1. Analyse
Es gibt vermutlich mehr Frauen als Männer, die als Sans-papiers in der Schweiz arbeiten. Im Solidaritätsnetz Region Basel haben wir fast ausschliesslich Frauen begleitet. Im Sans-papiers-Kollektiv sind fast nur Männer an die Öffentlichkeit getreten.
Das ist kein Zufall. Sans-papiers-Frauen stecken oft in familiären oder familienähnlichen Anhängigkeitsverhältnissen, die sie daran hindern, überhaupt über ihre Probleme zu sprechen. Es sind häufig patriarchale Abhängigkeitsverhältnisse. Diese findet sie nicht nur in der Herkunftsgesellschaft, sondern auch hier: Ich denke da nicht nur an die Botschaftergattin, den Hausherrn, den Zuhälter, die sich eine Zudienerin halten. Ich denke auch an die Haltung der Behörden. Im Rundschreiben Metzler kommt deutlich zu Ausdruck, wen man mit den sozial und beruflich gut Integrierten meint: vollzeitlich arbeitende Familienoberhäupter mit Hausfrau, die für die Kinder mit schulischen Glanzleistungen zu sorgen hat.
2. Was wurde bis anhin gemacht?
Patriarchale Strukturen prägen nicht nur unser Ausländergesetze, die Verordnungen, Weisungen und Rundschreiben, sondern auch unsere Gesellschaft und den Arbeitsmarkt. Sans-papiers-Frauen arbeiten vor allem im sogenannten Privatraum: im Haushalt, in der Reinigung und im Sex-Gewerbe. Einige unter ihnen sind Betroffene von Frauenhandel. Für ein Schutzprogramm für die Betroffenen kämpfen Frauen-NGOs und Bundesparlamentarierinnen schon seit Jahren. Ein erstes Ergebnis ist der kürzlich erschienene inder-departementale Arbeitsgruppenbericht Menschenhandel des Bundesamtes für Justiz, der Straffreiheit bei ANAG-Verstössen und einen Rechtsanspruch auf Aufenthalt für Betroffene in beschränktem Ausmasse empfiehlt. Der Bundesrat hat sich von diesen Vorschlägen distanziert.
Die heutige Praxis ist für Migrantinnen fatal, insbesondere für diejenigen, die aus patriarchalen Abhängigkeitsverhältnissen ausbrechen wollen: Damit sie ihren Aufenthalt aus "humanitären Gründen" verlängern können, müssen sie sich als Opfer unter Beweis stellen. Das wollen die Frauen nicht. Und wenn sie das in grosser Not dennoch tun und über Dinge sprechen, die für sie riskant sind, dann befinden die Behörden nach eigenem Ermessen, ob dies erhebliche Gründe seien.
3. Welche Lösungsvorschläge?
Ich plädiere nicht für frauenspezische Regularisierungs-Kriterien. Denn damit würden Frauen in die Zwangslage versetzt, ihren Opferstatus zu beweisen und gegen den Täter auszusagen. Der Zwang, gegen Täter – auch gegen ArbeitsgeberInnen – auszusagen, um eine Aufenthaltsbewilligung zu erhalten, ist strikte abzulehnen. Es geht darum, einen Legalisierungsmodus zu finden, bei welchem die Situation von Frauen mitgedacht ist, der aber nicht abhängig ist von nachzuweisenden Gewalt- und Ausbeutungsverhältnissen. Er darf auch nicht auf einem nachzuweisenden Arbeitsverhältnis beruhen; Sex-ArbeiterInnen beispielsweise oder Hilfen in verschiedenen Haushalten wären dadurch ausgeschlossen. Das deklarierte Einkommen sollte genügen, wobei die Erziehungs- und Familienarbeit angerechnet werden müsste.
Anni Lanz
Solidarité sans frontières
8.11.02