Dies geschieht, wenn die SVP-Asylinitiative angenommen wird. In üblich brutaler Manier, und mit noch weiter gehenden Forderungen als in früheren Initiativen will die SVP einen Stacheldraht um die Schweiz errichten. Das Grundrecht auf Schutz soll abgeschafft werden. Nicht die möglichen Fluchtgründe werden geprüft, sondern der Weg der Asylsuchenden in die Schweiz. Rechtsstaatliche Verfahren gibt es folglich nicht mehr! Die Initiative trifft ohne Unterschied alle: Verfolgte, Gefolterte, Traumatisierte, unbegleitete Kinder und Jugendliche, alleinstehende Frauen, Familien mit ihren Kindern, Kranke und Pflegebedürftige! Sie allen werden mit der Missbrauchs-Initiative zu Betrügerinnen, Kriminellen und moralisch minderwertigen Menschen gestempelt.
Das Kernstück der Initiative ist die Drittstaatenregelung. Auf Asylgesuche, von Personen, die aus einem "sicheren Drittstaat in die Schweiz eingereist sind, wird nicht eingetreten, wenn der Asylsuchende im Drittstaat ein Gesuch gestellt hat, oder hätte stellen können". 98% aller Flüchtlinge und Schutzbedürftigen reisen aber auf dem Landweg in die Schweiz. Ihr Weg führt sie folglich durch sichere Drittstaaten, sie hätten ihr Asylgesuch anderswo stellen können. Die Initiative verlangt, dass die Schweiz Flüchtlinge und Schutzbedürftige ohne Prüfung ihrer möglichen Asylgründe wieder in das zuletzt durchreiste "sichere" Land zurückschickt. Die Menschen sollen also alle ausgeschlossen werden und einen Nichteintretensentscheid erhalten, egal welches Schicksal sie in ihrem Ursprungsland erlitten haben.
Die Flüchtlinge haben zwar die Möglichkeit, eine Beschwerde einzureichen, diese ist jedoch nur auf die Frage nach dem sicheren Drittstaat beschränkt. Die Beschwerdefrist ist ausserdem mit 24 Stunden extrem kurz. Sie widerspricht der Anforderungen des Völkerrechts.
Mit der Drittstaaten-Regelung entledigt sich die Schweiz "elegant" ihrer Flüchtlinge – im Alleingang, wie es die SVP immer wieder will. So wird sich die Schweiz aber auch den Ärger ihrer Nachbarn aufladen, die bestimmt keineswegs bereit sind, die Schweiz auf diese Weise zu entlasten. Zudem wird kein einziges Land auf eine blosse Erklärung hin und ohne genaue Abklärung durch die Schweizerbehörde, Flüchtlinge und Asylsuchende zurücknehmen. Abgewiesene, die nicht in ihr Land zurückgehen können, leben dann ohne geregelten Status (vorläufig Aufgenommene) und in äusserst prekären Verhältnissen, denn die Initiative fordert auch tiefere Fürsorgeleistungen und ein verschärfteres Arbeitsverbot.
Der gehässige Grundton - zu viele und kriminelle Ausländer, die das Asylrecht missbrauchen - zieht sich als roter Faden durch alle Forderungen der Anti-Asylinitiative hindurch. Der alte menschenverachtende Forderungskatalog der 18%-Initiative wird, mit weiteren Zusätzen versehen, neu aufgelegt: Rückschaffung in sichere Drittländer, kein geregeltes Asylverfahren, grundrechtswidrige Verschlechterung des Sozialstandards. Dies ist umso bedenklicher als die Initianten – sie stützen sich auf professorale Gutachten - behaupten, ihre Initiative sei Völkerrechts-konform. Richtig ist, dass mit der Initiative einmal mehr das Völkerrecht ausgehöhlt und in allen Punkten gegen Treu und Glauben verstossen wird. Dies ist einer humanitären Schweiz nicht würdig.
Mit ihren simplen und vermeintlich einfachen Lösungsvorschlägen, sowie ihren irreführenden Angaben schürt die SVP einmal mehr Fremdenhass und Rassismus. Sie trägt damit zur Eskalation von Gewalt gegen Fremde bei und schafft damit ein Klima der Angst und der Ablehnung in der Schweiz.
Die Initiative ist ausserdem bewusst irreführend, sie bringt auch keine politische Lösung des Flüchtlingsproblems. Die Wählerinnen und Wähler werden sich dennoch angesprochen fühlen – und das ist der Skandal einer Regierungspartei, die eigentlich demokratischen Regeln, rechtsstaatlichen Verfahren und humanitärer Sorgfalt verpflichtet sein müsste.
