«Die bürgerliche Mitte verkauft sich an die SVP»
Ein Kommentar von Moreno Casasola
Fünf Tage nach dem wegweisenden Volksentscheid zur SVP-Masseneinwanderungsinitiative («MEI») kapituliert die politische Mitte ein weiteres Mal vor der rechtspopulistischen SVP. Im Mehrheitsentscheid der SPK-N zur konkreten Umsetzung der Ausschaffungsinitiative spiegelt sich dieselbe Mutlosigkeit und Apeasementstrategie wieder, die der «MEI» hintergründig zum Durchbruch an der Urne verhalf. Der Beschluss der SPK-N, die SVP-Ausschaffungsinitiative zu allergrössten Teilen gemäss dem Wortlaut der Durchsetzungsinitiative umzusetzen, ist vorwiegend als Wahlkampfmanöver zu verstehen, das die Abstimmung zur Durchsetzungsinitiative obsolet machen soll. Dafür opfert die Mitte bereitwillig einen der Heiligsten Grundsätze der Rechtssaatlichkeit: jenen der Verhältnismässigkeit.
Mit Annahme der SVP-Ausschaffungsinitiative vor drei Jahren war klar, dass das Volk einer Vorlage zugestimmt hatte, die sowohl mit nationaler wie internationaler Gesetzgebung und Rechtssprechung kollidiert. Im Zentrum dieser Kollision stehen das Verhältnismässigkeitsprinzip und die Vereinbarkeit der Initiative mit dem zwingenden Völkerrecht. Ersteres opferte die SPK-N ohne Widerstand der politischen Mitte. Die Respektierung des Zweiten wurde durch eine teilweise Ungültigkeitserklärung vorläufig «gerettet». Der Definitionsstreit um den konkreten Inhalt zwingenden Völkerrechts ist damit jedoch nicht beigelegt. Die SVP sieht hier nach wie vor einschränkenden Handlungsbedarf. Und wie weit sie in dieser Frage zu gehen bereit ist, zeigt die aktuelle Debatte zur «MEI» rund um das Thema Familiennachzug. Trotzdem scheint es so, dass die teilweise Ungültigkeitserklärung im Parlament mehrheitsfähig sein wird - was eine Abstimmung zur Durchsetzungsinitiative tatsächlich zumindest merkwürdig machen würde. Die SVP selbst lies die Rückzugs-Frage an der heutigen Pressekonferenz indes erwartungsgemäss unbeantwortet, beide Varianten scheinen möglich. Was aber ist der Preis für dieses Manöver?
Eine bürgerliche Mitte ohne Rückgrat
Der Gestank des Manövers weht einmal mehr aus der Mitte. Sie will eine alfällige Abstimmung im kommenden Frühjahr aus Wahlkampfgründen vermeiden. Und falls die Abstimmung trotzdem kommen sollte, dann möchte sie wenigstens auf der Gewinnerseite stehen. Nach dem Motto: «Liebe SVP, wir haben ja schon alles was ihr wollt umgesetzt». Verlierer in diesem miesen Spiel sind die AusländerInnen, für sie soll die Verhältnismässigkeit nun halt nicht mehr zählen. Doch das ist der Mitte egal, denn auf eine Gruppe, der man selber nicht angehört, schlägt sie gerne ein, um populistisch angehauchte Härte zu zeigen. Man will ja wiedergewählt werden - und im Unterschied zur «MEI» geht es in diesem Fall halt leider nicht um das eigene Wohl.
Der Verlust des Verhältnismässigkeitsprinzip muss für jede demokratische Partei kategorisch unannehmbar sein. Das er von der bürgerlichen Mitte trotzdem einfach akzeptiert wird und somit in einer offensichtlichen Diskriminierung einer spezifischen Bevölkerungsgruppe mündet, ist doppelt verwerflich. Nicht nur verrät sie damit die ausländsiche Bevölkerung, sondern auch ihre eigenen Werte. Oder wie es Nationalrat Balthasar Glättli formulierte: «Die bürgerliche Mitte begeht Selbstmord aus Angst vor dem eigenen Tod.»
Wie schon im Abstimmungskampf zur «MEI» zeigt sich auch in der Debatte um Ausschaffungs- und Durchsetzungsinitiative, dass die bürgerliche Mitte bereit ist, dem Rechtspopulismus Zugeständnisse zu machen. Insbesondere dann, wenn der eigene Fressnapf nicht tangiert wird. Es ist genau diese politische Strategie, die die Ungerechtigkeit in der Schweiz fördert und den Rechtspopulismus nährt.