Solidarité sans frontières
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Stand: Juni 2003
Wie funktioniert heute die mit dem Rundschreiben vom 21. Dezember 2001 eingeführte "Härtefall"-Praxis? Aufgrund meiner Erfahrungen mit den Lebensgeschichten von Sans-papiers, den anonymisierten und formellen Eingaben und den Entscheiden auf Kantons- oder Bundesebene ist der vorliegende Bericht entstanden. Er zeigt die folgenden Probleme der heutigen "Einzelfall"-Praxis auf:
- Die kantonale Praxis ist höchst uneinheitlich. Die Deutschschweizer Kantone drücken sich mehrheitlich (mit Ausnahme des Kantons Bern) um eine nennenswerte Legalisierungsplitik. Ihre Entscheide, falls es solche gibt, sind schlecht begründet.
- Die Frage, welcher Kanton für die Überprüfung einer Sans-papiers-Eingabe zuständig ist, ist unbeantwortet.
- Die Beurteilungspraxis des Bundes ist nicht konsistent. Er schränkt die Partei- und Beschwerderechte erheblich ein.
- Die Nachweise, die Sans-papiers gemäss den Beurteilungsaspekten des Rundschreibens erbringen müssten, sind zum grossen Teil nicht erbringbar.
- Die Beurteilungsraster sind auf männlichen Biographien fokussiert. Alleinstehende Frauen und Mütter in ihrer besonderen Verletzlichkeit und ihren spezifischen sozialen Abhängigkeitsverhältnissen fallen beim jetzigen Überprüfungsverfahren aus dem Blickwinkel. Dies ist um so stossender, als alle bisherigen Untersuchungen (in der Westschweiz) ergeben haben, dass Frauen die Mehrheit unter den Sans-papiers bilden.
- Das Überprüfungsverfahren benachteiligt diejenigen, die die grössten Probleme bei einer Rückkehr haben. Die grössten Chancen haben nicht eigentliche "Notfälle", sondern die besser situierten ("integrierten") Sans-papiers
Die kantonale Praxis ist höchst uneinheitlich – Blick auf die Deutschschweiz
a) Basel-Stadt
Deutschschweizer Fremdenpolizeivorsteher begannen im Jahr 2001, "anonymisierte" Dossiers anzufordern. Der Kanton Bern war der allererste Kanton, gefolgt von Basel-Stadt. Im Unterschied zu Bern sieht Basel-Stadt die Eingabe von anonymisierten Dossiers als einmalige Aktion an. Mit den (61) eingereichten anonymisierten Dossiers vom 7. Januar 2002 hat das Polizeidepartement von Basel-Stadt die "Aktion Sans-papiers" beendet. Von den anonymisierten Dossiers beurteilte der Kanton über einen Drittel positiv, die er aber nach der formellen Eingabe teilweise wieder negativ beurteilte. Ein kleiner Teil der positiv beurteilten anonymisierten Gesuchsteller mussten ihre formelle Eingabe in einem Nachbarkanton einreichen. Zwei davon wurden bis anhin positiv entschieden. Der Kanton BS hat im Frühsommer 2002 nur 6 Dossiers an den Bund weitergereicht. Neun Dossiers (mit rund 15 Personen) wurden vom Kanton zurückgewiesen. Für eine abgewiesene Familie, die unterdessen seit über sechs Jahren in der Schweiz lebt, setzte sich ein "Freundeskreis" aus prominenten Basler Persönlichkeiten ein. Die Familie umfasst die Eltern und vier eingeschulte Kinder; eine Tocher besucht das Gymnasium, die zweite tritt nach den Sommerferien ins Gymnasium ein. Eine Kartenaktion des "Freundeskreis" zugunsten der Familie trug dem Regierungsrat rund 1'500 Appelle ein. Der Rekurs ist heute beim Verwaltungsgericht hängig; die Familie steht seit anderthalb Jahren unter Arbeitsverbot. Seit dem Frühsommer 2002 die Frepo Basel-Stadt alle Eingaben von Sans-papiers zurückgewiesen.
