Liebe Frauen, liebe Männer
Wir sind hier, um gemeinsam gegen das geplante Ausländergesetz und das geplante Asylgesetz zu protestieren. So, wie es ist, soll es nicht bleiben. So, wie es geplant ist, darf es nicht werden. Solange es Staaten gibt, ist es Aufgabe der politisch Verantwortlichen, alle Einwohnenden auf ihrem Gebiet zu schützen und ihre Menschenrechte durchzusetzen – alle Staaten sind an die Menschenrechte gebunden; die Schweiz ist auch verpflichtet, ihre anderen internationalen Abkommen einzuhalten.
Ich wollte, wir könnten heute ein neues AusländerGesetz feiern, eines, das Diskriminierung, Rechtlosigkeit und Ausschluss beendet. Ich wollte, wir könnten heute ein neues Ausländergesetz feiern, das die Tatsache der weltweiten Migration anerkennt und die Menschenrechte der Migrantinnen und Migranten wirksam schützt. Ein Ausländergesetz, das transnationale Vereinbarungen anstrebt, die Sozialdumping verhindern und Sozialversicherungen für alle Migrantinnen und Migranten in den Blick rückt. Der Entwurf für das neue Ausländergesetz AuG gibt keinen Anlass zum Feiern. Die Politikerinnen und Politiker, die für den Entwurf des AuG verantwortlich zeichnen, glauben noch immer, sie würden bestimmen, ob Migration stattfindet oder nicht – sie würden entscheiden können, wer hier tatsächlich lebt oder nicht. Tatsächlich können sie nur die Einwanderung immer schwieriger machen und den unbewilligten Aufenthalt ungeschützter. Und das haben sie beim Entwurf des neuen Ausländergesetzes auch getan. Es stellt tatsächlich eine Neuheit dar: Das geplante neue Ausländergesetz bezieht sich nämlich nur auf Ausländerinnen und Ausländer von ausserhalb der EU – auf die, die in der Schweiz nur ausnahmsweise erwünscht sind. Die Angelegenheiten der EU-Bürgerinnen und –Bürger sind in den bilateralen Verträgen festgeschrieben. Die anderen, die Ausländerinnen und Ausländer aus dem Rest der Welt, dürfen kommen, wenn sie Spezialistinnen und Spezialisten sind. Für alle, die das nicht sind, für alle, die nicht unmittelbar profitabel für die Schweizer Wirtschaft sind, bleiben deshalb genau drei Möglichkeiten: Aufenthalt als Sans Papiers, einen Asylantrag zu stellen oder per Heirat bzw. Familiennachzug zu kommen. Auch der Entwurf des neuen Ausländergesetzes entwirft keine tragfähige Migrationspolitik.
In der Europäischen Menschenrechtskonvention wird allen Menschen zugesichert, mit ihren Familien zusammenleben zu können, wenn sie das wollen. Die Ausländerinnen und Ausländer, die nicht aus der EU stammen, dürfen laut geplantem neuem AuG aber nur vielleicht per Familiennachzug kommen. Diese Möglichkeit wird im Entwurf AuG erschwert und eingeschränkt. Die Linie, auf der Menschenrechte nicht ohne weiteres gewährt werden, sondern Migrationsabwehr das Prinzip, Härtefallregelungen die Ausnahme darstellen, charakterisiert das gesamte geplante neue Ausländergesetz.
Ausländischen Frauen, die von ihren Männern geschlagen werden, droht Ausweisung oder Verbleib beim prügelnden Ehemann, wenn sie noch nicht lange genug im Land sind. Die Initiative "Rechte für Migrantinnen" von NR Christine Goll richtet sich gegen diesen Skandal, der seit über 10 Jahren stattfindet, gegen die Gewaltbegünstigung durch den Staat im Aufenthaltszweck "Verbleib beim Ehemann". "Verbleib beim Ehemann", das heisst, Ausländerinnen, die mit Ausländern verheiratet sind und so wie jede andere 5. Frau in der Schweiz auch Gewalt von ihrem Ehemann erleben, dürfen nicht aus der ehelichen Wohnung ausziehen, z.B. in ein Frauenhaus, sonst droht ihnen Ausweisung. Damit wird der Gesetzgeber zum Komplizen der Täter. Theoretisch dürfen die Frauen in besonderen Härtefällen bleiben, aber es gibt einige dokumentierte steinharte Fälle, die der zuständigen Fremdenpolizei nicht hart genug waren. Die Initiative Goll wollte diesen Missstand beenden und gewaltbetroffenen Migrantinnen ein eigenes Aufenthaltsrecht geben. Im Entwurf des neuen Ausländergesetzes aber sollen auch die Migrantinnen, die mit Schweizern verheiratet sind, zur ehelichen Lebensgemeinschaft oder zur Ausweisung gezwungen sein – eine enorme Ausweitung der Gruppe von Frauen, die sich im Fall von häuslicher Gewalt von ihrem Ehemann nicht wehren können, indem sie aus der Wohnung ausziehen.
