Bern 13. November 2017
Medienmitteilung: Kontaktgruppe Mittelmeer
Auf Einladung von Bundesrätin Simonetta Sommaruga treffen sich heute in Bern die Innenminister zum dritten Treffen der Kontaktgruppe Mittelmeer.
Die Todesfälle im Mittelmeerraum ereignen sich nicht in einem politischen Vakuum
«Die Abschreckungspolitik der Europäischen Union ist tödlich. Um die Situation im Mittelmeerraum zu verstehen, ist es wichtig an die abrupte Auflösung der Operation Mare Nostrum im Herbst 2014 zu erinnern», sagt Charles Heller, Forscher an der University of Goldsmiths in London. Die Europäische Union hat vor drei Jahren die Such- und Rettungsaktionen unter dem Vorwand gestoppt, dass dies ein Pull-Faktor für Migrant/innen sei. Die Wahrheit ist, dass dies einzig zu einer Zunahme der Todesfälle auf See geführt hat, so wie es viele vorausgesagt haben. Heute zwingt die europäische Abschottungspolitik immer mehr Menschen, gefährlichere und tödlichere Wege zu wagen. Denn legale oder sicherere Wege werden immer weiter eingeschränkt.
Unmenschliche Haftbedingungen für Geflüchtete in Libyen
Geflüchtete riskieren die gefährliche Überfahrt nach Europa, weil sie in grosser Not sind. Dass europäische Staaten die libysche Küstenwache unterstützen, um Geflüchtete zurück nach Libyen zu bringen, ist zu verurteilen. Die unmenschlichen Haftbedingungen für Geflüchtete in Libyen sind seit langem bekannt und dokumentiert. «Menschen an Orte zurückzubringen, wo sie unmenschlicher Behandlung, Folter und sexueller Gewalt ausgesetzt sind, ist eine Verletzung der Menschenrechte», sagt Caroline Abu-Sada, Direktorin der SOS Méditerranée Suisse. Diese Politik führt einzig dazu, dass es für Geflüchtete noch gefährlicher wird: «Anstatt die Seenotrettung der NGO zu kriminalisieren, braucht es mehr Rettungseinsätze – bis die Menschen andere Möglichkeiten zur Flucht als den Seeweg haben.» Der Anteil der Todesfälle auf See im Verhältnis zur Zahl der Ankünfte in Italien hat 2017 weiter zugenommen.
Pater Mussie Zerai: Verleumdungskampagne muss aufhören
Mussie Zerai engagiert sich seit Jahren für Flüchtlinge in Seenot. Sie geben ihm ihre GPS-Position und er versucht Hilfe zu organisieren. Die zunehmende Kriminalisierung erfährt er am eigenen Leib. So hat die Staatsanwaltschaft in Trapani auf Sizilien eine Strafuntersuchung gegen ihn eröffnet. Mussie Zerai: «Es handelt sich um eine regelrechte Verleumdungskampagne. Seit einigen Monaten ist eine politische und mediale Kampagne gegen alle NGO zu beobachten, die Solidarität mit den Flüchtlingen und Migranten zeigen». Er betont, dass sich heute viele Menschen in Flüchtlingslagern irgendwo im Niemandsland oder in Internierungslagern in Libyen befinden. «Wir brauchen eine radikale Reform, wie Europa mit Menschen umgeht, welche hier Schutz suchen wollen.»
Verantwortung der Schweiz und Europa
Europäische Staaten sind mitverantwortlich an der Situation in vielen afrikanischen Staaten. Konzerne mit Sitz in der Schweiz plündern afrikanische Staaten – wie die Paradise Papers gezeigt haben. Damit sind die europäischen Staaten mitverantwortlich für die Flucht von Hunderttausenden von Menschen. Indem die Schweiz die EU-Politik der Externalisierung der Aussengrenze unterstützt, trägt sie zur dramatischen Lage in Libyen und zur Verletzung der Rechte von Geflüchteten bei. Sophie Guignard, Co-Präsidentin von Solidarité sans frontières, kommentiert: «Das Treffen der Kontaktgruppe Mittelmeermittelmeer hat nichts mit der vielbesungenen humanitären Tradition der Schweiz zu tun». Sie fügte hinzu: «Wir dürfen nicht länger die Drecksarbeit der Abschottung afrikanischen Staaten übertragen, sondern müssen diese stoppen. Die neokoloniale Handels- und Wirtschaftspolitik muss endlich beendet werden.»
Forderungen von Solidarité sans frontières:
- Es braucht sichere und legale Fluchtwege
- Die finanzielle, institutionelle und materielle Unterstützung der libyschen Küstenwache muss sofort gestoppt werden
- Die Seenotrettung durch zivile Akteure darf nicht länger kriminalisiert werden
- In der Schweiz müssen Geflüchtete Schutz finden. Das SEM soll die rücksichtslose Anwendung der Dublin-Verordnung stoppen und keine Menschen mehr nach Italien und in andere Länder ausschaffen.