Im Bereich des Asylrechts kam es in der Schweiz nach dem zweiten Weltkrieg trotz fehlender Gesetze zu mehreren grösseren Aufnahmeaktionen mit sehr unbürokratischen Aufnahmen: Die Ungarn 1956, dann die Tibeter 1960, 1968 die Tschechen und 1973 die Flüchtlinge aus Chile. Die Geflüchteten wurden nach einem Interview, welches damals noch von einer Polizei durchgeführt wurde, als Flüchtlinge anerkannt und danach häufig von Privaten untergebracht.
Als ich 1983 meine Anwaltstätigkeit begonnen habe, war das Asylgesetz gerade einmal zwei Jahre in Kraft. Bis dahin war die Flüchtlingskonvention die einzige Rechtsquelle im Asylbereich. Erwerbstätige Ausländer waren noch den wenigen Bestimmungen des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländern (ANAG) unterworfen, welches 1931 in Kraft gesetzt und seither kaum gross revidiert worden war. Dazu kam die „Begrenzungsverordnung“, welche die Kontingente der ausländischen ArbeiterInnen regelte. Aber die wichtigsten Rechte der ausländischen Menschen in der Schweiz mussten damals noch direkt aus der Bundesverfassung und aus der Europäischen Menschenrechtskonvention abgeleitet werden.
Seither hat sich vieles geändert: Es wurde wie wild legiferiert. Seit seinem Inkrafttreten 1981 wurde das Asylgesetz über zehnmal revidiert. 1993 wurde im Rahmen des so genannten Asylkompromisses die Schweizerische Asylrekurskommission als gerichtliche Instanz eingeführt, 1995 kamen die verpönten Zwangsmassnahmen dazu. 1998 folgte eine Totalrevision des Asylgesetzes. 2002 wurde das Freizügigkeitsabkommen mit der EU in Kraft gesetzt. 2004 beschloss das Parlament die Anbindung der Schweiz an Schengen und Dublin, die im Juli 2005 auch von der Stimmbevölkerung angenommen wurde. Im Dezember 2005 folgten das Ausländergesetz und eine neuerliche Revision der Asylgesetzes.
Die Rechtsentwicklung ist über die Jahre immer feinmaschiger und unübersichtlicher geworden. So kann man heute als juristisches Fachgebiet Migrationsrecht studieren.
Obwohl zahlreiche Gesetzrevisionen formaljuristische Themen betreffen, wurde das Grundübel nicht verbessert: Im Migrationsrecht bestehen grundsätzliche formell-rechtliche Defizite weiter.
Die fortschreitende Gesetzgebung im Asyl- und Ausländerrecht hatte aus meiner Sicht negative, aber auch einige gute Auswirkungen. Negative, wenn man sich nur an den ständigen Verschärfungen des Asylgesetzes oder an den neu eingeführten Zwangsmassnahmen orientiert. Restriktiver wurden im Ausländerrecht zudem die Regelung des Familiennachzugs und der Wegweisungsgründe.
Positiv ist daran, dass die aus der Verfassung und den internationalen Menschenrechtsverträgen abgeleiteten Rechte von ausländischen Menschen seit den achtziger Jahren schriftlich festgehalten und auf die Schweiz bezogen konkretisiert werden mussten. Die Betroffenen konnten sich deshalb direkt auf inländische Gesetze berufen. Dadurch wurde die grassierende Willkür der Fremdenpolizei gemildert und Klarheit, also Rechtssicherheit, gewonnen.
Positiv ist aber auch der neue Rechtsstandard zu werten, der durch das Freizügigkeitsabkommen mit der EU eingeführt wurde. Das Abkommen hat unsere Rechtsstandards gerade hinsichtlich der Rechtsstellung der ausländischen Bevölkerung stark verbessert. Insbesondere die Sicherheit und die Dauer des Aufenthaltsrechts von EU-Staatsangehörigen und die beschränkten Möglichkeiten, ihren Aufenthalt wieder zu beenden, sind ein Fortschritt und zugleich Leitlinie für die Rechtsstellung von Staatsangehörigen von Drittländern.
Parallel zur Rechtsentwicklung entstand auf Bundesebene ein mächtiger Behördenapparat. Die frühere eidgenössische Fremdenpolizei wandelte sich über mehrere Stationen zum heutigen Staatssekretariat für Migration (SEM) und die Kantone wandelten ihre Fremdenpolizeien in Migrationsämter.
Die Verbürokratisierung hat über die Jahre stark zugenommen. Entscheide der Migrationsämter und des SEM sind weniger willkürlich; die Formularpflicht und die Aktenführungspflicht erleichtert die gerichtliche Überprüfung. Andererseits sind unbürokratische positive Entscheide seltener geworden und die Behördenvertreter können ihre Hartherzigkeit mit Berufung auf den Vollzug geltender Gesetze bemänteln, ohne ihr politisches Gewicht auszureizen.
3. Juli 2016
Peter Frei