Alternativen!
Hier finden Sie eine Leseprobe der einzelnen Kapitel des Artikels von Balthasar Glättli
- Einleitung: Rückblick und Thesen zu einer alternativen Flüchtlings- und Migrationspolitik / Die Trennung von Asyl- und Migrationspolitik gibt es auch im Widerstand
- Seit der Mitenand-Initiative - erfolglos - in der Defensive
- In die Offensive kommen - Versuche in den 90ern scheiterete
- Die Sans-Papiers-Bewegung - Erfolg und Scheitern
- AuG-Debatte und die Kampagne «Ohne uns geht nichts»
Diskussionspunkte: Personenfreizügigkeit, Grundrechte, Gleichbehandlung - Literatur
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Rückblick und Thesen zu einer alternativen Flüchtlings- und Migrationspolitik
Das Doppelreferendum gegen das neue Ausländergesetz und die erneute Verschärfung des Asylgesetzes wurde anfang 2006 erstaunlich schnell gesammelt. Nach aussen hin erscheint damit der Widerstand für die Grundrechte von Flüchtlingen und ImmigrantInnen stärker denn je in den vergangenen Jahren. Eine breite Allianz von linken Parteien, Gewerkschaften, Flüchtlingsorganisationen, Menschenrechtsorganisationen und kirchlichen Kreisen aber auch einzelne prominente PolitikerInnen aus bürgerlichen Reihen, Wirtschaftskreise und sogar welsche Kantonalparteien von CVP und Liberalen unterstützen das doppelte Nein, sogar die EVP hat die doppelte Nein-Parole beschlossen. Die Übernahme des Präsidiums des Doppelreferendumskomitees durch alt-Bundesrätin Ruth Dreifuss (SPS) verschaffte den Referenden bis jetzt eine anhaltend grosse Medienpräsenz.
Die Trennung von Asyl- und Migrationspolitik gibt es auch im Widerstand
Inwieweit allerdings neben der Bekämpfung des politischen Gegners von rechts gemeinsame politische Ziele über die Referendumsphase hinaus entwickelt werden können, bleibt fraglich. Erstens ist festzustellen, dass unterschiedliche Erfahrungswelten zwischen Engagierten im Asylbereich und den fortschrittlichen Kräften im Migrationsbreich weiter bestehen bleibt. Die Tatsache, dass die Gewerkschaften auch das Asylgesetz-Referendum unterstützen und die Koordinationsgruppe der «Koalition für eine humanitäre Schweiz» unter Führung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe SFH den in der Koalition zusammengeschlossenen Organisationen ein doppeltes Nein empfiehlt, darf darüber nicht hinwegtäuschen.
Zweitens müssen wir uns eingestehen, dass gemeinsame Aktionen und eine Einmischung in die offizielle Politik in den letzten zwei Jahrzehnten nur über das Mittel des Referendums oder im Widerstand gegen Initiativen von rechts gelang. Die linken Referenden waren immer zum Scheitern verurteilt. Selbst das Referendum gegen die Totalrevision des Asylgesetzes 1999, das vor dem Hintergrund des Flüchtlingselends im Kosovo-Krieg stattfand, hatte offensichtlich keine Chance. Und der Widerstand gegen die letzte SVP-Initiative «Gegen Asylrechtsmissbrauch» schrammte am 24. November 2002 mit 50.1% Nein-Stimmen knappstens an der Niederlage vorbei. Obwohl die Initiative formell auch von den anderen Bundesratsparteien abgelehnt wurde gaben schliesslich gerade 4212 Stimmberechtigte den Ausschlag zum Nein.
Ich möchte in der Folge in einem ersten Teil einen Rückblick werfen auf die Versuche, die Zusammenhangslosigkeit zwischen den Engagierten im Asyl- und Migrationsbereich aufzuheben und aktiv politische Gegenentwürfe zu formulieren.
