Der Antrag besagt, dass eritreische Asylsuchende nicht in ihr Heimatland zurückgeschickt werden könnten, da es kein Rückübernahmeabkommen gäbe und die eritreische Regierung die Rückführung ihrer Staatsangehörigen strategisch ablehne. Das die Argumentation von Müller. Warum Eritreer:innen wirklich nicht zurück nach Eritrea können: Eritreische Asylbewerber:innen wollen nicht in ihr Land zurückkehren, da sie in hohem Masse Gefahr laufen, von dem diktatorischen Regime bedroht, verfolgt und gefoltert zu werden.
Sturm im Wasserglas
Der Vorschlag des FDP-Ständerats orientiert sich an dem umstrittenen Abkommen, das Großbritannien mit Ruanda geschlossen hat. Mit diesem Abkommen lagert Großbritannien ganze Asylverfahren nach Ruanda aus. Dort leben die Menschen dann unter sehr prekären Bedingungen: Sie werden in ein autokratisches Regime abgeschoben, dem schwere Folter, Gewalt und repressive Unterdrückung vorgeworfen wird. Müller hält nichts von den Grundrechten der Betroffenen, sie sind ihm schlichtweg gleichgültig - in seinem gesamten Antrag findet sich kein Wort darüber, keine Begründung, warum ein solches Vorgehen mit dem Völkerrecht vereinbar sein sollte. Was ihm nicht egal zu sein scheint, ist das Schweizer Sozialhilfesystem. Müller ist jedoch übereilig und verwechselt Begrifflichkeiten. Abgewiesene Personen in der Schweiz erhalten keine Sozialhilfe, sondern Nothilfe, die sich auf eine Pauschale von 8 bis 10 CHF pro Tag, einen Platz in einer Kollektivunterkunft und eine obligatorische Krankenversicherung, die in der Praxis nur die lebensnotwendigen Notfälle abdeckt, beschränkt. Laut den Zahlen des SEM beträgt die Nothilfe für alle Empfänger:innen, also nicht nur für eritreische Personen, 2,3 Millionen pro Jahr. Es ist also ein Sturm im Wasserglas, den Müller erzeugen will, indem er um dem entgegenzuwirken einen rechtlich fragwürdigen und finanziell ruinösen Auslagerungsplan vorschlägt. Was Müller nämlich nicht erwähnt: Großbritannien musste für sein Projekt in Ruanda 100 Millionen investieren.
Partizipation statt Isolation
In Müllers Augen belasten die 300 eritreischen Asylbewerber:innen das Schweizer System. Das ist zynisch. Denn dafür gäbe es eine viel bessere Alternative, die selbst ein Rechtsliberaler wie Müller verstehen müsste: Würde es die Schweiz mit den Grundrechten genauer nehmen und eine Politik des Anschlusses anstatt der Isolation betreiben, hätten die Betroffenen die Möglichkeit zu arbeiten und nach ihren Möglichkeiten einen Beitrag zu unserer Gesellschaft zu leisten. Solange ihnen diese Möglichkeit verwehrt bleibt, sind sie gezwungen, Sozialhilfe respektive Nothilfe in Anspruch zu nehmen und damit in prekären Verhältnissen zu leben. Es war übrigens ebenfalls Müller, der 2018 eine Motion einreichte, in der er den Bundesrat aufforderte, "so viele vorläufige Aufnahmen wie möglich aufzuheben". Die vorläufige Aufnahme ist ein prekärer Status, der es unter strengen Bedingungen erlaubt, zu arbeiten. Wer diesen Status aufhebt, nimmt den Menschen die letzte Möglichkeit zur Selbstbestimmung und treibt sie aktiv in die Abhängigkeit der Nothilfe. Müller spielt Feuerwehrmann und Brandstifter, indem er haarsträubende Lösungen für Probleme vorschlägt, die er selbst geschaffen hat.
Aus diesen und zahlreichen weiteren Gründen wäre es viel besser, den rund 300 Asylsuchenden aus Eritrea die Möglichkeit zu geben, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen - anstatt ein unmenschliches Abkommen mit Drittländern wie Ruanda abzuschließen.
Wir fragten uns, ob wir auf eine solche unmenschliche Initiative reagieren oder sie gar nicht erst in Betracht ziehen sollten. Leider zeigt die Eskalation der Entrechtung von Asylsuchenden wie die Entwicklungen in Großbritannien, dass selbst die offensichtlichsten Abweichungen von rechtsstaatlichen Grundsätzen und internationalen Asylkonventionen in der jüngsten Vergangenheit umgesetzt wurden. Auch die systematische Gewalt an den EU-Aussengrenzen zeugt davon.. Darüber hinaus sind solche Initiativen für die Betroffenen beängstigend und traumatisierend. Deshalb sagen wir, betroffene und solidarische Personen, ganz klar: Wir stehen Seite an Seite gegen diese Versuche, Menschen an ungeeignete Orte abzuschieben, an denen sie kein menschenwürdiges Leben führen können und ihnen Gewalt und willkürliche Inhaftierung drohen. Eine andere, solidarische Migrationspolitik ist möglich. Und nötig.
Eritreischer Medienbund Schweiz und Solidarité sans frontières