Bezieht eine Person ohne Schweizer Pass Sozialhilfe, so kann dies Folgen für ihr Aufenthaltsrecht in der Schweiz haben. Für zahlreiche Entscheidungen über die Verlängerung, Rückstufung oder den Widerruf einer ausländerrechtlichen Bewilligung wird die «Integration» einer Person beurteilt. Dabei wird auch der Bezug von Sozialhilfe berücksichtigt (Art. 58a Abs. 1 Bst. d, Art. 62 Abs. 1 Bst. e, Art 63 Abs. 1 Bst c und Abs. 2 AIG). Es handelt sich hierbei um Ermessensentscheide, bei welchen die zuständigen Migrationsbehörden über einen gewissen Spielraum verfügen. Eine allfällige Nichtverlängerung, Rückstufung (Ersatz einer C- durch eine B-Bewilligung) oder ein Widerruf muss verhältnismässig sein (Art. 96 AIG). Hierfür muss gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts unter anderem geprüft werden, inwiefern der Sozialhilfebezug «selbstverschuldet» ist.
Diese Verschränkung von Migrationskontrolle und Sozialhilfe besteht bereits seit Inkrafttreten des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG) im Jahr 1934. Dieses bestimmte, dass eine Person «ausgewiesen» werden kann, «wenn er [der Ausländer] oder eine Person, für die er zu sorgen hat, der öffentlichen oder privaten Wohltätigkeit zur Last fällt oder mit Sicherheit demnächst dauernd zur Last fallen wird» (Art. 10 Abs. 1 Bst. c ANAG). Unter dem AuG (zwischen 2008 und 2019) waren niedergelassene Personen, die seit über 15 Jahren in der Schweiz lebten, von einem Widerruf ihres Aufenthaltsrechts aufgrund von Sozialhilfeabhängigkeit ausgenommen. In den vergangenen Jahren wurde die Verknüpfung von Sozialhilfe und Migrationskontrolle intensiviert. Dies erfolgte insbesondere durch die seit 2008 bestehende und ab 2019 verstärkte Meldepflicht (Art. 97 Abs. 3 Bst. d AIG), die aktuell besagt, dass Sozialbehörden den Migrationsbehörden «unaufgefordert den Bezug von Sozialhilfe durch Ausländerinnen und Ausländer melden» (Art. 82b VZAE). Weitere Verschärfungen sind in Diskussion (für sogenannte Drittstaatsangehörige, z.B. vereinfachter Entzug der Niederlassungsbewilligung, eingeschränkte Sozialhilfe an Personen mit B-Bewilligung während der ersten drei Jahre).
Der Sozialhilfebezug von ausländischen Personen in der Schweiz (wie auch anderswo) ist also seit jeher unerwünscht, wird zunehmend politisiert und strenger überwacht. In einem rechtssoziologischen Forschungsprojekt, das der Schweizerische Nationalfonds im Rahmen des «nccr-on the move» finanziert, untersuchen wir, wie sich diese rechtliche Verschränkung von Sozialhilfe und Migrationskontrolle in der Praxis mehrerer deutsch- und französischsprachiger Kantone zeigt. Wir stellen fest, dass Migrationsbehörden nicht nur von Informationen der Sozialbehörden, sondern auch weiterer Akteur*innen abhängig sind, um etwa die Selbstverschuldung des Sozialhilfebezugs einzuschätzen. Die Einschätzung der IV spielt dabei oftmals eine zentrale Rolle, wie uns ein Vertreter eines Migrationsamtes sagte: Um das Selbstverschulden einzuschätzen, «stützen wir uns auf das IV-Verfahren. […] Wenn die IV sagt, sie können arbeiten, dann können sie arbeiten.» Geht die betreffende Person dennoch keiner Erwerbsarbeit nach, wird dies als Hinweis dafür gedeutet, dass der Sozialhilfebezug selbstverschuldet ist. Die Meldepflicht macht die tägliche Arbeit von Migrations- und Sozialbehörden überdies aufwändiger und komplexer. Es ist viel Austausch mit anderen Stellen erforderlich, grosse Mengen von Informationen müssen verarbeitet und unterschiedliche Aufgaben und Zuständigkeiten zusammengebracht werden. Dazu sind immer komplexere juristische Anforderungen umzusetzen.
Die Verschränkung macht auch die unterschiedlichen Zielsetzungen von Migrations- und Sozialhilfepolitik sichtbar. Für gewisse Mitarbeitende von Sozialbehörden kann es berufsethische Dilemmata auslösen, wenn sie durch die Meldepflicht Teil des Migrationskontrollregimes werden. Während das Ziel ihrer Arbeit die Unterstützung und nachhaltige (Wieder-)Eingliederung in den Arbeitsmarkt ist, erschwert die Möglichkeit eines Verlustes des Aufenthaltsrechts derartige Bemühungen. Diese unterschiedlichen Zielsetzungen schlagen sich auch in widersprüchlichen Signalen nieder, die sozialhilfebeziehende Ausländer*innen von unterschiedlichen Behördenstellen erhalten. So kann es sein, dass die IV einer Person bescheinigt, sie sei vollständig arbeitsfähig in einer «angepassten Tätigkeit». Die Sozialbehörde hingegen versichert derselben Person, dass es beispielsweise aufgrund ihres Alters und ihrer Erfahrung aussichtslos sei, eine Stelle zu finden. Die Migrationsbehörden wiederum erachten die Sozialhilfeabhängigkeit als selbstverschuldet und drohen mit dem Entzug (beziehungsweise entziehen) das Aufenthaltsrecht.
Unsere Forschung zeigt aber auch, dass es Sozialbehörden gibt, welche sich von den migrationsrechtlichen Instrumenten eine Lösung zur Senkung der Sozialhilfekosten erhoffen. So berichtet ein Vertreter eines Migrationsamtes, dass er gelegentlich gegenüber von Sozialbehörden klarstellen müsse, «dass aber auch nicht jede Meldung automatisch heisst, ‘euer Mandant wird dann bald nicht mehr da sein’, und dann sparen die Gelder. Also diese Erwartungshaltung können wir nicht erfüllen.»
Diese Verschränkung von Sozialhilfe und Migrationskontrolle wirft zahlreiche Fragen auf. Etwa jene, wie die Schweiz mit armutsbetroffenen Menschen umgeht, die rechtlich nicht zur Solidargemeinschaft gezählt werden. Wie verträgt sich eine Individualisierung (und schliesslich der Export) der Armut von Nicht-Bürger*innen mit den Grundideen des Sozialstaates? Wie wirkt sich die Einbindung in Migrationskontrollaufgaben auf die Institution Sozialhilfe und auf die Arbeit der Sozialarbeitenden aus? Und wie lässt sich verhindern, dass Menschen vom Gang zur Sozialhilfe absehen, um sich vor potentiellen ausländerrechtlichen Konsequenzen zu schützen? In der gegenwärtigen, von den Folgen der Corona-Pandemie geprägten Zeit erscheint eine Diskussion über diese Fragen dringlicher denn je.