Wie verliefen die Rettungsoperationen der Aquarius als du an Bord des Schiffs warst?
Im Juni dieses Jahres hat die Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) Libyen neu eine Zone für Such- und Rettungsdienste (SAR) zugewiesen, die von der libyschen Küste nördlich bis zur südlichen Grenze der SAR von Malta reicht. Damit ist Tripoli zuständig geworden für ein ganzes Gebiet, in dem vorher Italien die Rettungsmassnahmen koordinierte. Diese Übertragung der Befugnisse an die libysche Küstenwache führt zusammen mit den Entwicklungen der politischen Lage im eigenen Land dazu, dass Italien keine Informationen mehr weitergibt, wenn es Hilferufe empfängt. Aus diesen Gründen hat die Aquarius praktisch keinen Zugang mehr zu offiziellen Informationen. Wir konnten dennoch Schiffe in Not aufspüren, entweder mit dem Feldstecher von der Kommandobrücke aus oder durch Information von NGO’s, beispielsweise von Alarm Phone. Bei der ersten Rettung konnten wir elf Personen an Bord holen. Die zweite Rettungsaktion fand zwei Tage später bei Nacht statt. Die ganze Nacht hindurch standen wir im Kontakt zur libyschen Küstenwache. Da wir als Erste vor Ort waren, haben wir mit der Rettung der rund 50 Personen begonnen, doch die libysche Patrouille wollte uns das verbieten. Sie trat sehr aggressiv auf und bedrohte uns. Es war sehr angespannt und gefährlich, da die Leute, die wir retten wollten, das libysche Militärschiff sahen. Die Küstenwache hat wirklich unprofessionell agiert. Schliesslich konnten wir die Menschen, darunter 17 Kinder, doch noch an Bord holen.
Wo konntet ihr anlanden?
Da Italien die Schliessung aller Häfen für die Schiffe der NGO’s erklärt hatte, mussten wir Druck auf die europäischen Regierungen ausüben, damit sie eine politische Lösung finden und wir die Menschen in Sicherheit von Bord lassen können. Frankreich, Spanien, Portugal und Deutschland erklärten sich bereit, die geretteten Personen aufzunehmen. Die Übergabe sollte in Malta stattfinden. Aber wir haben keine Erlaubnis erhalten, in die maltesischen Hoheitsgewässer einzulaufen, also mussten wir fünf oder sechs Tage auf offener See in den internationalen Gewässern warten bis sich der Wellengang so weit beruhigt, dass sich ein maltesisches Kontrollboot uns nähern und die Menschen übernehmen konnte.
Wie erklärst du dir, dass die maltesischen Behörden nicht einfach der Aquarius das Einlaufen in die maltesischen Gewässer erlaubt haben, da ja eine politische Lösung gefunden war?
Wir sehen uns einer totalen Weigerung Italiens und Maltas gegenüber, NGO-Schiffe auch nur in ihre Gewässer zu lassen. Das ist das Resultat der europäischen Migrationspolitik, die seit langem die Verantwortung für die Erstaufnahme den Ländern im Süden Europas aufbürdet und sich dann bei der Verteilung der Lasten sehr unsolidarisch zeigt, wie dies das Dublin-Reglement ja möglich macht. Wenn Malta jetzt nicht einmal der Aquarius die Erlaubnis erteilt, in ihre Hoheitsgewässer einzulaufen, so setzen die Behörden damit ein starkes Zeichen, dass sie mit all diesen Aktivitäten nichts zu tun haben wollen. Ich war von diesem harschen Vorgehen gegen die Aquarius überrascht, schliesslich ist sie das einzig verbliebene zivile Rettungsschiff, die anderen wurden längst kriminalisiert oder werden aus obskuren Gründen in den Häfen festgehalten. Es ist ein Spiegelbild der fremdenfeindlichen und antimigratorischen Hetze rechtsnationaler Parteien und Bewegungen, die überall in Europa auf dem Vormarsch sind. Wenn man allein mitten auf dem Meer ist und von der libyschen Küstenwache bedroht wird, hat man wirklich das Gefühl, die Seerettung finde nirgendwo mehr Unterstützung. Zum Glück gibt es noch eine grosse zivilgesellschaftliche Bewegung für die Aquarius, wie dies die Petition mit 25'000 Unterschriften zeigt, die in Bern mit der Forderung eingereicht wurde, das Schiff unter Schweizer Flagge fahren zu lassen.
Wie steht es heute um die Aquarius?
Nachdem uns Gibraltar im Lauf des Sommers die Flagge entzogen hat, sind wir im September von Marseille aus unter der Flagge von Panama ausgelaufen. Einige Tage später haben wir in einem Pressecommuniqué der panamaischen Seeschifffahrtsbehörde gelesen, dass sie unter dem Druck Italiens das Verfahren einleitet, um der Aquarius die Flagge zu entziehen. Nach Beendigung unserer Mission und der Übergabe der geretteten Menschen an die maltesischen Behörden sind wir nach Marseille zurückgekehrt, wo das Schiff nun seit Mitte Oktober vor Anker liegt. Man versucht nun, von anderen nationalen Behörden eine neue Flagge zu erhalten.
In seinem Pressecommuniqué hat Panama die Aquarius beschuldigt, sich nicht an die Seeregeln zu halten. Was hat es damit auf sich?
Die Aquarius respektiert die internationalen Seeregeln: das Seerechtsübereinkommen der UNO (UNCLOS), das Übereinkommen zur Rettung menschlichen Lebens auf See (SOLAS) und die SAR-Konvention. Selbstverständlich ist sie auch dem Völkerrecht und damit den Menschenrechten verpflichtet. Panama hat geltend gemacht, dass wir Schiff die Befehle auf See nicht befolgt haben. Nach der ersten Seerettung, die in Absprache mit den libyschen Behörden erfolgt ist, haben wir uns tatsächlich geweigert, ihnen die bereits geretteten Personen zu übergeben. Gemäss den Regeln in den Konventionen ist es nämlich unzulässig, Menschen zu retten und dann an einen Ort zurückzuführen, an dem sie nicht in Sicherheit sind, wie das bei Libyen der Fall ist. Wenn wir dem Befehl der libyschen Küstenwache gefolgt wären, hätten wir gegen die Flüchtlingskonvention von 1951 und ihrem Non-Refoulement-Prinzip verstossen.
Amanda Ioset
Für mehr Informationen: onboard-aquarius.org