Nach dem Ende des «Marschs der Hoffnung»
Die «Politik des Durchwinkens und der unkoordinierten Massnahmen» müsse ein Ende haben, forderten die Staats und Regierungschefs der EU am 18. Februar 2016. Die «Schlussfolgerungen» des EU-Gipfels waren die Ansage, dass man die so genannte Balkanroute nun ganz schliessen wollte. Über diese Route hatten 2015 rund 700 000 Menschen den Weg von Griechenland bis nach Deutschland oder gar weiter nach Skandinavien geschafft. Zwar hatte Griechenland zu Beginn des Jahrzehnts mit Unterstützung der EU-Grenzschutzagentur Frontex den Landweg aus der Türkei über den Grenzfluss Evros weitgehend abgeriegelt. Seit dem Frühjahr 2015 stieg jedoch die Zahl der Menschen, die auf dem relativ kurzen Seeweg von der türkischen Küste auf die ägäischen Inseln Griechenlands gelangten, zumeist ohne Registrierung aufs Festland übersetzen konnten und dann den Weg nach Norden nahmen – durch Nordmazedonien und Serbien nach Ungarn, das sie zunächst nicht weiterziehen liess. Ende August steckten Tausende am Budapester Bahnhof Kelety fest. Am 4. September schliesslich entschied die deutsche Bundesregierung, dass sie die Grenzen nicht schliessen, sondern die Flüchtenden aufnehmen würde. Österreich liess die Leute passieren, die jetzt mit Sonderzügen aus Budapest nach München gelangen. Am 15. September schlossen ungarische Polizisten das letzte Teilstück des Zauns an der Grenze zu Serbien. Die Balkanroute verlagerte sich nun nach Westen – durch Kroatien und Slowenien. Ab Mitte November erlaubten die Staaten des westlichen Balkans – auf Druck Österreichs – nur noch den Transit von Menschen aus dem Irak, Syrien und Afghanistan. Im März 2016 war der «lange Sommer der Migration» vorbei. Ab dem 9. März durften nur noch Leute mit Pass und Visum die Grenzen passieren. Neun Tage später folgte der schmutzige Deal der EU mit der Türkei, die sich nun als Grenzwächter Europas in Szene setzen konnte.
Gefährliche Wege, prekäre Bedingungen
Die «Schliessung» der Balkanroute und der Türkei-Deal reduzierten zwar die Zahl der Flüchtenden. Dennoch fand und findet Migration weiterhin statt – allerdings unter noch prekäreren Bedingungen und mit noch mehr Gewalt von Polizei und privaten Sicherheitsdiensten. Aus der einen Balkanroute ist eine Reihe von Migrationswegen geworden. Laut UNHCR sind von Januar bis November 2019 rund 50 000 Personen neu in den Nicht-EU-Staaten des WestBalkans (Albanien, Nordmazedonien, Kosovo, Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina) angekommen. Wie viele es in die EU schafften – nach Kroatien oder gar weiter –, ist völlig unklar. Kroatien hat zwar keinen Grenzzaun gebaut, schiebt aber Flüchtende oftmals mit massiver Gewalt nach Bosnien zurück. Für seine Leistungen an der Aussengrenze soll der EU-Staat jetzt in die SchengenGruppe aufgenommen werden. Die Nachbarn vor der Aussengrenze erhalten derweil «Hilfe» von Frontex. Auch die Migration nach Griechenland findet weiterhin statt. Über 42 000 Geflüchtete können die Inseln nicht verlassen. Allein im Lager Moria auf Lesbos leben heute rund 20 000 Menschen, 15 000 mehr als im Juli 2019. Angesichts der Not hat das SEM jetzt Hilfe für Griechenland versprochen: bei der Registrierung und Identifizierung der Asylsuchenden, bei den neuen verschärften Asylverfahren, bei der «freiwilligen Rückkehr» oder der Grenzüberwachung. Ein zweites Zentrum für unbegleitete Minderjährige soll entstehen. Einige wenige dürfen vielleicht auch in die humanitäre Schweiz kommen.
Heiner Busch