährdet, die Ruhe stört oder sich weigert, Anordnungen des Personals zu befolgen».
Fehlende Beschwerdemöglichkeiten
Die Sanktion erfolgt in der Regel formlos, d.h. ohne schriftliche Verfügung. Eine solche Praxis entrechtet die Betroffenen umso mehr, da sie ohne schriftliche Verfügung kaum Beschwerdemöglichkeiten haben, zumal es für sie nur in seltenen Fällen einen Zugang zu unabhängigen Rechtsberatungen gibt. Erst bei mehrtägiger oder wiederholter Ausgangsverweigerung können Betroffene eine beschwerdefähige Verfügung verlangen. Ein Ausschluss aus dem Zentrum erfolgt hingegen mit Verfügung. Stossend ist zudem, dass die Massnahmen in vielen Fällen vom Sicherheits- oder Betreuungspersonal angeordnet werden, ohne dass dies von einer unabhängigen Institution kontrolliert würde.
Zivilgesellschaft gegen Entrechtung von asylsuchenden Personen
Die Plattform „Zivilgesellschaft in Asyl-Bundeszentren“ (ZiAB) setzt sich dafür ein, dass die Behörden die Hausordnung und die Verordnung, auf der sie beruht, ändern und diese Änderung auch möglichst rasch umsetzen. Dies erfordert auch eine engere Zusammenarbeit der verschiedenen Privatpersonen und Gruppen, die sich im Umfeld von Bundeszentren engagieren und sich für die Rechte von geflüchteten Menschen einsetzen. Die Verhältnismässigkeit von Sanktionen, Beschwerdemöglichkeiten sowie eine Kontrolle der ergriffenen Massnahmen durch unabhängige Institutionen sind zentral. Es kann nicht sein, dass Menschen der Willkür von Sicherheits- und Betreuungsorganisationen ausgesetzt sind und sich dagegen nicht wehren dürfen.
Weitere Informationen zur Plattform ZiAB und zur Umsetzung der Asylgesetzrevision: www.plattform-ziab.ch
Autorin: Vithyaah Subramaniam, Fach- und Koordinationsstelle ZiAB
- Bulletin 03/2017 von Sosf