Stellungnahme zur 18%-Initiative
Eine Volksinitiative zur Reduktion der Zahl der Personen, die ohne Schweizer Pass hier leben, ist nichts Neues, auch ihre UrheberInnen sind immer die gleichen: RechtspopulistInnen, die jede Anstrengung für ein konstruktives Zusammenleben ablehnen. Sie setzen eine Quote, willkürlich, muss man sagen. Es gibt keine plausiblen Gründe, keine logische Herleitung für 18%.
Warum überhaupt eine Quote, müssen wir uns fragen. Diese Methode der Grenzziehung hat mit Grundrechten nichts mehr zu tun, weder theoretisch noch in der Umsetzung. Zulassungspolitik ist eine heikle Aufgabe, die sich immer wieder auf neue Begebenheiten einlassen muss, eine Politik, an der sich die verschiedenen Kräfte der Gesellschaft beteiligen müssen, sollen die demokratischen Spielregeln und die Menschenrechte respektiert werden. Eine Quote verunmöglicht politisches Aushandeln nach demokratischen Spielregeln. Sie widerspricht auch der gesellschaftlichen Realität, die mehr denn je gekennzeichnet ist von Veränderung, von Dynamiken, die von der Bevölkerung soziale Verantwortung verlangen.
Warum ist es überhaupt zu dieser Volksinitiative gekommen, kann man weiter fragen. Vielleicht hat dieser Vorschlag von 1995 gar nicht so viel zu tun mit Einwanderung, auch wenn die Folgen der Initiative einwanderungspolitische wären. Einmal mehr soll die Rede über das unerwünschte Fremde ablenken von Problemen, die unsere Gesellschaft selber verursacht, wie die ungleiche Verteilung von Arbeit und Reichtum oder der beschränkte Zugang zu Sozialleistungen für wachsende Teile der Bevölkerung. Es ist grundsätzlich falsch zu meinen, die Begrenzung auf 18% würde diese Probleme lösen. So einfach dürfen wir uns nicht aus der Verantwortung stehlen.
Diese Probleme anzugehen und Lösungen zu suchen, die greifen, gelingt nur, wenn wir die Errungenschaften unseres Landes schätzen und gleichzeitig die Defizite kritisieren lernen. Selbstkritik braucht Mut, aber sie bringt auch Stärke, die wir brauchen, um uns auf all die Veränderungen einzulassen. Wenn uns das gelingt, können wir - unserer selbst sicher - Toleranz üben und Offenheit pflegen. Das tut gut, auch denjenigen, die sich auf Neues einlassen müssen aufgrund der Tatsache, dass sie in die Schweiz einwandern. Sie verrichten Arbeiten, weil sie als Arbeitskräfte dringend gebraucht werden. Sie konsumieren, weil der Markt sie braucht. Sie erwirtschaften einen grossen Anteil der AHV, die wir im Alter brauchen – vorläufig wird das auch so bleiben.
Was denn, müssen wir fragen, würden all die Baubetriebe machen, das Gesundheitswesen, die Landwirtschaft, die jedes Jahr das Kontingent des Bundes beanspruchen, weil sie ohne ausländische Arbeitskraft nicht funktionieren?
Wer, müssen wir fragen, würde definieren, welche Menschen zu den 18% gehören? Wer würde diejenigen auswählen, die gehen müssten? Es gäbe verschiedene Möglichkeiten, letztlich wären alle willkürlich und ungerecht. Es würde bestimmt vor allem Frauen treffen, zum Beispiel wenn sie die Regelung des Familiennachzug beanspruchen würden. Denn diese bietet viel Spielraum, eine verhinderte Einreisebewilligung zu begründen. Es gibt bekanntlich kein Recht auf Familiennachzug.
Die Volksinitiative verletzt Grundrechte und sie verhindert demokratische Auseinandersetzungen, indem sie Unsicherheiten der Bevölkerung ausnützt. Wir lassen uns diese billige Ablenkungsstrategie nicht gefallen, denn wir übernehmen Verantwortung für die Entwicklung unserer Gesellschaft. Das wird nur gelingen, wenn wir uns auf die Herausforderungen der modernen Zeit einlassen und offen sind.
Wir lehnen die Initiative ab, nicht nur weil wir genug haben von einer Politik, die der Bevölkerung keine Eigenverantwortung zutraut, Grundrechte verletzt und Abschottung proklamiert. Wir lehnen sie auch ab, weil wir uns - selbstverständlich und selbstsicher - auf den offenen Umgang mit Eingewanderten und Einwanderung einlassen wollen.
Juli 2000
Annemarie Sancar
cfd Migrationsbeauftragte
Vorstandsmitglied von Solidarité sans Frontière