Seit der Mitenand-Initiative - erfolglos - in der Defensive
Seit den ersten Überfremdungsinitiativen der 70er Jahre stellt die Rechte auf dem Wege der Volksinitiative immer neue Verschärfungen zur Debatte und nutzt den erzeugten Druck, um parlamentarische Mehrheiten für eine Anpassung an ihre Forderungen zu erreichen. Die bürgerlichen Mitteparteien haben dem dadurch erzeugten Druck auch immer gerne nachgegeben. Umgekehrt gab es seit der 1979 eingereichten Mitenand-Initiative keine ernsthaften realpolitischen Versuche, eine andere, liberalere und grundrechtsorientierte Ausländerpolitik zur Debatte zu stellen. Und auch diese Initiative wurde nicht aus dem damaligen Mainstream der Linken initiiert. Niklaus Scherr (AL, damals POCH) konstatierte damals, dass selbst das Interesse der radikalen Linken an der Migrationspolitik mit dem Niedergang der Schwarzenbach-Republikaner geringer wurde und kritisierte: «Als Folge davon bewegt sich die Ausländerpolitik immer noch stark im Ghetto karitativer Betreuung. Ein bezeichnender Ausdruck für diese Situation ist auch die Tatsache, dass der wichtigste konkrete Vorstoss zugunsten der Ausländer, die Mitenand-Initiative, im wesentlichen von christlich-sozialen, linkskatholischen und linksbürgerlichen Kreisen lanciert worden ist.» (Autorengruppe 1980, 224) Heute wäre – ironischerweise – das Gegenteil zu konstatieren. Der Charme der Opposition ist offenbar weit geringer als in den 68ern. Gerade weil die SVP das Thema Ausländer und Asylpolitik so stark besetzte schlug sich wohl die SPS von Einzelpersonen abgesehen lange Zeit in die Büsche: Hier waren keine Lorbeeren und keine Wählerstimmen zu ernten (vgl. Fankhauser 1998, Busch 1998 und Glättli/Busch 2005).
Das brutale Scheitern der Mitenand-Initiative (16.2% Ja Stimmen) am 5. April 1981 setzte jedenfalls einen traurigen vorläufigen Schlusspunkt hinter eine aktive Thematisierung der Migrationspolitik von links. Seit einem Vierteljahrhundert und bis heute kam kein Initiativprojekt für eine andere Ausländerpolitik auch nur in die Sammelphase. Und die Debatte verlagerte sich – parallel zum Aufstieg der SVP und dem Niedergang der Nationalen Aktion - von der Immigration auf den Asylbereich. Politisch wurde die Auseinandersetzung um die permanente Verschärfung des Asylgesetzes und die Annäherung an die EU prägend (vgl. Caloz-Tschopp 1999 und Glättli/Busch, 2005)
In einem zweiten Teil werde ich drei mögliche Diskussionsachsen vorstellen, an denen sich – aktuell – eine neue migrationspolitische Debatte orientieren könnte.
In die Offensive kommen - Versuche in den 90ern scheiterten
Bereits Ende der 80er Jahre kritisierten verschiedene Organisationen den rein defensiven Charakter der Asylbewegung. Sie forderten ein Umdenken in der Linken. Die Forderung nach offenen Grenzen sollte aufgegeben werden. Die «konstruktiven Vorschläge» hatten zum Ziel, den Asylbereich zu entlasten und einen Unterschied zwischen politischen Flüchtlingen und kontingentierten Arbeitssuchenden (sprich: «Wirtschaftsflüchtlingen») zu akzeptieren, um im Gegenzug den Arbeitsmarkt eben auch für Arbeitssuchende aus Drittländern zu öffnen. Sowohl Leute aus der SAH-Flüchtlingsabteilung als auch eine Arbeitsgruppe der Bewegung für eine offene, demokratische und solidarische Schweiz (kurz BODS, eine der beiden Vorläuferorganisationen von Solidarité sans frontières), forderten 1989 ein Migrationsgesetz und eine «integrierte Aussen-, Asyl- und Einwanderungspolitik». Dieses Modell sah vier Migrationskategorien vor: 1. Individuell (politisch) verfolgte Asylsuchende, die unkontingentiert aufgenommen werden sollten. 2. Kollektiv verfolgte Gewaltflüchtlinge mit zeitlich begrenztem Aufenthalt und sofortiger Arbeitsbewilligung. 3. Nicht verfolgte Arbeitssuchende aus allen Ländern, deren Zahl entsprechend der Arbeitsmöglichkeiten zu kontingentieren sei. 4. Ausbildungssuchende, die befristet für die Aus- und Weiterbildung in der Schweiz bleiben sollten.