b) Bern
Der Kanton Bern ist der einzige Kanton der Deutschschweiz, der mehrere Dutzend Eingaben mit positiver Empfehlung an den Bund weitergeleitet hat (45 Dossiers/108 Personen, Stand 10. Juni 2003). Doch hat auch dieser Kanton seine ganz spezifischen Kriterien. So hat er beispielsweise das Gesuch eines seit 14 Jahren anwesenden und erwerbstätigen Ex-Saisonniers abgelehnt, weil dieser einmal, nach einem abgelehnten Asylgesuch, ausgeschafft worden war und kurz nachher wieder illegal in die Schweiz zurückgekehrt ist. Der Kanton Bern beklagt, dass die Bundesämter ihre Entscheide nur dürftig begründen, ebenso, dass die Entscheide des BFF keine Entscheide im rechtlichen Sinne, sondern nur unanfechtbare Mitteilungen sind. Der Chef des Migrationsdienstes wünscht sich eine grosszügigere Auslegung des Rundschreibens durch den Bund
c) Baselland und Solothurn
Ihre Bereitschaft zur Entgegennahme von anonymisierten Dossiers haben auch die Kantone Solothurn und Baselland signalisiert. Solothurn hat bis am 10. Juni 2003 4 Dossiers von 12 Personen an die Bundesämter überwiesen, diese haben 2 Dossiers negativ entschieden; der Kanton Baselland überwies 5 Dossiers (plus eines das in der Statistik nicht angeführt ist und vom BFF aber negativ beantwortet wurde) an den Bund. Die 5 statistische erfassten Dossiereingaben (10 Personen) wurden vom BFA gut geheissen.
d) Aargau, Luzern
Der Kanton Aargau hat einen Sans-papiers legalisiert. Der Fall ist uns unbekannt und rätselhaft, da wir mit einer eigenen Eingabe auf Grannit gestossen sind (siehe Beispiel am Schluss des Berichts). Der Kanton fordert die Offenlegung aller Daten, auch die Adressen der ArbeitgeberInnen und der Beherbergenden oder VermieterInnen. Die Frepo betreibt eine undurchsichtige, feindseelige und schikanöse Vorgehensweise. Der Regierungsrat des Kantons Luzern hat die Beratungsstelle FABIA im Winter 2002/03 als befristete Anlaufstelle für Sans-papiers eingesetzt. Da die Behörde die Offenlegung aller Fakten, auch die Denunzierung der ArbeitgeberInnen verlangte, waren nur vier der 31 interessierten Sans-papiers (die 54 Personen umfassten) bereit, beim Kanton ein formelles Geuch einzureichen. Zur Zeit besteht in Luzern keine Struktur für Sans-papiers mehr.
e) Zürich, Graubünden, St. Gallen, Obwalden
Bei den Kantonen Zürich, Graubünden und St. Gallen ist die Haltung gegenüber Sans-papiers ablehnend. Sie sehen in ihnen in erster Linie Gesetzesbrecher. Gemäss einer telefonischen Umfrage im November 2002 hat der Kanton St. Gallen 2-3 Gesuche von Sans-papiers erhalten, diese aber nicht dem Bund weitergeleitet. St. Gallen wende, neben dem Rundschreiben von 21.12.01 zusätzliche Richtlinien an. Schaffhausen hat bis zum November 2003, laut Auskunft der Begörde, ein Gesuch erhalten und dieses positiv berurteilt. Die Statistik vom 10 Juni 2003 registriert 2 Eingaben aus den Thurgau (2 Dossiers/2 Personen), die vom Bund positiv beurteilt worden sind. Die in der Statistik erfassten 6 Dossiers, die von Zürich an den Bund weitergeleitet worden sind, müssen von fremdenpolizeilich noch tolerierten Personen stammen, da sich die Frepo des Kantons Zürich grundsätzlich gegen eine Legalisierung von Sans-papiers stellt. Sie wollen keine "Gesetzesbrecher" belohnen, sagen die Behördenvertreter. Im Kanton Zürich haben die beiden Landeskirchen eine Anlaufstelle für Sans-papiers eingerichtet, doch ist die Sicherheitsfrage mit den Behörden nicht abgeklärt worden. Die Kantone Zürich, St. Gallen, Graubünden und Obwalden haben sich anlässlich der Vernehmlassung zum "Härtefall"-Rundschreiben deziediert gegen eine Sans-papiers-Lösung ausgesprochen. Eingaben von Sans-papiers aus den Kantonen Graubünden, Obwalden und St. Gallen tauchen denn auch in der Statistik nicht auf.
