Covid-19 und Lehrlinge mit Ausweis B Flüchtling resp. Mit Ausweis F oder N
Die Lehrlinge aus dem Asylbereich brauchen unseren Schutz!
Die Lehrlinge sind keine Temporärarbeiter*innen, die zu geringen Kosten ausgebeutet werden können. Wir erinnern die Arbeitgebenden und die Behörden daran, dass eine Lehre dazu dient, das Wissen und die Fähigkeiten weiterzugeben, die es für die Berufsausübung braucht. Es ist zwingend und dringend, dass konkrete Massnahmen zur Prävention und den Schutz der Angestellten und Auszubildenden ergriffen werden. Aufgrund ihrer allzu oft unsichtbaren, aber offensichtlichen Verletzlichkeit muss den Lehrlingen aus dem Asylbereich besondere Aufmerksamkeit entgegen gebracht werden. Ihnen blieb bis jetzt nichts erspart, trotz ihres noch jugendlichen Alters haben sie schon unsägliche Gewalt erlebt. Wir dürfen sie nicht sich selbst überlassen, sondern so handeln, dass der Begriff „Schutz“ auch Sinn macht.
Die Lehrlinge aus dem Asylbereich müssen mehr denn je die Gewissheit haben, dass ihr Schutz wirksam und garantiert ist. Ihre sprachliche und berufliche Eingliederung ist nicht nur der Schlüssel zu, sondern auch der Beweis ihrer Integration. Auf Druck der Basis haben die Behörden Förder- und Unterstützungsmassnahmen ergriffen, die jetzt zuverlässig gelten müssen. Die momentane gesundheitliche Krise hat noch nie dagewesene soziale und wirtschaftliche Auswirkungen: Die Lage ist für alle Lehrlinge zutiefst beunruhigend, ganz besonders aber für jene, denen besonders viele Hindernisse im Weg stehen, jene mit Aufenthaltsstatus N, F und B minderjährig resp. knapp volljährig, die erst kürzlich im Rahmen der Asylgewährung hierher gekommen sind und es dennoch geschafft haben, eine klassische (Vor-)Lehre oder eine Vorlehre Integration anfangen zu können.
Wir müssen die Lehrlinge aus dem Asylbereich im Rahmen ihrer Arbeit schützen
„Ich habe gestern bis um 21 Uhr gearbeitet, der Chef ist nicht da, er telefoniert uns nur, ich arbeite für drei und nichts ist desinfiziert“ (Y.).
Es ist das Paradox der Lehrlinge, dass sie weder als Angestellte wie alle anderen noch als Schüler wie alle anderen angesehen werden. Diese Unklarheit verdoppelt sich in Zeiten der Krise: Sie hängen je nach Branche oder Bereich vom guten Willen ihrer Chefs und jenem der Schulen ab, ohne eine Garantie ihrer Rechte und/oder eine Antwort auf ihre Bedürfnisse zu erhalten. Die mit der grössten Unsicherheiten sind zweifellos jene aus dem Asylbereich, die in der jetzigen Situation besonders benachteiligt sind.
So sind viele Auszubildende gezwungen, mit der Angst im Bauch zur Arbeit zu gehen. Viele müssen auch Aufgaben übernehmen, die in ihrem Pflichtenheft nicht vorgesehen sind, oder sie schieben Überstunden, und das unter Arbeitsbedingungen, die nicht vorgängig von den Arbeitsinspektoraten bezüglich der verschärften Hygienemassnahmen abgenommen wurden. Mehrere leben mit Risikopersonen zusammen, ohne sich zu trauen, dies ihrem Chef zu sagen, aus Gründen der hierarchischen Unterordnung, aus Unkenntnis der Risiken oder aus Angst, ihre Lehrstelle zu verlieren. Zwei Grundsätze müssten eigentlich sowohl den Lehrlingen als auch ihren Kolleg*innen und den ihnen nahe stehenden Personen völlig klar sein:
- Da die Schliessung der Berufsschulen beschlossen wurde, müsste eigentlich auch die Arbeit in den sogenannt nicht-systemrelevanten Branchen ausgesetzt werden.
- Falls die Arbeitgeber*innen die Beschäftigung aufrechterhalten (gilt nur für systemrelevante Branchen und Bereiche:
- Die Kontrollorgane des Arbeitsmarkts müssten – nach einer eingehenden Überprüfung vor Ort - für jeden einzelnen Betrieb ausdrücklich die strenge Einhaltung der Hygiene- und Sicherheitsmassnahmen bestätigen.