Diese Vorschläge stiessen allerdings innerhalb der Bewegung auf grosse Skepsis. Ein andere BODS-Arbeitsgruppe («AG Süd-Süd») stellte als Gegenkonzept die Forderung auf nach voller Freizügigkeit, Abschaffung der verschiedenen Ausländerstatute, einem gesetzlichen Mindestlohn, Ausländerstimmrecht und kostenloser Einbürgerung nach fünf Jahren.
Die massive Auseinandersetzung innerhalb der Bewegung stoppte die Umsetzung der ursprünglichen Vorschläge. Die Tatsache, dass die an einer Medienkonferenz präsentierten Vorschläge trotz einigem verbalen Schulterklopfen in Zeitungskommentaren («Nützlich, weil unpolemisch» titelte 1989 die Basler-Zeitung) keine positiven Reaktionen in den Parteien und einer breiteren Öffentlichkeit zur Folge hatten, hätten auch sonst eine breite Allianz unwahrscheinlich scheinen lassen.
Die Sans-Papiers-Bewegung - Erfolg und Scheitern
Neue Anstösse in der Ausländerpolitik gab Anfang des neuen Jahrtausends das Aufkommen der «Sans-Papiers»-Bewegung. Obwohl Angeline Fankhauser (SP) bereits 1997 mit einer Motion eine «Amnestie für Papierlose» forderte – der Vorstoss wurde übrigens auch von den nachmaligen Bundesräten Couchepin und Deiss unterzeichnet – fand der eigentliche Aufbruch erst 2001 statt, als die Sans-Papiers selbst mit Aktionen in die Öffentlichkeit traten. Insbesondere im Welschland gelang es nach vielen Versuchen, eine echte Bewegung zur Unterstützung und mit aktiver Beteiligung der Illegalisierten aufzubauen. Kirchenbesetzungen sensibilisierten die Öffentlichkeit und interessanterweise stiessen die Anliegen der Sans-Papiers in der Bevölkerung auf breites positives Echo (vgl. dazu ausführlich Lanz, 1999).
Gemeinsam war allen Sans-Papiers, dass sie eine oft langjährige Geschichte der offensichtlich unproblematischen Ko-Existenz vorweisen konnten. Sie arbeiteten. Sie wurden offensichtlich gebraucht und ihre Arbeitskraft war in der Hausarbeit, auf dem Bau, bei der Ernte, im Gesundheitswesen geschätzt. Und sie verhielten sich – zwangsläufig – extrem unauffällig und gesetzestreu. Mit ihrem Auftauchen «aus dem Nichts» artikulierten sie ein Problem, das nicht einfach mit der asyl- und sozialpolitischen Missbrauchskeule erledigt werden konnte. So kam erstmals wieder eine Debatte über die Migrationspolitik der Schweiz in Gang.
Die von der Bewegung gestellte Forderung nach einer kollektiven Regularisierung aller Sans-Papiers oder zumindest einer kollektiven Regularisierung nach einfachen, objektiven Kriterien (wie zum Beispiel vierjährige Aufenthaltsdauer) scheiterte allerdings, trotz kritisch-positiver Würdigung teilweise auch in der bürgerlichen Presse und trotz ähnlicher Amnestien in europäischen Nachbarländern. In einer politisch äusserst geschickten Reaktion verkündete die damalige CVP-Bundesrätin Ruth Metzler die Prüfung einzelner Härtefälle (Zirkular Metzler im Dezember 2002). Wesentliche Kräfte der Bewegung wurden dadurch in die Einzelfallarbeit umgeleitet. Die Solidarisierung der Betroffenen untereinander wurde aufgebrochen. Auch wenn die Bewegung immer wieder betonte, an der Forderung zur kollektiven Regularisierung festzuhalten, befand sie sich nunmehr in der Defensive. Der «Erfolg» der Einzelfallregelung ist minimal, weniger als 2000 Personen wurden – vornehmlich in Kantonen der Welschschweiz – legalisiert.
