Das volle Programm der Fremdenfeindlichkeit
Gestern verkündete der Bundesrat den Abstimmungstermin für die erste von drei Abstimmungen, bei denen es jeweils um die Beschränkung der Zuwanderung geht. Am 9. Februar 2014 stimmen wir über die «Masseneinwanderungsinitiative» der SVP ab. In den Monaten darauf wird sehr wahrscheinlich eine Abstimmung zur Personenfreizügigkeitserweiterung zu Kroatien folgen. Spätestens 2015 steht die ECOPOP-Initiative an. Vor welchem Hintergrund finden diese Abstimmungen statt?
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«Die Überfremdungsdebatte» | März 2013 (DEUTSCH)
«Discours: Surpopulation étrangère» | Mars 2013 (FRANCAIS
Der Überfremdungsdiskurs prägte die Schweiz seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Er bildete den Hintergrund für die Gründung der Fremdenpolizei 1917 und das erste Ausländergesetz des Landes, das Gesetz über den Aufenthalt und die Niederlassung der Ausländer (ANAG), das 1934 in Kraft trat. Er setzte sich auch in der Nachkriegszeit fort, obwohl die Schweiz wegen der boomenden Wirtschaft immer mehr Arbeitskräfte aus Südeuropa rekrutierte und definitiv zum Einwanderungsland wurde.
Der Widerspruch zwischen den offiziellen Verlautbarungen und der tatsächlichen Politik der Anwerbung war Wasser auf die Mühlen der Parteien und Gruppierungen am rechten Rand. 1970 konnte die «Schwarzenbach-Initiative, die den Ausländeranteil auf zehn Prozent begrenzen wollte, 46 Prozent Ja-Stimmen verbuchen. Die «Begrenzung der Zahl der Ausländer» hatte sich jedoch als Ziel der offiziellen Politik fest etabliert. Es drückte sich aus im Saisonnierstatut und der damit verbundenen Verweigerung des Familiennachzugs, in der Festlegung jährlicher Quoten für die Kantone. Diese Politik garantierte, dass die Wirtschaft weiter mit Arbeitskräften versorgt wurde, die aber weitgehend rechtlos blieben. Weitere Initiativen der Nationalen Aktion (NA) 1974, 1977 und 1988 erreichten nur noch um die 30 Prozent Ja-Stimmen. In den 80er Jahren verlagerte sich der Überfremdungsdiskurs auf das Asylwesen und die «Bekämpfung der illegalen Einwanderung». Hier profilierten sich nicht nur die in Schweizer Demokraten umbenannte NA, sondern in wachsendem Mass auch die SVP, die die ultrarechten Kleinparteien zu grossen Teilen in sich aufsog.
Gegen die angeblich massive Einwanderung von ausserhalb Europas richtete sich auch die «18-Prozent-Initiative», die der Rheinacher Immobilienhändler Philipp Müller 1995 lancierte. Der FDP-Rechtsausleger fand dabei die Unterstützung nicht nur der üblichen Verdächtigen am rechten Rand, sondern auch von Teilen seiner Partei und schliesslich der SVP. Die Vorlage wurde indes auch von den Wirtschaftsverbänden bekämpft und erreichte im September 2000 nur rund 36 Prozent der Stimmen. In der Abstimmungskampagne hatte der Bundesrat unter anderem darauf verwiesen, dass seit 1991, also seit der Festlegung auf das Drei- und später Zwei-Kreise-Modell, von Spezialisierten und Hochqualifizierten abgesehen ohnehin nur noch Arbeitskräfte aus dem EU- und EFTA-Raum zugelassen würden. Ab 2001 wurde daraus das «duale System»: Das Ausländerrecht mit seinen Beschränkungen galt nun nur noch für die «Drittausländer», während für Leute aus den damals 15 EU-Staaten nun das Freizügigkeitsabkommen galt. Die Rechte hat nicht nur die Einführung der Personenfreizügigkeit gegenüber den EU-15, sondern auch ihre Ausdehnung auf die mittel-osteuropäischen Staaten «EU-8» sowie auf Rumänien und Bulgarien mit dem Referendum bekämpft.
Gegner für die Freizügigkeit
Die zwei neuen Initiativen richten sich allem voran gegen das FZA. Während die SVP praktisch die gesamte Palette der xenophoben Vorurteile anspricht, gibt sich ECOPOP aufgeklärt und wissenschaftlich. Anders als die bisherigen Überfremdungsinitiativen bedient die «Umweltschutzorganisation» nicht die Angst vor Arbeitsplatzverlust, mit der üblicherweise die unteren Schichten der Stimmbevölkerung geködert werden. Die ökologisch getrimmte Rechte versucht, das sich für kritisch haltende Bildungsbürgertum anzusprechen. Die Rede ist von den Folgen der «Überbevölkerung» für die Umwelt, vom ökologischen Fussabdruck u.ä.m.