Fazit: Die Deutschschweizer Kantone wollen in der Sans-papiers mehrheitlich das Heft in der eigenen Hand behalten. Indem sie die Eingaben nicht an den Bund weiterleiten, halten Sie an der herkömmlichen Kantonspolitik fest und bestärken damit ihre fremdenpolizeiliche Autonomie.
Das Überprüfungsverfahren benachteiligt diejenigen, die die grössten Probleme bei einer Rückkehr haben
Für Sans-papiers erweist sich das Asyl als Falle. Es ist paradox, dass gerade diejenigen Sans-papiers, die am meisten Angst vor einer Rückkehr haben, die geringsten Chancen im "Härtefall"-Verfahren besitzen. Wer aus Furcht vor Gewalt und Übergriffen in die Schweiz gekommen ist, hat häufig ein Asylgesuch gestellt. Doch wurde den Vorbringen nicht geglaubt oder sie reichten als Asylgrund oder Wegweisungshindernis nicht aus. Für eine asylrechtliche Anerkennung braucht es ja die unmittelbare, persönliche und staatliche Verfolgung aus politischen oder rassistischen Gründen. Nicht alle Gefährdeten passen in dieses Schema. Wer aber im Asylverfahren ab- und weggewiesen worden und anschliessend untergetaucht ist, also beim Wegweisungs- und Ausschaffungsverfahren seine Mitwirkungspflicht verletzt hat, erhält gemäss dem Rundschreiben vom 21.12.01 keine Legalisierungschancen, selbst wenn die Person vor und/oder nach dem Verfahren viele Jahre als Sans-papiers in der Schweiz gelebt hat. Das Rundschreiben verweist auf das Asylgesetz und ARK-Entscheide, die eine Legalisierung nach dem Asylverfahren ausschliessen. Die Härtefallpraxis des BFF ist jedoch höchst uneinheitlich und nicht nachvollziehbar. Es kommt zuweilen zu positiven Entscheiden, trotz Untertauchen nach dem rechtskräftigen Wegweisungsentscheid.
So hat das BFF im April 2002 ein ihm vom Kanton Basellamd unterbreitetes Dossier abschlägig beantwortet, weil sich der betreffende Sans-papiers vor zwei Jahren "als unbekannten Aufenthaltes abgemeldet wurde". Ein ehemaliges Asylbewerber-Ehepaar aus dem Kanton Solothurn erhielt wiederum einen positiven Entscheid, obwohl es sich der früher angeordneten Wegweisung entzogen hatte. Auf die Nachfrage, ob die seit längerer Zeit untergetauchten (ehemaligen) Asylsuchenden keine Chancen auf eine Härtefallbewilligung haben, konnte der BFF-Direktor J.D. Gerber im Juni 2002 keine eindeutige Antwort geben: Es käme immer auf den Einzelfall an. Diese Antwort erhalten wir immer wieder; sie macht uns ratlos.
Das BFF entscheidet über die Sans-papiers-Eingaben der Kantone ohne Verfügungen. Ein negativer Entscheid wird dem Kanton "informell" mitgeteilt. Damit verbaut das Amt jegliche Partei- und Rekursrechte. Eine Gutheissung von Dossiers wird so zum geheimnisvollen Gnadenakt, der den Willkürverdacht fördert.
