«Zwischen uns keine Grenzen.» So heisst die neue Kampagne, die Solidarité sans frontières zusammen mit den autonomen Schulen von Zürich und Biel sowie den regionalen Kollektiven «Aktion Zunder St-Gallen», der Allianz «wo Unrecht zu Recht wird…», Collectif R und Droit de rester Fribourg/Lausanne/Neuchâtel lanciert. In der Schweiz ist die Bewegungsfreiheit ein Grundrecht, garantiert in Art. 10 Abs. 2 der Bundesverfassung. Dennoch wird dieses Recht für Personen mit instabilem oder irregulärem Aufenthaltsrecht drastisch eingeschränkt: Halbgefangenschaft in den Bundesasylzentren, Eingrenzung in einen Wohnort oder ein Quartier, Administrativhaft oder andere Freiheitsstrafen. So leben wir, ohne es zu merken, umgeben von ganz vielen Grenzen: alltägliche Grenzen, Grenzen in unserer Region, unserer Stadt, in unserem Quartier… Es sind unsichtbare Grenzen für die meisten von uns, aber umso spürbarere für jene, die sie am eigenen Leib erfahren.
Zentren oder Gefängnisse?
Nachdem sie in der Schweiz angekommen sind und ein Asylgesuch gestellt haben, können AsylbewerberInnen bis zu 90 Tage in den Empfangs- und Verfahrenszentren des Bundes (EVZ) untergebracht werden, die oft geographisch sehr abgeschieden liegen. Man vergisst manchmal, wie extrem in diesen Zentren jeder Lebensbereich reglementiert ist, und welche Gefühle der Ohnmacht und Infantilisierung das bei den Asylsuchenden auslöst. In ihrem Artikel «Entrechtung in den Zentren des Bundes» beschreibt Vithyaah Subramaniam von der Plattform «Zivilgesellschaft in Asylbundeszentren» die in diesen Zentren herrschende Hausordnung und zeigt auf, wie stark sie die Bewegungsfreiheit verletzt. Das Extrembeispiel eines Asylsuchenden, der bestraft wurde, weil er – um der Geburt seines ersten Kindes beizuwohnen, die Ausganszeiten des Zentrums nicht eingehalten hatte, zeigt, wie mechanisch diese Hausordnung angewandt wird, ohne Rücksicht auf die individuellen Gegebenheiten.
Zwangsmassnahmen
In unserem Dossier vom März 2017 standen die Zwangsmassnahmen (Ein- und Ausgrenzungen, Administrativhaft) im Mittelpunkt. In diesem Dossier berichtet Hanna Stoll von der Allianz «Wo Unrecht zu Recht wird», wie sich die Auseinandersetzung um die «Eingrenzungen» im Kanton Zürich weiter entwickelt hat. Aufgrund der starken Gegenwehr der Betroffenen und zahlreicher juristischer Rekurse wurden einige Eingrenzungen aufgehoben, und es scheint so, dass das Zürcher Migrationsamt seine repressive Praxis etwas eingeschränkt hat. Trotzdem haben etliche abgewiesene Asylsuchende nach wie vor nicht das Recht, ihre Gemeinde zu verlassen, was ihr Leben im Alltag deutlich erschwert. Wie viel Gewalt hinter den Zwangsmassnahmen steckt, zeigt auch der Bericht einer Aktivistin des Collectif R über einen Asylsuchenden, dem die Waadtländer Behörden eine Notschlafstelle in Morges als Wohnort zuwiesen – mit dem Verbot, diesen Ort in den Nachtstunden zu verlassen.
Nach Ansicht von Solidarité sans frontières ist die Rechtsgleichheit, wie sie die Bundesverfassung proklamiert, ohne tatsächliche Gleichheit nicht viel wert. Die Gewalt ist wenig sichtbar in den offiziellen Texten, in Wirklichkeit wird sie tagtäglich von den Behörden praktiziert. Sie zu entlarven, gehört zu unseren Aufgaben. In der Gesellschaft, für die wir einstehen, gilt die Bewegungsfreiheit für alle Menschen. In der Gesellschaft, für die wir einstehen, gibt es keine Grenzen zwischen uns.
Autorin: Amanda Ioset
- Bulletin 03/17 von Sosf