- Wenn auf dieser Grundlage weitergearbeitet werden kann, müsste auch sichergestellt sein, dass, wenn Lehrlinge andere Tätigkeiten oder diese unter anderen Bedingungen als im Pflichtenheft festgehalten ausführen, diese Arbeit auf der Basis der Löhne von Angestellten und nicht von Lehrlingen abgegolten und kompensiert wird.
- Beim Fehler von bestätigten Garantien müssten die Behörden den Lehrlingen gestatten, umgehend ihre Arbeit niederzulegen (Aufhebung der Arbeitspflicht unter Beibehaltung des Lohns).
Wir müssen die Lehrlinge aus dem Asylbereich im schulischen Rahmen schützen
„Ich bin eine Null, ich verstehe nichts, ich kann die Fragen meines Lehrers nicht beantworten, wie soll ich das nur schaffen?“ (A.).
Momentan gibt es viele Lehrlinge, die den Anforderungen der Schule nicht mehr gerecht werden können. Der Unterricht und die Prüfungen werden beibehalten, obgleich es keine befriedigende Lösung gibt für die grosse materielle, digitale und wirtschaftliche Kluft, die zwischen den Lehrlingen herrscht. Bisher konnte ein junger Lehrling in einer Vorlehre Integration, auch wenn er allein in einem Studio wohnte, sich Hilfe bei der Beantwortung der Fragen seines Lehrers holen, auch wenn er keinen Computer oder qualifizierte Unterstützung hatte. Aber völlig isoliert zu lernen, ohne technische Hilfsmittel, aber unter dem Druck der gleichen Fristen, ist eine enorme Herausforderung! Umso dringlicher sind diese Forderungen:
- Die Garantie, dass den Lehrlingen, die das brauchen, umgehend das erforderliche Lern- und Kommunikationsmaterial zur Verfügung gestellt wird.
- Die Garantie, dass das Fehlen dieser Mittel bei der weiteren Ausbildung der Lehrlinge berücksichtigt wird.
Diese Garantien müssten ausdrücklich und fallweise von den Berufsschulen und den für die post-obligatorische Bildung verantwortlichen kantonalen Behörden mit Unterstützung durch die zuständigen Bundesbehörden erbracht werden.
Wir müssen die Lehrlinge aus dem Asylbereich vor den mit ihrer psychischen Gesundheit verbundenen Risiken schützen
„Ich bin allein und sehe niemanden mehr, ich habe Angst, in meinem Zimmer zu sterben, ich schlafe nicht mehr“ (O.).
Seit Jahren stellen sowohl die Basis wie die Institutionen fest, dass Personen, die hoch traumatisierende Situationen erlebt haben, kaum erkannt und einer angemessenen psychologischen Betreuung zugeführt werden. Viele Geflüchtete, zu denen auch die Lehrlinge aus dem Asylbereich gehören, haben Vergewaltigungen oder andere Torturen, Ausbeutung, lebensgefährliche Situationen und Todesängste selbst erlebt oder sie mit ansehen müssen. Trotz diesen belastenden Erinnerungen haben sie, mit oder medizinische Hilfe, die Herausforderungen der von den Behörden vorgegebenen Integration angenommen und arbeiten und absolvieren ihre Schulausbildung unerkannt. In der aussergewöhnlichen Situation, die wir durchleben, können alte Traumata aber wieder aufleben. Deshalb ist es ganz wichtig, dass in Zusammenarbeit von Gesundheitsnetzen und interkulturellen Übersetzungsdiensten folgende Leistungen erbracht werden:
- die garantierte und systematische Vermittlung der jeweils neusten Gesundheitsinformationen in der Sprache, in der sie im Alltag unterwegs sind, wenn möglich auch in ihrer Muttersprache.
- der Aufbau einer Struktur zur psychologischen und post-traumatischen Unterstützung für die Lehrlinge aus dem Asylbereich.
- Die Schaffung eines Instruments zur verstärkten Sensibilisierung für post-traumatische Störungen bei der sozialen, beruflichen und schulischen Begleitung dieser Lehrlinge.
Die Lehrlinge aus dem Asylbereich brauchen spezielle Unterstützung. Nur gebotenes und verantwortungsvolles Handeln wird es Arbeitgeber*innen, Schulen und institutionellen Organen ermöglichen, weder die Gegenwart noch die Zukunft dieser jungen Leute zu gefährden.
Marie Saulnier Bloch, Fachsekretärin Migration Unia