Frauen mit ihren spezifischen Gründen, weshalb sie nicht in die Heimat zurückkehren können, fallen beim jetzigen Überprüfungsverfahren zwischen Stuhl und Bank
Die Frauen unter den Sans-papiers sind nicht selten aus geschlechtsspezifischen Gründen in die Schweiz gekommen. Manche haben versucht, ein Asylgesuch zu stellen, doch frauenspezifische Fluchtgründe werden häufig als unglaubwürdig abgetan. Fluchtgründe aufgrund familiärer Probleme (Frauen aus sehr patriarchalischen Familienverhältnissen mit starken Sanktionen gegen abweichendes Verhalten) werden im Asylverfahren nicht als Asylgrund und häufig auch nicht als Wegweisungshindernis anerkannt. Da die Frauen nicht zurückkehren können ohne ihr Selbstbestimmungsrecht preiszugeben, tauchen sie nach der Wegweisung unter. Oft handelt es sich bei Sans-papiers-Frauen aber auch um in der Schweiz geschiedene oder von ihren Partnern verlassene Frauen, welche schwerwiegende familiäre Konsequenzen zu tragen haben. Schwangerschaften oder die hier in der Schweiz geborenen Kinder belasten die Sans-papiers-Frauen ausserordentlich. Es ist sehr schwierig für alleinerziehende Frauen, ein Kind in der Illegalität zur Welt zu bringen und aufzuziehen.
Die Unterstützung und die Beratung von Sans-papiers, die enorm viel Ressourcen beanspruchen, obliegen freiwilligen, unbezahlt arbeitenden UnterstützerInnen
Die Beratungs- und Unterstützungsarbeit wird fast ausschliesslich von engagierten UnterstützerInnen in unbezahlter Arbeit geleistet. Das Verfassen von Sans-papiers-Eingaben setzt einen guten Kontakt mit Sans-papiers (Vertrauensverhältnis), Kenntnis ihrer Situation sowie ein riesiges und langfristiges Engagement und sehr viel Phantasie für neue Lösungswege voraus.
In Basel-Stadt haben verschiedene NGOs im Oktober 2002 eine staatlich nicht subventionierte "Anlaufstelle Sans-papiers" eröffnet. Der grösste Teil der Begleit- und Beratungsarbeit leistet die Stelle ehrenamtlich.
Beispiele
Systemwechsel von 1991 haben diese 1996 ihre Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz in der Schweiz verloren. Die Geschichten sind sich sehr ähnlich, nicht aber die Beurteilungsergebnisse der Behörden zu den Legalisierungs-Gesuchen.
1. Sans-papiers (Ex-Saisonnier)
Herr S. hat Anfang 2002 in Bern ein anonymisiertes Dossier eingereicht. Er war damals vor gut sechs Jahren in die Schweiz eingereist und hat seither hier als Sans-papiers gelebt und gearbeitet. Er ist ledig und hat keine Kinder. Er ist von Beruf Landwirtschaftsingenieur und hat hauptsächlich in der Landwirtschaft zu einem Monatslohn von Fr. 1'200.- gearbeitet. Er hat nie ein Asylgesuch gestellt.
Die Einschätzung durch den Kanton hat ergeben, dass ein sechsjähriger Aufenthalt in der Schweiz für einen Alleinstehenden zu kurz sei. Bei sehr guter Integration bestünden Legalisierungschancen von 30%.
Im Rundschreiben vom 21.12.01 steht, dass die Gesamtdauer des Aufenthaltes ein wichtiges Kriterium bilde. Bei Aufenthalten von mehr als vier Jahren erscheine eine vertiefte Prüfung der Begehren um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung durch die kantonalen Behörden angezeigt. Allerdings genügt gemäss Rundschreiben eine Anwesenheitsdauer von mehr als 4 Jahren für sich allein nicht. Das bisherige Verhalten sei von entscheidender Bedeutung, insbesondere die berufliche und soziale Integration. Zudem sei erforderlich, dass nicht verlangt werden könne, in einem anderen Land zu leben. Das Beispiel zeigt, wie schwierig die behördliche Entscheidpraxis aus dem Rundschreiben abzuleiten ist. Zuviele Faktoren werden irgendwie gewichtet. Die Gewichtung ist weder messbar noch klar nachvollziehbar. Das Rundschreiben enthält keine eigentlichen Kriterien. Was bedeutet zudem die geforderte berufliche Integration? Viele Sans-papiers müssen notgedrungen ihre Arbeitgeber häufig wechseln und erhalten weder Arbeitszeugnisse noch Arbeitsverträge.
