Unter dem Deckmantel der Sicherheit bauen die Behörden Überwachung und Kontrolle weiter aus. Das passiert nicht zuletzt durch Instrumente wie das Europäische Reiseinformations- und Autorisierugssystem ETIAS und das Visainformationssystem VIS, die in der kommenden Session beide im Nationalrat behandelt werden. Damit die Schweiz bei diesen Systemen dabeibleiben kann, bedarf es Anpassungen im Ausländer und Integrationsgesetz (AIG), sowie im Bundesgesetz über die Polizeilichen Informationssysteme (BPI). In diesem Rahmen soll das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) Zugang zu neuen Datenbanken und Informationssystemen erhalten - also jene Behörde, die auch die Schnittstelle zu Frontex ist und deren Mitglieder über ihr Mitwissen zu Pushbacks und Menschenrechtsverletzungen bis heute schweigen.
Wie üblich bei Weiterentwicklungen des Schengenbesitzstandes werden weitreichende Eingriffe in Persönlichkeitsrechte und der damit verbundenen Abbau der Grundrechte weitgehend wehrlos geschluckt. Die Haltung von Sosf zu dieser Verräumlichung der Kontrolle durch die Schengener Informationssysteme ist seit Jahren klar: Schluss damit, denn diese Sicherheit gründet auf rechten Narrativen. Zu «Digitalen Technologien im Dienst der Migrationsabwehr» haben wir im vorletzten Bulletin eine ausführliche Übersicht publiziert. Hintergründe dazu gibt es bei der Recherche von Reflekt. Neu dürfen bereits Kindern ab 6 Jahre Fingerabdrücke für die Erhebung migrationsbezogener Daten abgenommen werden. Würden die Millionen anstatt in Abschottung und Überwachung nicht besser in die Sicherung der Grund- und Menschenrechte fliessen? Das wäre in der Schweiz wie auch an den EU-Aussengrenzen bitter nötig.
Geht es nach der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates, sollen Kantone mit Ausreisezentren in Grenznähe ebenfalls mehr finanzielle Mittel erhalten - um Asylsuchende kurzfristig festzuhalten und möglichst rasch abzuschieben. Das scheint durch die rechtstaatliche Brille fragwürdig: Wie sollen dabei Grundrechte der Asylsuchenden gesichert werden, wie beispielsweise das Recht einen Asylantrag zu stellen? Es scheint ganz so, als ob hiermit Pushbacks, also Rückführungen von Asylsuchenden ohne Überprüfung ihres Asylgesuchs, nicht nur formalisiert, sondern finanziell gar unterstützt werden.
Zudem beantragt der Bundesrat die Fortführung vom Zwang bei Covid19-Tests im Fall von Abschiebungen. Die Begründung dafür: etliche Staaten verlangen weiterhin einen negativen Covid19-Test für die Rückübernahme von Asylsuchenden. Bei soviel Zwang geht den Parlamentarier:innen wohl die Menschlichkeit verloren. Dem Vorhaben dürften kaum Stimmen im Weg stehen. Wie bereits bei der Einführung der Massnahme, lehnt Sosf auch deren Fortführung ab – wie zahlreiche Nichtregierungsorganisationen auch. Ein Lichtblick in diesem Thema kam aus dem Kanton Genf mit der Standesinitiative „Nein zur Rückführung von Asylsuchenden in Länder, in denen Menschenrechte mit Füssen getreten werden. Keine Ausschaffungen nach Äthiopien». Doch diese fand in der Kommission kein Gehör: Mit 8 zu 0 Stimmen spricht sich die Staatspolitische Kommission des Ständerates gegen die Initiative aus. Die Wegweisungspraxis des SEM sei angemessen, heisst es. Stimmen von Betroffenen und Medienberichte zeichnen ein anderes Bild – vielleicht ist dieses ja bei ein paar Parlamentarier:innen angekommen. Ebenfalls mit dem Thema Ausschaffungen befasst sich eine Motion von Lisa Mazzone. Diese seht sich für eine Verlängerung der Stabilitätsphase für werdende Mütter im Ausschaffungsverfahren ein. Das beeindruckt den männlich dominierten Bundesrat nicht. Er empfiehlt die Motion abzulehnen.
Ein weiteres Beispiel für progressive Vorstösse der Stände kommt aus der Nordwestschweiz: In einer Standesinitiative fordert Basel-Stadt die Aufnahme von Menschen aus Griechenland und eine proaktive, stärkere Auslastung der Bundesasylzentren. Die Initiant:innen beziehen sich dabei auf die Kampagne "evakuierenJetzt" und die Allianz "Städte und Gemeinden für die Aufnahme von zusätzlichen Flüchtlingen", beides Initiativen die auch Sosf unterstützt. Die Staatspolitischen Kommissionen von National- und Ständerat lehnen den Vorstoss beide ab – das letzte Wort liegt demnach beim Ständerat. Angesichts der Gewalt an in griechischen Grenzregionen und Lager wäre dieser Vorschlag zwar nur aber immerhin ein Tropfen auf den heissen Stein gewesen. Doch bereits solche bescheidene Massnahmen gehen dem Parlament zu weit, während dem die Militarisierung der Aussengrenzen weiterhin mit Millionen unterstützt wird, wie nicht zuletzt die Frontex-Abstimmung bewies.
Doch es gibt auch erfreuliche Entwicklungen, so zum Beispiel ein Postulat von Grünen-Ständerätin Lisa Mazzone. Dieses will den Gründen der tiefen Einbürgerungszahl von Ausländer:innen der zweiten Generation auf den Grund gehen. Und siehe da, der Bundesrat empfiehlt das Postulat zur Annahme. Aber bei einem Postulat darf es nicht bleiben - es braucht praktische Veränderungen, damit sich Menschen willkommen fühlen und die müssen wir schaffen.
Dann gibt es noch allerlei Vorstösse der SVP mit Bezug zum Status S. Sie alle fordern die Überprüfung, Einschränkung oder Aufhebung des Status S für gewisse Personengruppen oder Menschen die aus gewissen Regionen der Ukraine geflohen sind. Die Chiesas, Starks und Knechts der Schweiz zeigen auch in dieser Hinsicht ihr wahres Gesicht: für ihre fremdenfeindliche Agenda sind sie bereit alles zu fordern, mag es noch so absurd sein. Zum Glück zeigt sich der Bundesrat wenigstens in dieser Sache besonnen: kurz und bündig lehnt er alle Eingaben ab.
Diese verschiedenen Vorstösse zeigen vor allem eins: die Mühlen des Parlamentes mahlen langsam, und nicht unbedingt vorwärts. Gerade deshalb ist bei der Verteidigung von Grundrechten eine aktive und unermüdliche Zivilgesellschaft unerlässlich. Nur dann können wir solidarische Städte eines Tages wirklich erstreiten und einem Klima schaffen, dass von einer Willkommens- und nicht einer Abschottungskultur geprägt ist.
Die Herbstsession des nationalen Parlaments
Wo immer es um Grundrechte und migrationspolitische Belange geht, schaut Sosf den Parlamentarier:innen auf die Finger. Wir haben die wichtigsten Diskussionspunkte der kommenden Wochen analysiert.