Als Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts - so bezeichnet der Vertrag von Amsterdam, so bezeichnet seit 1997 die Europäische Union ihre Politik der Justizzusammenarbeit, der Grenzkontrollen, ihre Politik betreffend Asyl und Einwanderung.
Faktisch findet etwas anderes statt. Die EU hat zwar mit Schengen die Personenkontrollen an den Grenzen abgeschafft - die SVP nimmt auch immer wieder Anstoss daran -, allerdings werden umgekehrt gleichzeitig die Grenzwächter neu innerhalb des Landes eingesetzt. So gibt es dann plötzlich Kontrollen von Grenzwächtern im Intercity von Genf nach Zürich.
Vor allem aber, und das kritisieren wir Grünen zuerst, gebärdet sich Europa als Festung. Die Mauern und die Abwehr werden ausgebaut, zu Wasser, zu Lande, in der Luft. Mit der Übernahme der EU-Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache, mit der Übernahme von Frontex plus, beteiligt sich die Schweiz weiter an dieser Politik.
Zwar vergiesst man bei jedem Bootsunglück, wenn Flüchtlinge sterben, Krokodilstränen. Die neue Frontex aber, an der sich mit diesem Abkommen auch die Schweiz aktiver beteiligten würde und die angeblich zur Lösung dieses Problems beitragen soll, trägt nichts dazu bei, die Krisen der Flüchtlingspolitik zu lösen.
Hilft Frontex dagegen, dass Menschen im Meer ertrinken? Nein! Baut Frontex mehr politische und praktische Solidarität unter den Dublin-Staaten auf? Nein! Schafft Frontex anständigere Unterkünfte, schnellere Asylverfahren, bessere medizinische Versorgung? Nein! Trägt Frontex vielleicht wenigstens dazu bei, Fluchtgründe zu bekämpfen? Nein und abermals Nein!
Stattdessen stärken wir mit europäischen Grenzwächtern den Kampf gegen Menschen, die fliehen vor Krieg, vor Verfolgung, vor einem Leben ohne Perspektiven. Wir sind als Grüne durchaus für Zusammenarbeit. Wir wollen Rettungsoperationen ausbauen, wir fordern Legal Access, den Zugang zu rechtsstaatlichen Verfahren, wir unterstützen jedes Engagement gegen Krieg, Elend, Klimawandel - wir unterstützen jedes Engagement gegen Fluchtursachen. Auch die SVP, die den Nichteintretensantrag unterstützt, sagt immer, man müsse vor Ort helfen, müsse vor Ort die Probleme lösen. Wir sind uns nicht immer ganz einig, wie stark wir am gleichen Strick ziehen. Aber nun werden die Kolleginnen und Kollegen von Mitte-rechts sagen, es braucht diese Abschreckung! Sie, Kolleginnen von links, werden sagen: Immerhin haben wir doch Garantien, es wird ja festgehalten, dass Bootsflüchtlinge aufgenommen werden müssen.
Dann sage ich zu Ihnen auf der rechten Seite: Vor der Einführung des neuen Grenzregimes fand ein reger Austausch von Arbeitsmigranten zwischen den Maghreb-Ländern und Spanien statt - und es gab keine Bootsflüchtlinge.
Vor der Einführung der EU-Fluggastrichtlinie 2011 konnte man in Tunis für 75 Euro oder in einer entsprechenden anderen Währung nach Paris fliegen und am Flughafen ein Asylgesuch stellen, statt Hunderte oder sogar mehrere tausend Euro auszugeben für eine möglicherweise tödliche Bootsfahrt.
Und Sie, Kolleginnen und Kollegen von links, sagen, man habe nun doch die Pflicht festgeschrieben, Flüchtlinge aus Booten in Seenot aufzunehmen. Was ist das für ein Erfolg, dass man sich daran freuen muss, dass die EU nicht offen gegen international geltendes Seerecht verstösst?
Haben wir doch den Mut, der EU und uns selbst den Spiegel dieser Werte vorzuhalten, die im Lissaboner Vertrag festgehalten sind und die somit gerade auch Schweizer Werte sind! "Die Werte", heisst es dort, "auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschliesslich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören."
Diesem Ziel könnten wir zustimmen. Die vorliegende Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands geht genau in die entgegengesetzte Richtung. Dem können wir nicht zustimmen.
Deshalb beantragen wir von der Minderheit Nichteintreten, und dies im Wissen darum, dass damit letztlich die ganzen Verträge von Schengen und Dublin hinfällig werden könnten.
Balthasar Glättli
Quelle: parlement.ch