2. Sans-papiers seit 1990 in der Schweiz (Ex-Saisonnier)
Herr B. kam 1990 als Arbeitnehmer mit Kurzaufenthaltsbewilligung in die Schweiz. Vom 1991 bis 1996 arbeitete er als Saisonniers, zuerst auf einem Bauernhof, danach bei einem Bauunternehmen. 1996 verlor er aufgrund des Systemwechsels die Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung. Er kehrte pflichtgemäss in seine Heimat zurück, doch nach rund drei Monaten kam er wieder in die Schweiz und stellte ein Asylgesuch. Seine Frau und sechs Kinder folgten ihm nach und baten ebenfalls um Asyl. Sie konnten bis Ende 2000 in der Schweiz bleiben und reisten dann, der Wegweisung gehorchend in die Heimat. Dort war der Hof mit den Tieren, dem ganzen Inventar und allen Maschinen, die sich Herr B. aus seinem Saisonniereinkommen erstanden hatte, zerstört. Ein paar Monate später kehrte Herr B. in die Schweiz zurück und arbeitet seither rund zwei Jahre als Sans-papiers bei verschiedenen Arbeitgebern.
Die Einschätzung des Kantons Bern auf das anonymisierte Gesuch hin war die folgende: Relativ gute Chancen, allerdings hängen diese von der Dauer des Unterbruchs des Aufenthalts in der Schweiz ab. Welches die kritische Grösse eines Aufenthaltsunterbruchs wäre, konnte nicht gesagt werden. Auch eine höhere Beamtin des BFA konnte das nicht festlegen. Sie meinte lediglich, für andere Ausländer (mit Bewilligung C) würde ein Aufenthaltsunterbruch bis zu einem Jahr gestattet. Es könne auch eine Rolle spielen, wann der Unterbruch stattgefunden habe.
Herr B. hat mit seinem kurzen Aufenthaltsunterbruch die Asylschiene verlassen. Der Wohnkanton Aarau, dem wir im Mai 2002 ein anonymisiertes Härtefall-Gesuch unterbreiteten, hat das Dossier in anonymisierter Form ans BFA geschickt. Dieses beurteilte das anonymisierte Dossier am 21.6. 2002 wegen dem Aufenthaltsunterbruch (im Unterschied zu anderen ähnlichen Eingaben, die ebenfalls Aufenthaltsunterbrüche aufwiesen), negativ. Zudem warf das BFA dem betreffenden Sans-papiers vor, sich aus wirtschaftlichen Motiven (Erarbeiten einer Existenzgrundlage für seine Kinder in der Heimat) in der Schweiz aufzuhalten; dies entspreche einem Härtefall nicht. Diese Beurteilung war als formloses Schreiben an die Frepo Aargau verfasst.
Die Rechtsvertreterin von B. verlangte von der Frepo ein formelles Verfahren mit einem formellen Gesuch. Die Frepo hielt sich still. Anfang Januar 2003 hielt Herr B. die ungeklärte Situation nicht mehr aus und stellte sich der Aargauer Polizei. Die Rechtsvertreterin hat sofort ein formelles Gesuch nachgereicht. Herr B. wurde von der Frepo mehrere Male verhört. Im März 2003 kam ein Brief von der Frepo Aargau: Herr B. musste detaillierte Angaben machen darüber, wo er sich seit seiner Wiedereinreise im Jahr 2001 aufgehalten (genaue Orts und Datumsangaben), von wann bis wann er wo und bei wem gearbeitet und wovon er in dieser Zeit gelebt habe. Innert (verlängerter) Frist, am 25. April, gab die Rechtsvertreterin 90 Erklärungen von UnterstützerInnen ab. Die Arbeitgeber, bei denen Herr B. arbeitete oder gearbeitet hatte, waren jedoch nicht bereit, die Beschäftigung von Herrn B. zuzugeben. Es handelte sich dabei um renommierte Unternehmen des Kantons.
