Das kleine Dorfspital, in dem ich auf die Welt kam, hiess "Asyl". Unmittelbar daneben stand das Waisenhaus. Die Kinder, die dort von Ordensschwestern betreut wurden, waren nicht ganz geheuer. Ihre Herkunft war unklar; sie hatten niemand hinter ihnen, keine Ahnen, keine Mütter, keine Väter.
Ich war behütet seit meiner Geburt, aber ich hatte staatenlos das Licht der Welt erblickt, weil mein Vater seinen deutschen Pass verloren hatte, weil er nicht in Hitlers Wehrmacht einrückte, weil er früh schon sich kundig gemacht hatte, was sich da draussen tat.
Mein Urgrossvater, Heimarbeiter, Schuhmacher bei Bally, war wahrscheinlich ein Wirtschaftsflüchtling aus dem Schwarzwald gewesen. Mein Grossvater hat ein Leben lang auf die "Sauschwaben" geschimpft. Mein Vater war durch und durch ein Schweizer Patriot, immer schon, lange bevor er "Papierli-Schwiizer" wurde, für 4000 Schweizerfranken damals. Einmal, ein oder zwei Jahre zuvor, hatte ihm ein braun-gewordener Jugendfreund mit nur Schweizer Ahnen einen Plan gezeigt. Da sei, ganz in der Nähe, ein KZ geplant, "da kommst du dann rein, wenn sie kommen".
Und ich? Dreizehn Jahre nach meiner Geburt wurde ich im selben "Asyl" am Blinddarm operiert. Ich war Schweizer und immer noch behütet.
Was soll das? Es ist die Reminiszenz eines Bürgers dieses Landes, eines Citoyen, der sich fragt, wie viel mal "sie" es, seit Schwarzenbach, eigentlich noch versuchen wollen, bis ihre Niederlagen, immer mal wieder etwa 46 zu 54, endlich kippen werden? Es brauche ja alles Zeit in dieser Schweiz, wissen diese Schweizer.
Mir scheint, es werde Zeit, dass alle in diesem Land, die Weissen und die Gelben und die Braunen und die Schwarzen, mit oder ohne Papiere, laut und deutlich sagen, sie liessen sich nicht einschliessen. Sie fürchteten nämlich, dass "sie", diese Schweizer, anfingen, dann auch drinnen zu untersuchen, wen man auch noch ausschaffen könnte. Wohin, ist doch egal, Hauptsache, es sind dann endlich alle draussen, die nicht dazu gehören.
Manfred Züfle