In der Pressekonferenz vom "Appell für eine tolerante Schweiz" vom 16. August 2000 zur Abstimmung über die 18%-Initiative vom 24. September 2000
Ich rede aus der Sicht und den Erfahrungen der Kirchen. Deshalb ein Blick auf den Hintergrund.
Ich erinnere an einen uralten Grundsatz des Rechtes: Einerlei Gesetz und einerlei Recht soll gelten für euch und für den Fremden, der bei euch wohnt (4. Mose 15,16), oder in leicht anderer Version: Einerlei Recht soll unter euch gelten, für den Fremden wie für den Einheimischen, ich bin der Ewige, euer Gott (3. Mose 24,22). An der Formel ist erkennbar, dass dieser Grundsatz in der Bibel steht, in der hebräischen Bibel, dem Grund-Buch des jüdischen Volkes und deshalb auch der christlichen Kirchen. Das jüdische Volk hat erkannt, dass die einzige Zuflucht für kleine Völker, für Minderheiten-Gruppen das Recht ist. Darum ist in der Bibel, die immer auch ein Rechts-Buch ist, dieser Grundsatz verankert: Einerlei Recht soll unter euch gelten, für den Fremden wie für den Einheimischen.
Minderheiten, auch die im jüdischen Volk, waren schon immer in der Versuchung, diesen Grundsatz zu durchbrechen und ein besseres, liberaleres Recht für die Einheimischen und ein schlechteres, repressiveres Recht für die Fremden zu etablieren. Gerade weil schon in alten Zeiten das jüdische Volk die verheerenden Auswirkungen von zweierlei Recht erfahren hat, hat es diesen Grundsatz in seinem Recht verankert: Einerlei, nicht zweierlei Recht! Dieser Grundsatz muss ein sozusagen heiliger Grundsatz des Rechts bleiben, wenn eine Gemeinschaft, ein Gemeinwesen nicht kollabieren soll. Wird dieser Grundsatz preisgegeben, so wird damit der Weg zu einer Apartheid-Gesellschaft und einem Apartheid-Staat eingeschlagen. Apartheid-Staaten und -Gesellschaften kollabieren, wie auch jüngste Erfahrungen lehren.
Dieser Grundsatz wird in der Schweiz bereits in gefährlicher Weise verletzt, nämlich mit den Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht. Sanktionen, wie sie nur im Strafrecht vorkommen, nämlich bis zu 9 Monaten Haft, werden da ausschliesslich auf AusländerInnen angewendet, SchweizerInnen sind davon ausgenommen. Dieser Grundsatz darf nicht noch ein zweites Mal verletzt werden, jetzt sogar auf der Ebene der Verfassung. Die 18%-Initiative verletzt diesen Grundsatz aufs massivste, besonders der neu vorgeschlagene Artikel 70 bis, der die Zwangsmassnahmen wesentlich verschärft. Diese Initiative zwingt uns nämlich, zwischen guten und schlechten, zwischen nützlichen und schädlichen AusländerInnen zu unterscheiden. Sie erzieht uns dazu, in ständigem Argwohn zu leben, die AusländerIn, mit der wir gerade Kontakt haben, könnte eine schädliche AusländerIn sein. Diese Erziehung zum Argwohn schadet auch uns selber. Wir werden dadurch auch dazu erzogen, dann nicht nur bei ausländischen, sondern auch bei einheimischen Menschen zu unterscheiden zwischen nützlichen und schädlichen Menschen. Die Unterscheidung zwischen nützlichen und schädlichen Menschen ist aber eine faschistische Unterscheidung. Auch wenn niemand dem Initianten, Herrn Philipp Müller, faschistische Gesinnung unterschiebt - und ich tue es auch nicht - so muss doch in der Analyse der Grundüberlegungen und der Auswirkungen der Initiative die migrationspolitische Richtung klar benannt werden, die in der Unterscheidung liegt, zu der sie uns zwingt.
Für die Policy der Kirchen im Migrationsbereich sind die Prozesse der Integration zentral. Herr Müller spricht auch von Integration. Doch in seiner "Philosophie", wie er sie an der Pressekonferenz von vorgestern (14. Aug.) dargelegt hat, soll die Initiative Integrationsmassnahmen eher ersetzen als fördern - abgesehen davon, dass die Unterscheidung, die sie uns aufzwingt, äusserst integrationswidrig ist, also desintegrierend wirkt. Aus diesem Grund lehnen die Schweizer Kirchen die Initiative einhellig und entschieden ab.