Ende Mai vernahm die Rechtsvertreterin von der Frepo Aargau, dass in den nächsten Tagen ein Entscheid eintreffe. Auf Nachfrage der Rechtsvertreterin beim IMES erklärte der Beamte, das IMES habe keinen Entscheid getroffen; es gäbe somit für Herrn B. kein Parteirecht. Es sei bloss ein informeller Schriftenwechsel mit dem Kanton Aargau erfolgt. Am 10.6. 2003 traf dann der negative Entscheid der Frepo Aargau ein. Die Begründung ist völlig schleierhaft: "Die Voraussetzungen, um jemanden als Sans-papiers anerkennen zu können, liegen gemäss Definition des IMES eben gerade nur dann vor, wenn ein gefestigtes Arbeitsverhältnis oder eine wirtschaftliche Selbständigkeit gegeben und die betreffende Person ihren öffentlich-rechtlichen Pflichten nachgekommen ist." (Herr B. stand in einem festen Arbeitsverhältnis). Und weiter schreibt die Frepo: "Mit seinem illegalen Aufenthalt in der Schweiz hat Herr B. gegen das Gesetz verstossen und es kann – auch unter Berücksichtigung der Rechtsgleichheit – nicht angehen, dass gesetzeswidriges Verhalten noch belohnt wird, indem der illegale Aufenthalt nachträglich noch legalisiert wird." Die Ausreisefrist wurde auf drei Tage nach der Entscheideröffnung festgelegt (konnte um eine Woche verlängert werden). Herr B. ist noch im Juni schweren Herzens ausgereist. Eine Gruppe von Freiwilligen hilft ihm und seiner Familie finanziell beim Überleben in der Heimat.
3. Herr A. Sans-papiers seit 1990 in der Schweiz (Ex-Saisonnier)
Die Geschichte von Herr B. gleicht bis in die Details derjenigen von Herrn A., der mit seinem Gesuch mehr Glück hatte. Er arbeitete von 1990-1996 als Saisonniers und konnte mit seinem Einkommen die sechs-köpfige Familie in der Heimat unterhalten. 1996 verlor auch er seine Saisonniers-Bewilligung, worauf er zu seiner Familie zurückkehrte. Er reiste aber kurz darauf wieder in die Schweiz zurück und arbeitete weiter als Sans-papiers. Für kurze Zeit suchte er auch Arbeit in Deutschland. 2001 machte Herr A. einen Versuch, seinen Status zu legalisieren. Die Fremdenpolizei schickte ihn auf die Empfangsstelle, wo er sofort vorsorglich nach Deutschland weggewiesen wurde. Herr A. kehrte in die Schweiz zurück und arbeitete weiter, um seine Familie zu Hause unterstützen zu können. Im Oktober 2001 reichte er ein anonymisiertes und am 29.12. 2001 ein formelles Gesuch ein. Der Kanton Bern leitete sein Gesuch mit einer positiven Empfehlung ans BFA weiter. Es wurde im Juni 2002 positiv beantwortet.
4. Herr N., seit 1987 in der Schweiz (Ex-Saisonnier)
Herr N. arbeitete von 1987-1993 als Saisonnier im Kanton Obwalden. 1993, nach dem Systemwechsel für Saisonniers ausserhalb der EU, verlor er seine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung. Er lebte anschliessend als Sans-papiers im Kanton Luzern. Anfang 2002 reichte er beim Migrationsdienst im Kanton Bern (MIDI) ein anonymisiertes Dossier ein, weil dies nur in diesem deutschschweizer Kanton möglich war. Der MIDI attestierte Herrn N. aufgrund der anonymisierten Angaben sehr gute Chancen für eine Härtefallregelung. Das Kollektiv begann ein formelles Gesuch für Herrn N. zu erarbeiten, doch war unklar, wo das Gesuch eingereicht werden soll. Mit dem Integrationsdelegierten des Kantons Luzern wurden erste Kontakte aufgenommen. Dieser Kanton erwägt eine Anlaufstelle für Sans-papiers einzurichten. Anfragen im Kanton Obwalden sind vorerst unfruchtbar geblieben. Bevor sich diese Fragen abklären liessen, geriet Herr N. in Zürich in eine Polizeirazzia. Nun fühlte sich Zürich zuständig für Herrn N.