AuG-Debatte und die Kampagne «Ohne uns geht nichts.»
Die 2002 eingeführte Personenfreizügigkeit für EU-BürgerInnen und ihre Ausdehnung auf die neuen EU-Mitglieder beschnitten den migrationspolitischen Handlungsspielraum massiv. Einen Fortschritt bedeutet dies insofern, als dass die Diskriminierung der EU-MigrantInnen in der Schweiz heute in vielen Bereichen weitgehend aufgehoben ist, einen Rückschritt, als dass die offizielle Ausländerpolitik und damit auch die Intention des neuen Ausländergesetzes (AuG) heute eine spezifische Diskriminierung nicht-europäischer MigrantInnen ist.
Auf den Entwurf des AuG reagierte Solidarité sans frontières mit der Kampagne «Rechte für alle!» und lancierte eine breit koordinierte Vernehmlassung vieler NGOs zum AuG-Entwurf. Nachdem das Doppelreferendum gegen das neue AuG und die Asylgesetzverschärfung absehbar war, versuchte Solidarité sans frontières mit verschiedenen Aktivitäten die Gräben zwischen asyl- und migrationspolitisch engagierten Kreisen zu überwinden und einen gemeinsamen Diskussions- und Bewegungszusammenhang zu gestalten, um so eine Dynamik über die nur schwer zu gewinnenden Referenden heraus zu schaffen.
Die zu diesem Zweck lancierte Kampagne «Ohne uns geht nichts.» sollte gleichzeitig erste Schritte aus der Defensive einleiten. Ein breit angelegtes Manifest (www.ohneuns.ch) wurde formuliert und über 100 unterstützende Organisationen gefunden. Ein schweizweiter Aktionstag am 4. Mai 2004 anlässlich der Sondersession zu AuG und Asylgesetz und zwei friedliche und bunte Grosskundgebungen am Flüchtlingstag 2005 und 2006 mit in diesem Jahr über 11'000 Teilnehmenden trugen das Anliegen an die Öffentlichkeit und waren Zeichen eines gemeinsamen Engagements.
Zu kurz kamen bei all diesen Aktivitäten allerdings die echte Vernetzungsarbeit und vor allem auch die inhaltliche Debatte. Es brauchte den Anstoss der Asylkoordination Waadt, damit wir im Rahmen der Kampagne im Dezember 2005 die ersten zweitägigen «Etats généraux de la migration et de l’asile» organisierten, welche diesen Aspekten erstmals mehr – wenn auch nicht genug – Platz gaben. Selbst wenn die dabei gewälzten grossen Pläne nicht in wenigen Monaten umgesetzt werden können, hat diese «erste Landsgemeinde der Immigration» doch mit ihrer Schlussresolution eine klare Richtung vorgegeben:
- «Wir wollen eine Debatte zur Migrationspolitik lancieren, welche über den Referendumskampf hinaus eine neue Dynamik erzeugen wird.»
- «Wir fordern die Schweiz auf, die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte der WanderarbeiterInnen und ihrer Familien zu unterzeichnen.»
- «Wir fordern Grundrechte und soziale Rechte für alle – unabhängig vom ausländerrechtlichen Status – und wir fordern die kollektive Regularisierung der Sans-Papiers.»
Diskussionspunkte: Personenfreizügigkeit, Grundrechte, Gleichbehandlung
Ausgehend von diesen Forderungen, und in der Hoffnung, damit zum Aufbau eines breiteren Diskussionszusammenhangs beitragen zu können, soll nun im zweiten Teil folgenden Fragen nachgegangen werden: An welchen Linien könnten sich heute Entwürfe einer alternativen Migrationspolitik orientieren? Welche Kompromisse dürfen sie eingehen?
