Am 14.März 2018 wurde der Syrer Ahmed H. im Revisionsverfahren im Bezirksgericht von Szeged (Ungarn) in erster Instanz zu 7 Jahren Haft verurteilt. Damit revidierte das Gericht sein Urteil von 2016, in dem der Angeklagte zu 10 Jahren Haft verurteilt worden war. Der Vorwurf des „Terrorismus“ bleibt in der neuen Verurteilung bestehen. Ungarn kennt eine spezielle Definition des Terrorismus: Es genügt die Absicht, den Staat zu etwas zwingen zu wollen, was dieser nicht will – in diesem Fall, die Grenze zu öffnen.
Mit dem Revisionsurteil hat die ungarische Justiz wiederum die Chance verpasst, ihre Unabhängigkeit gegenüber der rechtspopulistischen Regierung von Viktor Orban unter Beweis zu stellen, die den Prozess von Anfang an zur generellen Kriminalisierung der Geflüchteten und deren Unterstützer_ innen missbraucht hat. Hätte das Gericht, kurz vor den nationalen Wahlen am 8. April, den Terrorismus-Vorwurf fallengelassen, wäre die Regierung mit ihrer Hetze blossgestellt worden.
Obwohl das Strafmass reduziert wurde, sind wir als internationale BeobachterInnen über das Urteil schockiert. Flucht ist kein Verbrechen und Flüchtenden zu helfen, auch nicht. Ahmed H. hatte im September 2015 seine Eltern und seinen Bruder auf der Flucht von Syrien nach Europa begleitet und aus menschlicher Not gehandelt, als es nach der plötzlichen Schliessung der ungarischen Grenze zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Flüchtenden kam. Das Gericht lastete ihm u.a. mehrere mutmassliche Steinwürfe gegen Polizisten an, hielt aber gleichzeitig fest, dass Ahmed H. zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln versuchte. Der Terrorismus-Vorwurf ist unhaltbar.
Wir fordern die Freilassung von Ahmed H. und bitten die VertreterInnen von allen demokratischen Institutionen in Europa, in diesem Sinne bei der ungarischen Regierung und deren Botschaften in den verschiedenen Ländern vorstellig zu werden. Wir appellieren an die zuständigen Behörden der EU, die Auszahlung weiterer Subventionen vorläufig zu stoppen, solange von der ungarischen Regierung rechtsstaatliche Regeln nicht beachtet und Menschenrechte verletzt werden.
Die Delegation setzte sich zusammen aus:
- Claude Braun, Europäisches BürgerInnen Forum (EBF), mandatiert von Solidarité sans frontières (Sosf) und migrationscharta.ch, Schweiz, 0041 76 461 46 41
- René Lehnherr, Europäische Föderation freier Radios, Niederlande, 0031 6 28 45 17 62
- Michael Rössler, Europäisches BürgerInnen Forum (EBF), Europäische Föderation freier Radios, Deutschland, 0033 7 80 30 53 76
PS: Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung haben Rekurs eingelegt. Damit geht das Verfahren an die nächsthöhere Instanz. Internationale BeobachterInnen werden an den kommenden Gerichtsverhandlungen nötiger denn je sein, weil Menschenrechtsorganisationen in Ungarn mit Gesetzesverschärfungen und durch ein Klima der Angst mehr und mehr an ihrer Arbeit gehindert werden.
Für weitere Informationen:
https://www.amnesty.org/en/latest/news/2018/03/hungary-syrian-mans-conviction-for-alleged-complicity-in-an-act-of-terror-is-travesty-of-justice/