Der Chef vom MIDI Bern intervenierte beim Frepo-Chef inZürich zu Gunsten von Herrn N., doch erklärte Zürich, dass sie keine "Härtefälle" regeln von Personen, die sich illegal in der Schweiz aufgehalten haben. Eine Chefbeamtin vom Bundesamt für Ausländerfragen (BFA) sagte, sie könne nicht in die Kompetenzen der Kantone eingreifen.
Herr N. wurde vier Tage nach seiner Inhaftierung mit einem Strafbefehl (Verurteilung zu zwei Monaten Gefängnis wegen rechtswidriger Einreise und Rechtswidrigem Aufenthalt), einer Einreisesperre vom BFA und der Auflage, die Schweiz sofort zu verlassen, aus dem Gefängnis entlassen.
5. Herr M, seit 1990 in der Schweiz (Ex-Saisonnier)
Herr M. , der seit 1990 die meiste Zeit als Sans-papiers in der Schweiz arbeitete, reichte ein Gesuch an den Kanton Bern ein, als er im Frühjahr 2002 von der Polizei aufgegriffen und in Ausschaffungshaft gebracht worden war. Er hatte sich während viereinhalb Jahren legal in der Schweiz aufgehalten. Das BFF hatte ihm als Kriegsdienstverweigerer eine befristete Aufenthaltsbewilligung erteilt (F-Bewilligung). Herr M. lebte während vier Jahren mit einer vorläufigen Aufnahme in der Schweiz. Nach Aufhebung der dieser Bewilligung (1998) war Herr M. nicht ausgereist und lebte und arbeitete wiederum als Sans-papiers in der Schweiz. Sowohl der Kanton Bern wie auch das BFA beurteilten sein Gesuch positiv. Herr M ist ledig und kinderlos..
6. Familie X, Herr X. seit 1989 in der Schweiz, Ausreise von Herrn X, um auf korrektem Weg ein Gesuch für eine Arbeitsbewilligung einzureichen
Herr X, der Bruder von Herrn M.. arbeitet seit 1989 mit einer Kurzaufenthaltsbewilligung bei verschiedenen Arbeitgebern in der Schweiz. Fünf Jahre nach seiner Einreise wurde er, bei einer Polizeikontrolle am Arbeitsplatz, festgenommen und weggewiesen (weil er über die Zeit seiner Kurzaufenthaltsbewilligung hinaus gearbeitet hatte). Bereits damals wurde ein Härtefallgesuch eingereicht und abgelehnt. Etwas später kehrte Herr X mit seiner Frau (die drei Kinder sind in der Zeit Schweiz geboren) in die Schweiz zurück und stellte 1996 ein Asylgesuch, das später abgelehnt wurde. Ein weiteres Mal erhielt Herr X. eine Kurzaufenthaltsbewilligung (L) und begann, bei seinem heutigen Arbeitgeber zu arbeiten. Die Wegweisung wurde auf den 30.Mai 2000 festgelegt, doch die Familie erhielt aus medizinischen Gründen Aufschub. Schliesslich war die Behörde des Kantons Fribourg bereit, sich für eine Arbeitsbewilligung oder eine humanitäre Aufnahme einzusetzen, wenn Herr X in seine Heimat zurückkehrt und von dort aus ein Gesuch stellt. Herr X. ist darauf, im Januar 2002, in seine Heimat zurückgekehrt und hat von dort aus sein Gesuch um eine Arbeitsbewilligung bei seinem langjährigen Arbeitgeber gestellt. Der Arbeitgeber ist in der Zwischenzeit für den Unterhalt von Frau und Kinder, die in der Schweiz geblieben waren, aufgekommen und hat sich mit allen Kräften für eine Aufenthaltsbewilligung der Familie eingesetzt.