These 1: Der Erfolg der Personenfreizügigkeit entkrampft die Diskussion
Mit der Personenfreizügigkeit hat die Schweiz im Rahmen der bilateralen Verträge mit der EU bereits erste positive Erfahrungen gemacht. Die Ausweitung auf die neuen Mitgliedsländer gekoppelt mit flankierenden Massnahmen wurde – in einer breiten Allianz von linken, gewerkschaftlichen und Wirtschaftskreisen – im Herbst 2005 klar gutgeheissen. Die Diskussion wurde allerdings meist nicht auf der migrationspolitischen Ebene geführt, sondern mit wirtschaftspolitischen und EU-integrationspolitischen Argumenten. Eine andere, grundsätzlichere Sicht formulierte zum Beispiel Peter A. Schmid. Zum Ausgangspunkt seiner grundlegenden Überlegungen zur Personenfreizügigkeit nahm er das Menschenrecht auf Auswanderung: « Dieses Recht ist in der Europäischen Menschenrechtskonvention wie folgt formuliert: ‚Jedermann steht es frei, jedes Land, einschliesslich sein eigenes, zu verlassen.’ Was nützt nun aber dieses Recht, wenn ich nirgends einwandern kann? Insofern muss das Auswanderungsrecht, das unbestritten ist, mit einem Recht auf Einwanderung zusammen gedacht werden. (...) Das Recht auf Einwanderung ergibt sich zudem auch aus dem liberalen Grundsatz des globalen Marktes, auf den ja auch die Gegner der Personenfreizügigkeit gerne verweisen. Es ist nämlich nicht einzusehen, wieso Kapital sich frei bewegen soll, Personen in diesem Recht aber grundlegend eingeschränkt werden können. Wenn schon ein globaler, freier Markt, dann bitte auch für Personen und nicht nur für deren Geld.» (Schmid, 2005) Dieses letzte Argument hatte Jürgmeier an einer Demonstration gegen die Zwangsausweisungen in den Kosova 2003 einleuchtend paradox auf den Punkt gebracht: «Ich habe einen Traum. Dass Menschen endlich wie Waren behandelt werden.» (Jürgmeier, 2003)
Die Politik der Ausweitung der Personenfreizügigkeit gegenüber EU kann dann - und nur dann – zukunftsweisend sein, wenn sie das Fundament legt für eine weltweite Freizügigkeit im Personenbereich. Wenn es der Schweiz nicht gelingt, den ArbeitnehmerInnen-Schutz so zu organisieren, dass er real funktioniert selbst bei einer allmählichen weltweiten Öffnung des Arbeitsmarkts, also der Möglichkeit, dass alle Personen mit einem Arbeitsvertrag in der Schweiz hier auch eine Aufenthaltsbewilligung erhalten, wenn das nicht gelingt, dann wird auch die Ost-Erweiterung sehr problematisch werden (vgl. Baumann, 2005).
Umgekehrt könnte beim Erfolg der flankierenden Massnahmen in einer langfristigen Perspektive die Verknüpfung der Migrationspolitik mit den tatsächlichen Bedürfnissen der schweizer Wirtschaft nach dem Motto «Un travail. Un permis.» mehrheitsfähig werden. Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass eine Allianz auch mit Wirtschaftskreisen geschaffen werden kann. Als möglichen Kompromiss möchte ich hier – zumindest in einer Übergangsphase – einen abgestuften Zugang zu ALV und AHV zur Diskussion stellen. Das heisst, dass ausländische Arbeitnehmende erst nach einer verlängerten Übergangsfrist Anrecht auf ALV und AHV hätten und andernfalls einfach das einbezahlte Kapital zurück erhielten.
