Traditionellerweise waren die Revisionen im Bereich Asyl von den bürgerlichen Parteien unterstützt und von linken Referendumskomitees bekämpft worden. Diesmal hingegen standen wir vor einem revidierten Gesetz, das von einer linken Ministerin verteidigt wurde, und gegen das die SVP ein Referendum ergriffen hatte. Weil die Verschärfungen nicht hart genug waren, weil gewisse Aspekte zugunsten der Asylsuchenden (hauptsächlich die Einführung einer unentgeltlichen Rechtshilfe) für die national konservative Partei nicht akzeptabel waren.
Für Solidarité sans frontiéres komplizierte dieses neue Schema den Entscheid für eine Abstimmungsparole. Denn als Organisation, die das Recht auf Asyl verteidigt, waren wir selbstverständlich gegen die neuen Verschärfungen des Gesetzes. Andererseits wussten wir auch, dass ein NEIN am 5. Juni einen gewaltigen Sieg für die SVP bedeutet hätte. Aus diesem Grund hatte Sosf nach einer langen Diskussion entschieden, JA oder LEER zu stimmen. In diesem Sinne freuen wir uns, dass die Urnen dem Referendum nicht Recht gegeben haben.
Tatsächlich sehen wir, dass eine Ablehnung der Revision sehr schnell zu einem neuen Gesetzesvorschlag geführt hätte, in dem die Rechtshilfe noch mehr eingeschränkt und bestimmt nicht kostenlos gewesen wäre, die Verschärfungen aber auf der gleichen Linie lägen, wie sie von allen Parteien akzeptiert worden sind. Zudem hätte ein NEIN, aus welchen Überlegungen auch immer, erlaubt, neue Verschärfungen zu legitimieren.
Auf jeden Fall ist eines sicher, egal ob wir ein kritisches JA, ein linkes NEIN, eine Leere Stimme eingelegt haben: wir müssen uns auf eine neue Etappe vorbereiten. Was jetzt tun?
Erstens müssen wir uns im Hinblick auf die neuen Bundeszentren organisieren. Wir müssen innerhalb und ausserhalb dieser Zentren präsent sein, ihre Entwicklung verfolgen und darüber wachen, dass sie nicht zu von der Welt abgeschotteten Gefängnissen werden. Einige Projekte stehen in diesem Sinn am Start, wie die Plattform Zivilgesellschaft in Asyl-Bundeszentren, und wir müssen uns ihnen anschliessen.
Zweites ist es nötig, eine Bilanz und Lehren aus dieser Restrukturierung zu ziehen, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Bereits am Tag nach der Abstimmung verlangte die Rechte neue Verschärfungen: Ablösung der vorläufigen Aufnahme durch einen (noch unsichereren) Status der vorübergehenden Schutzgewährung, Beschleunigung der Wegweisungen, Verstärkung des Grenzwachtkorps usw. Die Angriffe sind vielfältig, und wir müssen uns darauf vorbereiten.
Schliesslich ruft Solidarité sans frontières alle Vereinigungen und Kollektive dazu auf, sich weiter für ein echtes Asylrecht und eine Schweiz der politischen Öffnung einzusetzen. Dazu gehören die Wiedereinführung der Möglichkeit eines Botschaftsasyls sowie ein vom Staat unabhängiges System der unentgeltlichen Rechtshilfe, nicht aber die Schaffung von Bundeszentren ohne Zugang für die Zivilgesellschaft.
Angesichts einer schweizerischen und europäischen Flüchtlingspolitik, die nicht den Schutz der Menschen zum Ziel hat, sondern ihr Auseinanderdividieren in immer unterschiedlichere Kategorien, bekräftigen wir erneut unseren Widerstand gegen das Dublin-System, das einen Schutz verhindert, der diesen Namen verdient. Die in der Schweiz im Exil lebenden Personen müssen die Möglichkeit erhalten, hier ein neues Leben in Würde aufzubauen, und das führt über einen Stopp der Rückführungen, der Administrativverwahrungen und des Abstiegs in die Nothilfe.
Solidarité sans frontières