Ruth-Gaby Vermot, SP
Bern, 11. Oktober 2002
Extrabestrafung von Konventionsflüchtlingen
Tausende von Asylsuchenden leben heute unter unbefristetem Arbeitsverbot in der Schweiz. Betroffen von diesem Arbeitsverbot waren beispielsweise während rund zwei Jahren die Roma aus dem Kosovo, deren Gesuch zwar abgelehnt worden war, die aber nicht ausgewiesen werden durften (weil sie nach den NATO-Bombardierungen aus "ethnischen" Gründen an Leib und Freiheit bedroht waren). Das hiess, dass die kosovarischen Roma in der Schweiz gezwungen waren, über Monate oder Jahre untätig zu bleiben und von Sozialleistungen weit unter dem Schweizer Durchschnitt zu leben.
Ein alter Zopf?
Was die SVP in ihrer 1999 lancierten Initiative unter Buchstabe f) fordert, nämlich die eigenständige Erwerbstätigkeit von Asylsuchenden nach einem letztinstanzlichen negativen Entscheid zu verbieten, ist bereits 1998 ins totalrevidierte Asylgesetz aufgenommen worden (Art. 43, Abs. 2, AsylG). Die konkreten Folgen für Betroffene sind katastrophal: sie leben völlig ausgegrenzt und leiden unter einer erdrückenden Perspektivelosigkeit. Auch die unter den Buchstaben d) und e) vorgeschlagenen Einschränkungen von medizinischen Leistungen und von Fürsorge weit unter dem Schweizer Existenzminimum sind heute bereits Realität oder werden in der laufenden Teilrevision des Asylgesetzes den SVP-Forderungen angepasst. Auch heute schon erfolgt Unterstützung in Form von Sachleistungen; auch heute schon bestimmen Kantons- und Gemeindebehörden darüber, welche Ärzte Asylsuchende aufsuchen können und wann sie das dürfen. Oft wird von bürgerlicher Seite gesagt, diese Forderungen seien heute bereits überholt und ein alter Zopf. In Wirklichkeit wurden Praxis, Verordnungen und Gesetzgebungen laufend den Forderungen der SVP angepasst. Die Initiative hat ihre Wirkung schon lange vor der Abstimmung entfalten können. Wenn die SVP ihre Abstimmungskampagne unter dem Schlagwort "Schluss mit leeren Versprechungen" führt, verschleiert sie, dass die Behörden die meisten SVP-Forderungen schon umgesetzt haben. Unerfüllt bleibt noch die Forderung nach Reduzierung der ärztlichen Leistungen auf den Notfalldienst.
Providurium für Konventionsflüchtlinge
Es ist aber die vorgeschlagene Drittstaatenregelung, die das Leben von Verfolgten und Bedrohten zusätzlich prekarisiert. Die SVP-Initiative will mit ihrer Drittstaatenregelung denen, die nicht weggewiesen werden können, die Möglichkeit auf eine Verbesserung ihrer prekären Lebensbedingungen rauben.
Weil kein Asyl mehr erteilt wird, müssen die Asylsuchenden, deren Wegweisung nicht zulässig ist, unbefristet im schlechten Status von vorläufig Aufgenommenen verbleiblen. Bloss die Asylgewährung erlaubt ja ein menschenwürdiges Leben, z.B. die Möglichkeit einer beruflichen Weiterbildung, den uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt, die Möglichkeit, ins Nachbarsland zu reisen, Familienangehörige nachzuziehen und nach fünf Jahren eine Niederlassungsbewilligung zu erlangen. Aber eine Asylgewährung ist gemäss SVP-Initiative nicht mehr möglich. Gelangen die Asylsuchenden in die zweite Verfahrensschlaufe, nachdem die Wegweisung in ein Drittland nicht hat erfolgen können, so bleiben sie im Provisorium gefangen. Fast die Hälfte der heute anerkannten Flüchtlinge sind AkademikerInnen und Hochqualifizierte. Gemäss der SVP-Initiative würde ihnen eine berufliche Entfaltung und das Einbringen ihrer wertvollen Ressourcen in unsere Gesellschaft verbaut.
Ein solcher Vorschlag ist nicht nur gesellschaftlich und wirtschaftlich verantwortungslos, sondern zerstört auch Lebenssinn und Zukunftsperspektiven der Flüchtlinge, welche in der Schweiz bleiben. Kein Mensch, der über die Konsequenzen der Initiative informiert ist, kann der SVP-Initiative am 24. November zustimmen.
Anni Lanz
Solidarité sans frontières
Bern, den 11. Oktober 2002