Um beim Guten zu beginnen: Dass zahlreiche Papierlose dank der Sans-papiers-Bewegung immer noch hier und nicht längst ausgeschafft worden sind, erfüllt uns mit Genugtuung. Erfreulich ist auch, dass die Sans-papiers-Kollektive ihren beharrlichen Kampf weiterführen. Ausserdem hat am 13. Dezember 2002 der Runde Tisch in Bern stattgefunden. Organisiert worden ist er von einer «Plattform», der neben Parteien und Gewerkschaften, NGO’s und kirchlichen Organisationen auch Solidarité sans frontières angehört. Insgesamt haben rund 70 VertreterInnen teilgenommen, darunter etwa 15 aus der Bundesverwaltung und fünf aus Kantonsverwaltungen. Unsere Vorschläge wurden gehört oder zumindest angehört. Unter der Eisschicht liess sich ein schwaches Erzittern wahrnehmen: Auch im Umfeld der Bundesrätin Ruth Metzler lässt sich ein Unbehagen feststellen über das Misslingen der im «Rundschreiben Metzler» vom 21. Dezember 2001 verankerten Einzelfallpolitik.
Die Vorschläge der Plattform
Die Vorschläge, die wir gemacht haben, betreffen zwei Ebenen: Die eine umfasst die Regularisierungen und Ausweisungen, die andere die Lebensbedingungen von Sans-papiers. Hinsichtlich der zweiten Ebene sind Verbesserungen für die Krankenversicherung, die Einschulung und das Meldeverbot der Schwarzarbeit zumindest nicht aussichtslos. Der Runde Tisch wird den Dialog hierzu weiterführen, namentlich mit dem Bundesamt für Sozialversicherung und mit der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren.
Und nun zum Schlechten: Die Anzahl der legalisierten Personen ist absolut lächerlich: sie liegt immer noch unter 500. Selbst bei den Bundesbehörden ist man sich bewusst, dass die Kriterien verschwommen und willkürträchtig sind, aber niemand bringt Vorschläge zur Abhilfe. Vor allem, dass die Deutschschweizer Kantone – ausser Bern – fast keine Bemühungen zur Legalisierung von Sans-papiers unternehmen, ist ein Skandal. Während die grosszügigeren Kantone finanziell bestraft werden, erfahren diejenigen, die bedenkenlos ausschaffen, keinerlei Sanktionen, selbst wenn sie die an sich schon restriktive Politik des Bundes noch unterlaufen.
Ausschaffungen in der Waadt
Das dunkelste Kapitel bilden die Ausschaffungen. Im Kanton Waadt beispielsweise hat Regierungsrat Pierre Chiffelle anfangs Dezember 2002 immerhin ein Moratorium angekündigt. Aber schon einige Tage später gab sein Departement die Ausschaffung von 25 Personen bekannt, deren Dossiers es nicht an den Bund zur Legalisierung weiterleiten wollte, obwohl die Betroffenen die Kriterien des Rundschreiben, zumindest teilweise, erfüllt hätten. Die betroffenen Familien wurden darüber Mitte Dezember 2002 benachrichtigt und mit einer Wegweisungsfrist bis zum 8. Januar 2003 belegt. Ein Skandal! Auf die Proteste entgegnete Pierre Chiffelle, dass sich seine Dienststellen bei dieser unzeitigen Ankündigung im Ton vergriffen hätten und dass es einen Aufschub geben werde. Doch ändert dies wenig an den verheerenden Wirkungen einer solchen Politik.
Das Leben unter der Eisdecke regt sich, ein Kampf ums Überleben, der weiterhin unterstützt werden muss – von den Kollektiven und allen Beteiligten der «Plattform». Wir werden unsere Hände nicht in den Schoss legen.
Anne-Cathrine Menétrey-Savary
Nationalrätin, GPS VD