Wer dies – zu Recht – als diskriminierend bezeichnet, muss daran erinnert werden, dass sich die gesamte Linke hinter ein Modell der kollektiven Regularisierung von Sans-Papiers nach vier Jahren stellte. Im Vergleich zu diesem Modell, welches vier Jahre Aufenthalt in der Illegalität und damit einer weit prekäreren Situation voraussetzt, wäre der obige Kompromiss eine wesentliche Besserstellung. Und er wäre ein massiver Fortschritt zur heutigen Gesetzeslage.
These 2: Statusunabhängige Grundrechte für alle erschweren die Ausbeutung
Eine andere Linie könnte darin bestehen, für eine statusunabhängige Garantie der Grundrechte zu kämpfen – also für die Sicherstellung der Grundrechte auch für Illegalisierte. Solange keine volle Freizügigkeit gegeben ist, wird es immer auch Illegalisierte Personen geben. Statt erreichte Privilegien abzusichern, sollte von unten der Zugang zu den Grundrechten aller MigrantInnen eingefordert werden.
Dieser Vorschlag wäre aus meiner persönlichen Sicht am wünschbarsten. Allerdings ist das Bewusstsein für Grundrechte in der Schweizer Bevölkerung sehr gering. Dies hat sich beispielhaft in der Diskussion um die Zwangsmassnahmen im neuen AuG gezeigt, die auch von vielen «Liberalen» gutgeheissen wurden. Nur eine breit abgestützte Sensibilisierungsarbeit und dauerhafte politische Partnerschaften weit über den Migrationsbereich hinaus könnten hier die notwendigen Basis in der öffentlichen Debatte schaffen.
Die allgegenwärtige Asyl- und Sozialmissbrauchskampagne der SVP müsste endlich aktiv bekämpft werden. Allzu oft hört man selbst bei vielen Linken das reflexartige wenn auch kleinlaute Eingeständnis, dass Missbräuche selbstverständlich bekämpft werden müssten.
These 3: Es gilt vorab, gleiche Rechte für alle hier lebenden Menschen zu schaffen
Als dritte Möglichkeit könnte eine zukunftsgerichtete Migrationspolitik die Gleichbehandlung aller legalen MigrantInnen in der Schweiz in den Mittelpunkt stellen. Dies war das Ziel der Mitenand-Initiative – sie nahm dafür als Kompromiss gegenüber den Gewerkschaften gar einen Passus zur Stabilisierung des Ausländeranteils auf. Auch die aktuelle Argumentation gegen das neue AuG setzt stark auf das Argument, dass nicht MigrantInnen erster, zweiter und dritter Klasse geschaffen werden sollten.
Die auf den ersten Blick plausible Argumentation, dass nicht Pass oder Herkunftsland, sondern die tatsächliche Integration die Haltung der Schweiz gegenüber ImmigrantInnen leiten sollte, führt allerdings aufs Glatteis, weil sie selbst der Willkür Tür und Tor öffnet.
Zuerst die Debatte eröffnen
Weil jeder der oben genannten Thesen aber kaum beim ersten Anlauf eine Mehrheit finden wird, müsste wohl vorab der Versuch ins Auge gefasst werden, mit einer breit gefassten Initiative, welche die verschiedenen Ansätze zusammenfasst, überhaupt erst eine migrationspolitische Debatte zu erzwingen. Der Kampf um die Grundrechte und für eine zukunftsweisende Migrationspolitik wird ein Marathon, kein Spurt.
Zum Schluss: Asylrecht wird nicht überflüssig
Sogar wenn einer oder mehrere dieser Vorschläge in die Praxis umgesetzt werden könnte, bleibt die Schweiz weiterhin verpflichtet, eine menschenrechtskonforme Asylpolitik umzusetzen. Eine «integrierte Migrationspolitik», welche die Trennung von Asyl- und klassischer Ausländerpolitik aufhebt, könnte die Schutzverpflichtung der Flüchtlingskonvention nicht garantieren.
