Am Mittwoch hat der Rat der Innen- und Justizminister der EU getagt. Dabei standen zwei Themen auf seiner Tagesordnung, die für uns von besonderem Interesse sind:
Punkt 1: der Aktionsplan zur - in Anführungszeichen - Bekämpfung der illegalen Einwanderung, der Ende nächster Woche auch den EU-Gipfel, also die Staats- und Regierungschef des EU beschäftigen wird. In diesem Plan geht es wieder einmal darum, mit repressiven Mitteln und mit allen erdenklichen Massnahmen dafür zu sorgen, dass sich das reiche Europa gegen Menschen aus ärmeren teilen der Welt abschotten kann. Unter anderem will der deutsche Inneniminister Schily die Herkunftsländer dieser Menschen durch den Entzug der ohnehin sehr knappen Entwicklungshilfe bestrafen, wenn sie nicht mit der EU bei deren abschottungsstrategie kooperieren. Auch die EU-Grenzpolizei ist auf dem Weg, Wirklichkeit zu werden.
Ein zweiter Punkt der Tagesordnung der Damen und Herren EU-Minister war die Assoziation des Nicht-EU-Mitglieds Schweiz zu diesem Europa der Polizeien, zu Schengen und Dublin also. Dieses Thema ist Gegenstand der zweiten Runde bilateraler Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU. Das Interesse des Bundesrates und insbesondere des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements gilt dabei in erster Linie dem Anschluss an das Schengener Informationssystem, das im wesentlichen ein technisches Instrument der Abschottung darstellt. In diesem System sind über zwei Millionen Personen gespeichert. Über 80% dieser Menschen sind Nicht-EU-Bürger, die keiner Straftat verdächtigt werden, sondern die ausgeschafft oder an den Grenzen der EU zurückgewiesen werden sollen. Das System soll in den kommenden Jahren ausgebaut werden.
Dem Ziel des Anschlusses an das repressive Europa hat sich die Schweiz in den letzten Jahren durch Rückübernahmeabkommen sowie Polizeiverträge mit den benachbarten EU-Staaten beträchtlich genähert. Darin wurden weit gehende Formen der Kooperation und des Informationsaustausches vereinbart, neben diversen grenzüberschreitenden verdeckten Methoden auch der Einsatz von Polizeibeamten der jeweils anderen Seite mit exekutiven Befugnissen. Für die Polizei werden die Grenzen immer offener.
Voraussetzung für eine volle Schengen-Assoziation ist jedoch die Aufhebung der Kontrollen an den schweizerischen Grenzen, die damit zu Schengener Binnengrenzen würden. Diese Voraussetzung gedenkt man im EJPD dadurch zu erfüllen, dass zwar die Schlagbäume fallen, aber - als zusätzliche "nationale Ausgleichsmassnahme" in einem "rückwärtigen Grenzraum" von 30 Kilometern Quasi-Grenzkontrollen durchgeführt werden. In diesem angeblichen Grenzraum liegen die grössten Sädte der Schweiz: Zürich, Genf und Basel. "Verdachts- und ereignis-unabhängige Kontrollen", das zeigt das Beispiel der deutschen Schleierfahndung, führen unweigerlich dazu, dass sich das Augenmerk der Polizei auf äusserliche Kriterien richtet, und dabei insbesondere auf die Hautfarbe, das ausländische Aussehen.
Grenzen auf für die Polizei, verstärkte und erweiterte Grenzkontrollen für alle die "fremdländisch" aussehen - das kann nicht unsere Version von Europa sein. Ebensowenig können wir zulassen, dass das Grundrecht auf Bewegungsfreiheit in einem wesentlichen Teil des Inlands ausser Kraft gesetzt wird. wir wehren uns gehen dieses neue Reduit-Konzept und gegen willkürliche Polizeikontrollen.
Weil wir für eine offene und demokratische Schweiz in einem offenen und demokratischen Europa sind, können wir auch den Wettlauf um das repressivste Ausländer- und Asylrecht nicht akzeptieren. Das geplante neue Ausländergesetz eröffnet nur noch einer Migrationselite den legalen Zugang zur Schweiz und wird unweigerlich mehr Sans-papiers produzieren. Die demnächst anstehende erneute Teilrevision des Asylgesetzes enthält eine verschärfte Regelung über sichere Drittstaaten, die Flüchtlingen den Zugang zu einem ordentlichen Asylverfahren weiter erschweren soll. Diese Gesetzesprojekte sind keineswegs nur Reaktionen auf Entwicklungen in der EU, wie es vor einigen Tagen BFF-Direktor Gerber behauptet hat. Vielmehr zeigt sich hier, dass sich die Schweiz offensiv an diesem Wettlauf der Verschärfungen beteiligt.
Wenn die Bürger- und Menschenrechtsorganisationen diesem Wettlauf zu einem Europa der Polizeien und der Abschottung etwas entgegen setzen wollen, müssen sie selbst grenzüberschreitend handeln. Die heutige Demonstration ist für uns eine Gelegenheit, dieses andere Europa sinnlich erfahrbar zu machen.
15. Juni 2002, Heiner Busch