Der Schweiz. evang. Kirchenbund, insbesondere die Kirchen und ihre Beratungszentren in der Westschweiz sind seit Jahren konfrontiert mit den vielfältigsten Problemen der Sans-Papiers. Der evang. Kirchenbund nahm das Thema in seinen "migrationspolitischen Leitlinien" und im "Wort der Kirchen zur sozialen und wirtschaftlichen Zukunft der Schweiz" auf. 1999 führte er eine schweizerische Tagung durch. Letztes Jahr erarbeitete er Vorschläge für eine Regularisierung und forderte die Mitgliedkirchen auf, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen. Jüngstes Beispiel dafür ist das Treffen vom 3.11.02 zwischen Kirchenbehörden und Sans-Papiers in Genf.
Sans-Papiers leben hier. Auch wenn wir nicht wissen, wie viele es sind, können und dürfen wir die Augen vor dieser Tatsache nicht verschliessen.
Härtefallregelung – ein erster Schritt
Die Härtefallregelung, die im Rundschreiben von BFA und BFF vom letzten Dezember umschrieben wird, begrüssen wir als Möglichkeit, in ganz besonderen Situationen Lösungen für Sans-Papiers zu finden. Es handelt sich aber nach wie vor um eine Ausnahmeregelung, von der nur wenige Personen profitieren können. Zudem sind die Aussichten auf eine Anerkennung als Härtefall unsicher und restriktive Kantone leiten keine entsprechenden Gesuche an den Bund weiter.
Wir wünschen, dass diese Härtefallregelung in der ganzen Schweiz verbindlich vollzogen wird und dass keine Wegweisungen durchgeführt werden, wenn ein Gesuch gestellt wird und während der Prüfung des Gesuchs. Im Gesetz soll statt einer Kann-Vorschrift ein rechtlich durchsetzbares Aufenthaltsrecht statuiert werden.
Wir meinen aber auch, dass diese Härtefallregelung lediglich einen ersten Schritt in die richtige Richtung darstellt. Wir setzen uns deshalb ein für eine
Regularisierung mit gruppenbezogenen Kriterien
Unserer Meinung nach gibt es Gründe, Anknüpfungspunkte, die eine Verantwortung des Staates und unserer Gesellschaft diesen Menschen gegenüber schaffen. Ich erwähne stichwortartig: früheres Anwesenheitsrecht, das entfiel; mehr oder weniger bewusstes Tolerieren durch die Behörden; Arbeit und u.U. Bezahlung von Steuern und Beiträgen an die Sozialversicherungen. Die aus diesem faktischen Bezug zur Schweiz entstehende Verantwortung muss die Basis sein für eine Lösung und nicht allein der Vollzug der Ausländergesetzgebung.
Der Kirchenbund schlägt eine Regularisierung mit einigen wenigen, gruppenbezogenen, klaren Kriterien vor. Wir gehen von typisierten Situationen aus, für die es aufgrund unserer ethischen Vorstellungen wichtig ist, eine Lösung zu finden. Wir setzen uns also nicht für eine Globalamnestie ein, sondern suchen Wege, für die u.E. politische Mehrheiten, wenn nicht heute, so hoffentlich morgen, gefunden werden könnten.
Als grundsätzliche Anforderungen für eine Regularisierung sehe wir 2 Kriterien: 4 Jahre faktischer Aufenthalt in der Schweiz und Fehlen von erheblichen strafrechtlichen Verurteilungen. Ein drittes Kriterium müsste je nach Gruppenzugehörigkeit erfüllt werden. Zu den Gruppen von Sans-Papiers, die unserer Meinung nach eine Aufenthaltsbewilligung erhalten sollten, gehören z.B. die
- Gruppe "ehemalige Saisonniers" (insbes. aus dem ehemaligen Jugoslawien)
- Gruppe "Familienleben" (das Familienleben wie auch andere Formen des Zusammenlebens sind uns wichtig)
- Gruppe "ArbeitnehmerInnen" (ich erwähne hier bes. die Frauen, die Hausarbeit verrichten)
- Gruppe "Gewaltbetroffene" (die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit, der persönlichen Freiheit können nur so durchgesetzt werden)
- Gruppe "geschiedene Ehegatten" (wer seinen Lebensmittelpunkt in der Schweiz hat, soll hier bleiben dürfen)
- Gruppe "gescheiterter Auswanderungsversuch" (z.B. für MigrantInnen der 2. Generation, deren Versuch, in einem anderen Staat beruflich und persönlich Fuss zu fassen, scheitert)
Revision Ausländergesetz
Die bevorstehende Revision des Ausländergesetzes wäre eine Chance, genau hinzusehen, welche Regelungen und Abgrenzungen vor allem zu Sans-Papiers führen. Abgesehen von der Grundsatzfrage des 2-Kreise-Modells würden grosszügigere Vorschriften, zum Beispiel beim Familiennachzug, mithelfen, Sans-Papiers zu vermeiden.
Humanisierung des Alltages
Sans-Papiers wird es geben, solange Zulassungsbegrenzungen existieren. Nicht alle Sans-Papiers leben in schwierigen Verhältnissen aber sicher viele. Schritte zur Humanisierung ihres Alltages, sind deshalb wichtig. Hier ist ein Umdenken nötig: Ein Staat, der die Menschenrechte ernst nimmt, kann nicht nur repressiv mit der unerwünschten Migration umgehen. Er muss auch tätig werden, um die Rechte dieser Sans-Papiers zu schützen. Dafür sprechen durchaus auch seine eigenen Interessen: So ist eine sozial desintegrierte Unterklasse eine grosse Belastung für den Zusammenhalt der gesamten Gesellschaft. Die Gesundheitsversorgung von Sans-Papiers dient auch dem Schutz der allgemeinen Bevölkerung vor Krankheiten und Epidemien.
Primär sind hier Massnahmen zu treffen zur Trennung der Rechte der Sans-Papiers während ihres Aufenthaltes in der Schweiz vom Vollzug der Wegweisung. Das heisst z.B., dass Behörden wie die Schulen, die Spitäler, Arbeitsgerichte etc., an die sich Sans-Papiers sollten wenden können, keine Informationen über deren Anwesenheit an die Fremdenpolizei übermitteln und dazu auch gesetzlich nicht verpflichtet werden dürfen. Problematisch sind in diesem Zusammenhang die Meldungen der Sozialhilfebehörden. Das Grundrecht auf Hilfe in Notsituationen beschränkt sich dadurch auf die Hilfe für "geduldete" Sans-Papiers.
7.11.2002
AMS