Liebe Anwesende,
Am 5. Februar 2005 war es 10 Jahre her seit der Inkraftsetzung der Zwangsmassnahmen. Zur gleichen Zeit begann die Gruppe augenauf zu wirken. In der roten Fabrik gab es zu diesem Jubiläum einen Anlass: Zehn Jahre Zwang und Widerstand. Der Text, den ich damals las, hat leider nichts an Aktualität verloren, im Gegenteil: mit dem neuen Ausländergesetz und dem revidierten Asylgesetz wurde die Haftdauer verdoppelt, die Beugehaft eingeführt und die Haftgründe erweitert. Ein- und Ausgrenzungen können verfügt werden nur zum Zweck,die Abgewiesenen jederzeit zu erwischen oder sie für Vergehen zu bestrafen, wenn sie die unsichtbaren Grenzen überschreiten. Im Abstimmungskampf über die Referenden hat das Stimmvolk am 24. September 2006 mit grosser Mehrheit allem zugestimmt, was in diesen Gesetzen an Unrecht verpackt ist. Eine Mehrheit, die aus den Gesetzestexten sich nicht vorstellen konnte, was daraus an Konsequenzen erwächst, fehlinformiert von einer Propaganda, die nur noch Missbrauchbekämpfung predigte.
Wie wirken Zwangsmassnahmen auf die Gefangenen? Ich lese Ihnen ein Stück dieses Textes:
Seit der Inkraftsetzung am 1.2.1995 haben Mitglieder von augenauf Besuche bei Gefangenen gemacht, zuerst im Propog und dann im Flughafengefängnis I und ab 1996 im II. Wir haben so ein Stück weit miterleben können, was diese Haft für die Betroffenen bedeutet und wie sie diese erleben.
Es ist fast unmöglich, ihnen weiszumachen, dass diese Haft keine Strafe sein soll. Es gibt keinen sichtbaren Unterschied zwischen Flughafengefängnis I und II - die Sicherheitsmassnahmen sind die-selben. Durch etliche Verwaltungsbeschwerden am Bundesgericht konnten wir wenigstens die Haft-bedingungen den gesetzlichen Vorgaben gemäss auf Minimalstandards bringen, am Anfang war es schlimmer als U-Haft.
Was ist es also, wenn es keine Strafe sein soll? Massnahme heisst das im Verwaltungsjargon. Bei einer Bestrafung für ein Verbrechen ist es für einen Gefangenen möglich, den Freiheitsentzug als Sühne anzunehmen. Die Dauer ist von einem Richter bestimmt. Ein Ende ist absehbar und Resozialsierungsmassnahmen im Vollzug als Vorbereitung auf die Freiheit können unter Umständen für den Gefangenen Sinn machen.
Für den Gefangenen in Ausschaffungshaft gilt all dies nicht. Das einzige Ziel der "Massnahme" ist seine Entfernung. Sein Verhalten, mag es auch noch so korrekt sein, trägt nichts zu früherer Entlas-sung bei wie beim Drittel im Strafvollzug. Er sitzt in der Mausefalle. Wenn die Gitterklappe aufgeht, hockt dort die Katze - d.h. er verschwindet Richtung Flugzeug durch die Hintertüre. Über den Köpfen der Gefangenen dröhnt der Lärm der Flieger, beim Einschlafen weiss keiner, ob es am nächsten Morgen um 0500 h ihn trifft. Sie hören ihre Kollegen schreien, wenn vermummte Polizisten in einer Nachbarzelle zuschlagen. Diese Ausweglosigkeit macht krank. Sie wissen nicht, was die Behörden planen. Nicht wenige werden ein- oder mehrmals notfallmässig in die Psychiatrie eingeliefert, es darf keinen Toten durch Selbstmord im Gefängnis geben. Sobald die akute Phase der Verzweiflung etwas beruhigt ist, heisst es: zurück in den Knast.
Daran hat sich wohl seit 2005 nichts geändert. Hat sich bei mir etwas geändert? Bin ich in Routine geraten? Nach 10 Jahren augenauf habe ich mich etwas zurückgezogen, wollte meine Aufgabe an Jüngere abgeben. Als ich nach einem längeren Unterbruch wieder auftauchte, wurde ich von allen Seiten begrüsst, wie wenn eine alte Tante wieder einmal zu Besuch kommt. "Grüezi Frä Weipma, jä wie gaats? Scho lang nüme gsee." Das war ein heilsamer Schreck. Bin ich zu einem Einrichtungsstück geworden? Das Alibi zur Entlastung des Personals? Habe ich mich an den Skandal dieser Haft gewöhnt? Beim Haftrichteramt das gleiche: " So sind si ä wider emal bi eus?" Schon auf dem kurzen Weg vom Bus bis zur Wengistrasse 28 grüsst diese oder jener. Es war Zeit, das Feld zu wechseln.
Sich nicht gewöhnen ans Unrecht, die Empörung warm halten und rechtzeitig andernorts auf andere Weise weiterkämpfen - das habe ich lernen müssen.
Am 8. Juni dieses Jahres starb Peter Rühmkorf 78 jährig. Die Nachrufe waren zahlreich, ein neuer Preis hat ihn noch erwartet. Ein alter Titel seiner vielen Gedichte war mir seit Jahren ein Leitspruch:
"Bleib erschütterbar und widersteh"
Wir sind hier in einer Ausstellung von Werken, die hinter Mauern und Gittern entstanden sind. Unter widrigsten Umständen schaffen Entrechtete, überflüssig Gewordene Kunst. Welch ein Jammer, dass unsere Gesellschaft so viel Kreativität verschleudert. Diese Werke sind aber auch ein starkes Zeichen von Widerstand: "Ihr könnt Eure Gesetze verschärfen, Ihr könnt uns doppelt so lang einsperren, - unsere Seelen beugt Ihr nicht".
Auch wenn die Zeiten düster sind, lassen wir uns anstecken von diesem Überlebenswillen! Die drinnen, wir draussen, wir geben nicht auf.
Vor drei Jahren in der roten Fabrik schloss ich mit einem Satz, den ich hier wiederhole: Was es braucht: einen langen Atem und Lust am Streiten - für Menschenrechte, die auch hierzulande nicht geschenkt sind.
Afra Weidmann