von Judith Giovannelli-Blocher
Ich mag nicht länger in einem Land leben, das auf Grund eines zufälligen Standort-vorteils (schliesst an kein Drittweltland an) den Ländern, die weniger Glück haben (wie z.B. Italien) sämtliche aus Krieg, Not und kriminellen Machenschaften Fliehende überlässt, während wir ihnen unsere goldgepanzerten Türen vor der Nase zuschlagen.
In einem solchen Land des Unrechts fühle ich mich nicht sicher.
Ich bin eine alte Frau, höre nicht mehr gut und meine Standfestigkeit ist so-so-la-la. Ich bemerke, dass ich auf der Strasse und wenn es dunkel wird, allmählich ängstlicher werde. Wenn mich dann plötzlich ein Rudel von 2 m grossen Schwarzen um-gibt, kriege ich Angst. Dann schalte ich meinen Verstand ein und erinnere mich, dass die grossen Menschheitsverderber des letzten Jahrhunderts (von Hitler über Musso-lini zu Stahlin) alle klein und weiss waren. Dann muss ich lachen, denn natürlich kann ich ihre Machenschaften nicht mit der Hautfarbe und Körpergrösse in Zusammen-hang bringen (aber warum fürchte ich mich dann vor einem Rudel von Schwarzen?). Lachen befreit. Und mir fällt jetzt der Schwarze ein, der regelmässig die Mini-Bar durch den Schnellzug Zürich-Genf schiebt und mit seinem strahlenden Wesen stets den ganzen Bahnwagen ansteckt. Und ich erinnere mich an den wunderbaren Arzt aus Ghana, der meinen Vater im kleinen Bezirksspital bis zum Tod begleitet hat - und mir wird wohl und weit.
Ich habe es natürlich auch gut: ich wohne in Biel. Unsere Stadt besteht zu mehr als einem Viertel aus Ausländern: 127 Staaten sind bei uns vertreten. In einer solchen Umgebung muss man sich einfach auseinandersetzen mit andersartigen Menschen, und mir fällt auf, dass es bei uns weniger Ausländer-Angst gibt als anderswo. Schon wir Einheimischen verständigen uns in verschiedenen Sprachen (unsere Stadt ist bilingue), das erhöht die Offenheit für fremde Zungen. Und wir müssen nicht hinter unseren zugezogenen Vorhängen und vor dem Fernsehen Angst haben vor dem Phantom „Ausländer“. Wir treffen ihn Tag für Tag in grosser Anzahl und erleben, dass er ein Mensch ist wie wir. Gelebte Überwindung der Gefühle von Fremdsein macht sicherer als das Wegsperren der Angst!
Wer sich nicht interessiert und einsetzt für Menschen, die auf der Verlierer-Seite der Menschheit geboren sind, rutscht automatisch auf die (rechte) Seite derer, die mit Abwehr-Argumenten fechten, ihren Besitz und ihre Unversehrheit verteidigen. Da Abwehr die Angst erhöht, führt diese zu immer rigoroserer Abriegelung.
Eine solche Gesellschaft verliert die Freude, ersetzt Gemeinschaft, die aus gegensei-tigem sich umeinander kümmern und voneinander lernen besteht, durch Spass und Events. Da man davon nicht satt wird, wird sie schliesslich daran verhungern.
Eine ängstliche Ghetto-Schweiz, die möglichst unberührt von den Problemen der Welt bleiben will, verpasst das Leben.