Das BfA hat das aus der Heimat gestellte Arbeitsgesuch abgelehnt. Ebenfalls eine negative Antwort wurde der Rechtsvertreterin auf das vom Kanton eingereichte Härtefallgesuch zur Stellungnahme unterbreitet. Herr X., der fast drei Monate in der Heimat auf einen positiven Entscheid wartete, ist illegal in die Schweiz zurückgekehrt, als seine Tochter einen Unfall erlitt.
Die Rechtsvertreterin hat in ihrer Stellungnahme hauptsächlich die Rechtsungleichheit zwischen der Gesuchsbeurteilung von Herrn M. und seinem Bruder, Herrn X. beanstandet. Im Herbst 2002 hat Herr M. vom BfA einen positiven Entscheid erhalten.
7. Sans-papiers seit rund 7 Jahren in der Schweiz, kein Asylgesuch
Herr N. war während über dreieinhab Jahren mit einer Schweizerin verheiratet und lebte in Bern. Er arbeitete als Journalist und interkultureller Mediator. Ende 1998, nach der Scheidung, verlor er seine B-Aufenthaltsbewilligung, lebte und arbeitete jedoch weiterhin in der Schweiz, allerdings mit kurzen Unterbrüchen: Ein paar Mal hat Herr S. seine Kinder in der Heimat, denen er regelmässig Geld geschickt hatte, besucht. Er hatte seinen Lebensmittelpunkt hier in der Schweiz und war beruflich und sozial gut integriert.
Herr S. wurde trotz Härtefallgesuch von der Basler Behörde ausgeschafft. Der zuständige Chefbeamte meinte, nur weil dieser Mann nach dem Wegfall des Aufenthaltszwecks (Ehe) Lust hatte, weiterhin als Journalist hier zu arbeiten, sei er deswegen noch lange kein Härtefall. Die kurzfristigen Unterbrüche des unbewilligten Aufenthaltes werden im nachfolgenden Beispiel thematisiert.
8. Frau P., Sans-papiers mit frauenspezifischen Gründen
F rau P. hatte ihr Land sowohl aus politischen wie familiären Gründen verlassen – zuerst als Kurzarbeiterin, dann als Asylsuchende in der Schweiz. Seit Sommer 2000 lebt sie als Sans-papiers in der Schweiz. Sie arbeitet als Hausangestellten bei verschiedenen Frauen. Im Oktober 2001 reichte sie dem Kanton Bern ein anonymisiertes Gesuch ein, im darauf folgenden November erhielt sie folgenden Bericht:
"Frau P. weilte von 1990 bis 1992 in der Schweiz und unterstand dem ANAG. Mit der Einreichung des Asylgesuchs veränderte sich ihre Situation; ihre heutige Situation beurteilt sich nach dem Asylgesetz. Dieses legt in Art. 14 unter anderem fest, dass vom Zeitpunkt der Einreichung eines Asylgesuches bis zur Ausreise nach seiner rechtskräftigen Ablehnung kein Verfahren um Erteilung einer fremdenpolizeilichen Bewilligung eingeleitet werden kann. Der MIDI hat keinen Handlungsspielraum. Frau P. könnte Gründe gegen eine Wegweisung im Rahmen eines Wiedererwägungsgesuchs geltend machen und allenfalls eine vorläufige Aufnahme wegen Unzumutbarkeit der Wegweisung oder wegen des Vorliegens einer schwerwiegenden persönlichen Härte erhalten. Die Aussichten sind als eher gering einzustufen." Die "persönliche Härte" ist: "Vor einer Ausschaffung hat sie panische Angst; es ist für sie unvorstellbar, sich unter die Tyrannei eines Familienangehörigen zurück zu begeben. In diesem Zusammenhang befindet sie sich in ärztlicher Behandlung."
Frau P. konnte und kann aus frauenspezifischen Gründe nicht nach Hause zurück kehren. Ein formelles Gesuch ist – nach inzwischen erfolgter Aus- und Wiedereinreise – eingereicht worden.
Anni Lanz