Statt Migrant*innen zu schützen, schränkt der Bundesrat das Asylrecht ein.
Der Bundesrat hat am Mittwoch, den 1. April wegen des Coronavirus eine neue Verordnung über den Asylbereich verabschiedet. Obwohl die Organisationen, die für den Schutz des Asylrechts kämpfen, immer wieder einen Stopp der Verfahren forderten, beschloss die Regierung, die Asyl- und Ausschaffungsverfahren fortzusetzen.
Asyl- und Ausschaffungsverfahren: Schluss damit!
Mit der Begründung, dass ein Teil der JuristInnen aufgrund von Ausgangsbeschränkungen nicht an den Asylanhörungen teilnehmen kann, hat der Bundesrat beschlossen, dass die Anhörungen nun auch in Abwesenheit der Rechtsvertretung stattfinden können! Dies ist eine inakzeptable Einschränkung der im Asylgesetz vorgesehenen kostenlosen Rechtshilfe, die auch nicht dadurch kompensiert werden kann, dass die Widerspruchsfrist von 7 auf 30 Tage verlängert wird. Man muss befürchten, dass mit dieser Massnahme gezeigt werden soll, dass die kostenlose Rechtsvertretung im Asylverfahren unnötig sei und wieder abgeschafft werden könne. Die SVP, die immer gegen die «Gratisanwälte» gekämpft hat, hat sicherlich Gefallen an der harten Linie der Freisinnigen Karin Keller-Suter.
Seit Beginn der Krise haben das Staatssekretariat für Migration (SEM) und der Bundesrat ihre migrations- und asylpolitischen Ziele über das der Gesundheit der Beteiligten gestellt. Durch die Fortsetzung der Asylverfahren gefährden die Asylbehörden die Gesundheit der Asylsuchenden und damit die Gesundheit von uns allen. Die Aufrechterhaltung der Anhörungen ist für alle Beteiligten (Asylsuchende, Anwält*innen, Befrager*innen, Dolmetscher*innen, Protokollführer*innen) mit zahlreichen Reisen quer durch die Schweiz verbunden. Ärzt*innen, die derzeit überlastet sind, werden aufgefordert, im Rahmen des Asylverfahrens medizinische Gutachten zu erstellen.
Darüber hinaus kann man sich berechtigterweise fragen, ob die Verfahren unter den gegenwärtigen Umständen fair durchgeführt und das Recht auf eine wirksame Rechtsvertretung respektiert werden kann. Tatsächlich wird die Kommunikation mit unabhängigen Rechtsberatungsbüros, Sozialarbeiter*innen, medizinischem Personal und Übersetzer*innen durch die Ausgangsbeschränkungen erschwert. Die meisten Rechtsberatungen haben ihre Tätigkeit unterbrochen oder stark eingeschränkt. Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ist es äusserst problematisch, Asyl-Entscheide an Personen zu übermitteln, welche die Landessprachen nicht beherrschen, denn ohne Rechtsvertretung können sie keine Beschwerde verfassen. Das SEM muss sich die Frage gefallen lassen, ob es die Gesundheitskrise nutzt, um den Stapel unerledigter Asylgesuche zu reduzieren, ohne dass die Betroffenen die Entscheide anfechten können.
Und nicht nur das: seit dem 13. März ist die Genfer Flüchtlings-Konvention an allen Grenzen der Schweiz schlicht und einfach ausser Kraft gesetzt. Während die Grenzen für Personen, die aus beruflichen Gründen in die Schweiz kommen, weiterhin offen sind, hat der Bundesrat die Möglichkeit, an der Grenze ein Asylgesuch zu stellen, abgeschafft. Das ist eine unannehmbare Situation für ein Land, das die Menschenrechte und das Völkerrecht zu wahren vorgibt!
Unzureichende Garantien für den Gesundheitsschutz in Asylzentren
In seiner Verordnung vom 1. April sieht der Bundesrat zudem vor, dass militärische und zivile kollektive Einrichtungen schneller und einfacher für den Einsatz im Asylbereich bereitgestellt werden können, um gegebenenfalls mehr Unterbringungsplätze zur Verfügung zu stellen. In ihrer Medienmitteilung erklärt die Regierung, dass «die BAG-Empfehlungen zum Schutz der Gesundheit aller Beteiligten sich in sämtlichen Bundesasylstrukturen bei einem allfälligen Anstieg des Bestands in den BAZ uneingeschränkt einhalten lassen». Diese Aussage steht im Widerspruch zu den Bildern und Aussagen, die kürzlich von verschiedenen Medien veröffentlicht wurden. Diese zeigen, dass die Bewohner*innen und das Personal der Zentren (des Bundes und der Kantone) unzureichend geschützt sind. Solidarité sans frontières hat auch zahlreiche Zeugenaussagen von Asylsuchenden erhalten, die bestätigen, dass die physische Distanz oft nicht eingehalten werden kann, sei es in Gemeinschaftsräumen (Küche, Korridore, Badezimmer) oder in den Schlafsälen.
Es ist höchste Zeit, dass auch für den Bundesrat die Gesundheit aller hier lebenden Menschen an erster Stelle steht und nicht die restriktive Asylpolitik. Angesichts dieser Gesundheitskrise müssen wir alle zusammen stehen. Lassen wir uns nicht nach Herkunft, Pass oder Aufenthaltsstatus spalten. Solidarité sans frontières hält an den Forderungen vom 18. März fest, die von 70 Organisationen, Gewerkschaften, Parteien und Kirchen unterstützt werden.
Solidarité sans frontières