Wenn restriktive Zulassungsbestimmungen zum Arbeitsmarkt heute Menschen dazu drängen, als Asylsuchende oder – immer öfter – direkt illegal in die Schweiz einzuwandern, dürfte zwar eine Erleichterung der Arbeitsimmigration den «Druck» auf das Asylsystem geringfügig verringern. Umso unbegründeter wäre es aber in dieser Situation, das Asylrecht weiter zu verschärfen. Die wiederholten Versuche zum Beispiel der Türkei, via Interpol Flüchtlinge im Ausland zu verfolgen, machen deutlich, dass das Asylrecht weiterhin seine klassische Aufgabe wahrnehmen muss, nähmlich den Schutz vor Auslieferung und Verfolgung zu gewährleisten.
Darum plädiere ich nicht nur für eine liberale Migrationspolitik und für garantierte Grundrechte für alle Menschen in der Schweiz, sondern auch weiterhin für eine menschenrechtskonforme Asylpolitik.
Literatur
- Achermann, Alberto et al. (Hg.), 2005: Jahrbuch für Migrationsrecht, Bern
- Arbeitsgemeinschaft Mitenand, 1981: Weissbuch – Die Ausländer in der Schweiz, Zürich
- Autorengruppe für eine fortschrittliche Ausländerpolitik (Gloor, Ley, Pletscher, Scherr, Schaffroth, Schiavi), 1980: Basta! Fremdarbeiter in den 80er Jahren, Zürich
- Boos, Susanne et al. (Hg.), 1992: Wer rettet die Asylbewegung? (in der WOZ), Zürich
- Busch, Heiner, 1998: Keine Linke ohne Menschenrechtspolitik. In: Widerspruch Heft 35, Zürich
- Caloz-Tschopp, Marie-Claire, 1999: Institutioneller Rassismus in der Ausländer- und Asylpolitik der Schweiz. Das «Drei-Kreise-Modell». In: Widerspruch Heft 32, 2. Aufl. Zürich
- Caloz-Tschopp, Marie-Claire, 1999: Sicherheitsdemokratie und neoliberaler Totalitarismus. Asylpolitik und Wegweisungsvollzug in der Schweiz. In: Widerspruch, Heft 37, Zürich
- Castles, Stephen und Miller, Mark J, 2003: The Age of Migration. International Population Movements in the Modern World, 3. Aufl. New York
- Düvell, Frank, 2002: Die Globalisierung des Migrationsregimes, Berlin/Hamburg/Göttingen
- Fankhauser, Angeline, 1998: Verweigert die Schweiz das Recht auf Asyl? Bundesräte haben ein «Ausländerproblem». In : Widerspruch, Heft 35, Zürich
- Glättli, Balthasar und Busch, Heiner, 2005: Niederlage für die Grundrechte. Zur Schengen/Dublin-Abstimmung in der Schweiz. In: Widerspruch Heft 48, Zürich
- Gruppe augenauf, 1998: Ausschaffen - um jeden Preis. In : Widerspruch, Heft 35, Zürich
- Hans Baumann, 2005: Freier Personenverkehr und EU-Erweiterung. Genügen die flankierenden Schutzmassnahmen? In: Widerspruch Heft 48, Zürich
- Hayes, Ben, 2006: Our «Freedom», their labor: a «trademan’s entrance for Fortress Europe», auf www.statewatch.org
- Jürgmeier, 2003: Demonstration gegen die Zwangsausweisungen in den Kosova 20. Mai 2000: Menschen wie Waren behandeln. Auf www.wort.ch
- Kälin, Walter, Moser, Rupert (Hg), 1991: Migrationen aus der Dritten Welt. Ursachen und Wirkungen, Bern
- Lanz, Anni, 1999: Die Bewegung der Sans-papiers. In : Widerspruch, Heft 37, Zürich
- Schierup, Carl-Ulrik et al., 2006: Migration, Citizenship, and the European Welfare State. A European Dilemma, Oxford
- Schmid, Peter A, 2005: Personenfreizügigkeit – ein Menschenrecht. In: Bulletin Solidarité sans frontières, September 2005
- Wicker, Hans-Rudolf et al. (Hg.), 2003: Migration in der Schweiz, Zürich