Als 1999 die Diskussion um die gemeinsamen Standards begann, hoffte auch proasyl, dass dies den Wettlauf der EU-Staaten um das schärfste Asylrecht bremsen würde. Im April 2004 haben sich die Innenminister auf eine Asylverfahrensrichtlinie geeinigt, die in diesem Jahr verabschiedet werden soll. «Minimale Standards – maximale Abschottung», lautet nun Euer Kommentar. Was ist in diesen sechs Jahren passiert?
Die asylpolitische Bilanz des EU-Harmonisierungsprozesses fällt traurig bis desaströs aus. Die anfänglichen vernünftigen Vorschläge der EU-Kommission hätten den Wettlauf der Schäbigkeiten zumindest verlangsamen können. Die Terroranschläge, der Rechtsruck in Europa, das Beharren der Nationalstaaten auf ihren restriktiven Praktiken haben diese Ansätze zunichte gemacht. Parallel dazu haben fast alle Mitgliedsstaaten ihr Asylrecht verschärft: schnellere Asylverfahren, mehr Lager, längere Abschiebehaft, effizientere Abschiebungspraktiken, Ausschluss von Sozialleistungen etc.
Europa macht dicht: Italien weist an seinen Seegrenzen fast täglich Asylsuchende nach Libyen zurück. Statt diese illegale Praxis sofort zu stoppen, wird sie mit einigen menschenrechtlichen Versatzstücken garniert zur gemeinsamen EU-Politik erkoren. Und Ghaddafi wird zum neuen Türsteher Europas.
Die Asylverfahrensrichtlinie erlaubt die Rückschaffung Asylsuchender bereits nach dem negativen Entscheid der ersten Instanz. Wird das Asylverfahren zum sprichwörtlichen kurzen Prozess?
Der aktuelle Entwurf ist eine Asylverweigerungsrichtlinie. Er fasst alle üblen Praktiken der Nationalstaaten, wie Grenzverfahren, Schnellverfahren etc. zusammen. Der Entwurf spricht Asylsuchenden zwar das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht zu, aber die entscheidende Frage, ob sie bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im betreffenden Mitgliedstaat bleiben dürfen, beantwortet diese Richtlinie nicht.
Die wesentliche Verschärfung in der Asylverfahrensrichtlinie ist eine Drittstaatenregelung. Was wären deren Konsequenzen in der Praxis?
Dass ein Asylsuchender in ein beliebiges Drittland zurückgewiesen werden kann, ohne dass er dieses jemals betreten hat. Selbst Staaten wie Libyen, die die Flüchtlingskonvention nicht ratifiziert haben, könnten als «sichere Drittstaaten» qualifiziert werden. Eine weitgehende Auslagerung des Flüchtlingsschutzes in die unmittelbare Herkunftsregion und in Transitstaaten wäre absehbar.
Die deutsche Drittstaatenregelung ergänzt dieses europäische Programm. Wenn Deutschland sein Modell wie vorgesehen auf die EU-Ebene exportiert, dann könnte in Zukunft ein neuer Wall von vermeintlich sicheren Drittstaaten entstehen von Weissrussland bis zur Türkei. Die Nachbarregionen Europas werden diesem Beispiel folgen. Dieser Dominoeffekt gefährdet das existierende internationale Flüchtlingsschutzsystem.
Welche Chancen bleiben den Asylbewegten, diese Pläne zu korrigieren?
Der Innenausschuss des Europäischen Parlaments hat sich kritisch zu der Richtlinie geäussert. Auch wenn das Plenum des Parlaments diesen Bericht Anfang September annimmt, könnten die EU-Innenminister trotzdem ihren völkerrechtswidrigen Entwurf ohne Korrekturen durchwinken. Dann bleibt nur die Hoffnung, dass das Europaparlament diese Richtlinie dem Europäischen Gerichtshof zur Annullierung vorlegt.