Die Wegweisungen nach Italien gehen trotz der Entwicklung der Sicherheitssituation in der Halbinsel weiter
Die Situation der Flüchtlinge in Italien war in der letzten Zeit kein grosses Thema obwohl sie sich nicht verbessert hat. Solidarité sans frontières und andere Organisationen kritisieren seit Langem die unwürdigen Lebensumstände, denen die Flüchtlinge in diesem Land ausgesetzt sind.Mangels einer genügenden Anzahl adäquater Aufnahmestrukturen befinden sich Tausende von ihnen ganz einfach auf der Strasse, ohne irgendwelche Unterstützung.
Diese Feststellung bleibt sich gleich. Was sich hingegen verändert hat, ist, dass die Schweizer und die europäischen Behörden nicht mehr übersehen können, dass dieses Land wie andere seine Grenzen erreicht hat. Im Juli haben die EU-Minister ein Relocation-Programm beschlossen, mit dem Ziel, in Italien und Griechenland registrierte Flüchtlinge auf die europäischen Länder zu verteilen. Nach einem pathetischen Feilschen, welches zum Ziel hatte, so wenig Flüchtlinge wie möglich zu akzeptieren, haben sich die Staaten schliesslich auf die Relocation von 32‘000 Personen geeinigt. Ende September sah ein 2. Programm die Relocation von weiteren 120'000 Flüchtlingen vor. Obwohl diese Programme den Nachteil haben, dass sie den Flüchtlingen weiterhin das Recht absprechen, das Land auszuwählen, in dem sie ihr Asylgesuch einreichen wollen, zeigen sie auf, dass die Zukunft in der Solidarität unter den Staaten und nicht in der Weiterführung des Dublin-Regimes zu suchen ist, das lediglich die Unterschiede zwischen den Ländern Zentraleuropas und denjenigen an der Peripherie vergrössert.
Die Schweizer Behörden haben beschlossen, sich am ersten Relocation-Programm zu beteiligen und 1500 Personen aufzunehmen, die an das Kontingent von 3000 Flüchtlingen angerechnet werden, das im März angekündigt wurde. Doch parallel dazu gehen die Wegweisungen von der Schweiz nach Italien weiter.Nach den Asylstatistiken der ersten acht Monate 2015, hat die Schweiz 1644 Personen in andere Dublinstaaten geschickt, darunter 770 nach Italien. Es handelt sich um ein komisches Konzept der Solidarität unter Staaten und gegenüber Flüchtlingen! 1500 Personen werden in drei Jahren akzeptiert, während sich die Schweiz in acht Monaten 1600 Personen entledigt. Muss die Solidarität wohl als arithmetische Akrobatik betrachtet werden?
Auf Seiten der EU ist die Heuchelei auch keine Mangelware. Bis heute wurden lediglich 19 Personen aus Italien nach Schweden umgesiedelt. Auf der Sicherheitsebene lässt die Antwort jedoch nicht auf sich warten. Ein erster „hotspot“ oder Triagezentrum wurde anfangs Oktober auf Lampedusa eröffent, wo die Agenten von Frontex die Identifizierung und Eurodac-Registrierung vornehmen und die Asylsuchenden anhören. Für diejenigen, die die erste Triage nicht bestehen, gibt es nur noch die Wegweisung, ein Bereich, in den Italien „signifikante“ Mittel investiert hat.
Die Tendenzen, die sich für die Zukunft in Italien abzeichnen, sind nicht erfreulich: Zunahme der Triagezentren und Intensivierung der Wegweisungen, mit einer Verschärfung der Administrativhaft und der Zwangsanwendung zwecks Registrierung der Fingerabdrücke.
Wie Sosf seit einem Jahr fordert, sollte die offizielle Schweiz fortan aufhören, mit Zahlen Zaubertricke zu machen, um das gute Gewissen zu beruhigen. Sie muss ihre Verantwortung gegenüber Personen, die Krieg, Chaos und Misere entfliehen, wahrnehmen, die „Dublin »-Wegweisungen einstellen und die Gesuche, die in der Schweiz eingereicht werden, auf ihrem Territorium behandeln.
Amanda Ioset, Geschäftsführerin Solidarité sans frontières