Endlich: Bundesgericht hält die Reue-Erklärung von Eritreer:innen für «schockierend»

Artikel
Zeichnung von 3 Ausrufezeichen

Möchten vorläufig Aufgenommene eine Aufenthaltsbewilligung erhalten, müssen sie zahlreiche Bedingungen erfüllen: Mindestens fünf Jahre Aufenthalt in der Schweiz, geklärte Identität, Ablösung von der Sozialhilfe und sprachliche und soziale Integration. In diesem Verfahren verlangen die Migrationsämter regelmässig einen heimatlichen Pass. Eritreer:innen erhalten nur dann einen solchen, wenn sie bei ihrer Botschaft ein Schuldeingeständnis mit folgendem Wortlaut unterschreiben: «Ich bedaure, eine Straftat begangen zu haben, indem ich den Nationaldienst nicht abgeschlossen habe, und bin bereit, zu gegebener Zeit eine angemessene Strafe zu akzeptieren.»

 

Wer als betroffene Person eine solche Erklärung verweigerte, hatte bisher keine Chance auf eine ordentliche Aufenthaltsbewilligung B. Ein in Genf lebender Eritreer wehrte sich über Jahre gegen diese Praxis, bis ihm das kantonale Verwaltungsgericht Recht gab. Dagegen erhob jedoch das SEM Beschwerde ans Bundesgericht. Dieses hat nun gegen das Staatssekretariat entschieden und so diesem Spuk – endlich – ein Ende gesetzt.[1] Er erhält nun einen geregelten Aufenthalt.

 

Endlich, weil die Asylbewegung und die im «Bündnis unabhängiger Rechtsarbeit im Asylbereich» zusammengeschlossenen Rechtsvertreter:innen[2] seit Jahren gefordert hatten, dass solche Schuldeingeständnisse nicht zumutbar seien, um einen ordentlichen Aufenthalt möglich zu machen. Das Bundesgericht hält es in seinem Urteil für unzulässig, dass die Behörden die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung von einer Selbstbezichtigung abhängig machen, indem es auf den Grundsatz verweist, dass niemand gehalten ist, sich selbst anzuklagen.[3] Zudem hält es die Praxis, solche «Reueschreiben» im Zusammenhang mit der Aufenthaltsregelung zu verlangen für «schockierend». Im fraglichen Fall war die Identität des Beschwerdeführers zweifelsfrei erstellt und das Verfahren hatte nicht das Ziel, diesen aus der Schweiz wegzuweisen, sondern seine Stellung auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft zu stabilisieren. 

 

Das Urteil kommt im Vergleich zu Deutschland[4] spät, ist dennoch höchst erfreulich und wegweisend für vorläufig aufgenommene Eritreer:innen, die sich hier etablieren wollen. Die Reaktion des SEM war erst einmal zurückhaltend und unwillig. 

 

[1] BGE 2C_64/2025 vom 21.10.2025.

[2] https://bündnis-rechtsarbeit-asyl.ch/ 

[3] «Nemo tenetur se ipsum accusare.»

[4] Das deutsche Bundesverwaltungsgericht hielt die Reueerklärung schon im Oktober 2022 für unzulässig.

 

Labels