Der Kampf gegen diese Vorhaben kann nicht nur dem Bundesrat und der Economiesuisse überlassen werden – in der Hoffnung, dass letztere es mit ihrem vielen Geld schon richten würde. Bereits im vergangenen Jahr hat der Bundesrat die Ventilklausel gegenüber den osteuropäischen Staaten aktiviert, jetzt droht die Beschränkung der Freizügigkeit für sämtliche BürgerInnen des EU-EFTA-Raums. Die Regierung hat damit gezeigt, dass sie bereit ist, auf die Forderungen der Rechten einzugehen. Selbst der EU-Feindlichkeit unverdächtige Zeitungen wie der Tagesanzeiger neigen seit einiger Zeit dazu, den Bezug von Arbeitslosengeld durch EU-BürgerInnen, die ihren Job verloren haben, oder gar deren «Sozialmissbrauch» zu skandalisieren. Und der Mieterverband droht mit einem Nein zur Ausweitung des FZA auf Kroatien, um ansonsten durchaus richtige Forderungen durchzusetzen, so als wären nicht SpekulantInnen und ihre politischen KomplizInnen, sondern die ImmigrantInnen an Mieterhöhungen und Wohnungsnot schuld. Die Linke hat also durchaus einiges in den eigenen Reihen zu tun.
Solidarität!
Klar ist, dass die Personenfreizügigkeit für die EU-Kommission und die Lobby aus den Wirtschaftsverbänden ein Instrument war, um Löhne zu drücken und billige Arbeitskräfte aus dem Süden und Osten der Union für den reichen Westen zu sichern. Zwar scheiterte 2006 die nach ihrem Urheber genannte Bolkestein-Richtlinie, die eine Entlöhnung nach den Tarifen im Heimatland, statt nach dem Land, in dem gearbeitet wird, zulassen wollte. Ähnliche Bestrebungen sind aber in der EU längst nicht alle vom Tisch. Die schweizerischen Gewerkschaften haben auf diese Politik mit den «flankierenden Massnahmen» reagiert. Sie waren das Signal, dass alle die hier arbeiten und leben, von den gleichen sozialen Errungenschaften profitieren sollen. Bei aller Schwierigkeit ist dies nach wie vor ein richtiges Konzept – eines der Solidarität. Für die Linke war die Freizügigkeit mit der EU immer ein Schritt zu einer generellen Freizügigkeit. Aus diesem Grunde hat sie ja zum FZA und gleichzeitig nein zum Ausländergesetz gesagt, das erneut die ImmigrantInnen in erwünschte und unerwünschte spaltete. Daran gilt es festzuhalten.
Die SVP gegen die «Masseneinwanderung»
Schon am Abend der Abstimmung über ihre Ausschaffungsinitiative, am 28. November 2010, kündigten siegestrunkene SVP-Politiker weitere Volksbegehren rund um das «Ausländerthema» an. Schliesslich stand ein Wahlkampfjahr bevor. Wenige Monate später präsentierte die SVP ihre Initiative «Masseneinwanderung stoppen». Schon in der Sammelphase sparte man weder mit Geld noch mit Aufwand: Zum 1. August liess die Partei sämtliche Haushalte der Schweiz per Post mit einer Zeitung beliefern. Über Monate hinweg war die Schweiz zugepflastert mit Plakaten: Schwarze, militärisch anmutende Stiefel, die auf das rote Feld mit dem weissen Kreuz einstürmen.
Begrenzungswahn
Die Schweiz solle die Einwanderung wieder selbst steuern, lautet die Parole der SVP. Anders als ECOPOP oder frühere Überfremdungsinitiativen benennt die SVP selbst keine Obergrenze, sie fordert vielmehr, dass der Bund jährlich «Höchstzahlen und Kontingente» festlegt. In deren Berechnung sollen sämtliche Bewilligungen eingehen – also auch die des Asylwesens oder der Grenzgänger. Bei den Höchstzahlen der erwerbstätigen AusländerInnen sollen die «gesamtwirtschaftlichen Interessen der Schweiz» ausschlaggebend sein. Neben dem Gesuch eines Arbeitgebers soll bei der Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen die «Integrationsfähigkeit» und eine «ausreichende, eigenständige Existenzgrundlage» massgebend sein. Jegliche Art von Freizügigkeit ist mit diesem Konzept ausgeschlossen. Völkerrechtliche Verträge, die dem widersprechen, sollen nicht abgeschlossen bzw. in einem Zeitraum von drei Jahren nach Annahme der Initiative neu verhandelt – oder klarer gesagt: gekündigt werden.
An allem Schuld
Die SVP hat damit zwar in erster Linie das Freizügigkeitsabkommen mit der EU im Auge, sie bedient aber schon im Initiativtext selbst die bisher üblichen Versatzstücke der Fremdenfeindlichkeit: die Vorstellung von den «nicht integrierbaren» Fremden, von den sozialhilfe-abhängigen «Schmarotzern» oder dem ungebremsten Zustrom von «Scheinasylanten». Die Ausländer sind an allem Schuld. Keiner hat diesen ideologischen Hintergrund besser benannt als Christoph Blocher bei der Vorstellung der Initiative am 23. Mai 2011 gegenüber der Tagesschau des Deutschschweizer Fernsehens: «Sie können alle Probleme, die wir jetzt haben im Lande darauf zurückführen. Platzmangel, Wohnungsmangel, Lohndruck, die Schulprobleme, Spitäler und so weiter. Es platzt alles aus den Nähten und wir müssen wieder die Ausländerpolitik selber regulieren können.»