Migrationsabwehr oder Menschenrechte? Bezüglich Datenschutz sieht es im Entwurf des neuen Ausländergesetzes so aus: Es geht mehr um Datenentblössung für transnationale polizeiliche Arbeit als um Datenschutz, um Schutz der persönlichen Sphäre von Ausländerinnen und Ausländern. Transnationale Zusammenarbeit findet ganz im Sinne des Schengener Abkommens kaum zum Schutz von Menschenrechten statt, aber durchaus als grenzübergreifende polizeiliche Zusammenarbeit. Migrationsabwehr oder Menschenrechte? Diese Alternative wird von denen, die das AuG entworfen haben, auch schnell beantwortet, wenn es um die Sans Papiers geht. Gesetzlich begünstigte Gewalt, Willkür und Ausbeutung ist es, den Sans-Papiers den grundlegendsten gesetzlichen Schutz ihrer Menschenrechte zu verweigern, sie ohne Gesundheitsfürsorge zu lassen und ohne die Möglichkeit, Gewalt und Ausbeutung vor Gericht zu bringen, ohne damit Gefahr zu laufen, ausgeschafft zu werden. Menschenrechte sind Frauenrechte - Frauenrechte sind Menschenrechte: Das tönt lächerlich selbstverständlich, ist es aber nicht. Sans-Papiers Frauen arbeiten oft in den privaten Haushalten der Schweiz und im Sexgewerbe – also in für Frauen vorgesehenen Bereichen, die öffentlich so gut wie unsichtbar und äusserst gering angesehen sind. Diese extrem privaten Arbeitsbereiche sind überaus anfällig für Gewalt und Ausbeutung.
Es sind konkrete Menschen, denen Rechte vorenthalten werden und die faktisch nicht einmal minimal geschützt sind. Das darf so nicht bleiben. Deshalb sind wir heute hier.
Vielen MigrantInnen von ausserhalb der EU, die einwandern wollen, bleibt nur das Gesuch um Asyl übrig. Dies ist ein umfassendes Versagen der Migrationspolitik, die ihnen nahezu keine anderen Wege offen lässt als das enge Asyltor, das immer noch enger gemacht wird. Wir sind heute hier, um gegen den vorliegenden Entwurf des neuen Asylgesetzes genau so zu protestieren wie gegen den Entwurf für das neue Ausländergesetz. Beide hängen nämlich zusammen: wo das eine versagt, verschlimmert das andere die Lage; beide sind sich darin einig, Zuwanderung als unliebsames Problem zu verwalten und zu entsorgen.
Wer sein Glück in der Schweiz sucht, aber aus dem falschen Land und der falschen Klasse kommt und nicht genug Bildung im Rucksack hat, um für die Schweiz zu rentieren, soll weg bleiben. Wer trotzdem sein Glück sucht, kann nur das Asyltor versuchen. Die uralte Praxis, sein Glück suchen zu gehen, um sich selbst und seine Kinder zu ernähren, heisst dann Asylmissbrauch, weil nur das enge Asyltor in der Mauer der Migrationsabwehr gelassen wurde. Die meisten von Euch hier werden in ihrer FamiliengeschichteVerwandte finden, die ausgewandert sind, um anderswo Brot und Arbeit zu finden – was soll denn daran unanständig sein? Die Asylpolitik ist so, wie sie ist, weil es keine akzeptable Einwanderungspolitik gibt. Das Asyltor ist eng – zu eng für alle, die Armut entfliehen, Bürgerkriegen und der Verfolgung durch paramilitärische Einheiten, zu eng für die, die von ihrer Gemeinschaft oder ihrer Familie bedroht werden. Härtefälle werden manchmal anerkannt. Aber die Härtefallregelung bedeutet, Rechte durch Gnade zu ersetzen. Das ist Feudalismus, nicht Demokratie: Der Fürst ist gnädig und gewährt den Aufenthalt, der Fürst ist ungnädig und verweigert den Aufenthalt. Auf die Gnade des Fürsten ist kein Verlass. Auf Härtefallregelungen besteht kein Rechtsanspruch.
Ein Beispiel aus dem geplanten Asylgesetz: Frauenspezifische Fluchtgründe sind zwar im Asylgesetz, auch im geplanten, unter Umständen anerkannt, aber nicht wirklich als international verbrieftes Recht, mehr als Gnade im Einzelfall oder Härtefall, bei welchem die Asylbehörden oder die Fremdenpolizei entscheidet, ob die Härte des Falls hart genug war. Die bisher international geltenden Gründe, Menschen als Flüchtlinge anzuerkennen, sind vor allem auf politische Einzelkämpfer ausgerichtet. Sie werden häufig der realen Lebenssituation von Frauen nicht gerecht: Frauen können z.B. einfach "mitgemeint" sein und als Schwester, Tochter, Mutter oder Ehefrau von politisch missliebigen Männern verhaftet oder gefoltert werden. Frauen können auch durch familiäre oder gesellschaftliche Gewalt gezwungen sein, das Land zu verlassen. Im Zufluchtsland werden ihre Fluchtgründe vielleicht ernst genommen, vielleicht auch nicht. Fremdenpolizeiliches Ermessen geht vor Menschenrechten. Ich wiederhole: Solange es Staaten gibt, ist es Aufgabe der politisch Verantwortlichen, alle Einwohnenden auf ihrem Gebiet zu schützen und ihre Menschenrechte durchzusetzen – alle Staaten sind an die Menschenrechte gebunden; die Schweiz auch! Sie ist auch verpflichtet, ihre anderen internationalen Abkommen einzuhalten.
In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UNO heisst es:
- Artikel 1
Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. - Artikel 3
Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person. - Artikel 4
Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel sind in allen Formen verboten. - Artikel 7
Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Unterschied Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz.
Das alles steht so in den Menschenrechten. Wenn die staatlichen Stellen nicht fähig sind, diese Rechte für alle Menschen, die im Land sind, durchzusetzen, dann braucht sie niemand. Die Einwanderung einer Handvoll Privilegierter und Hochqualifizierter, Lohndumping für benachteiligte Ausländerinnen und Ausländer und Ausbeutung und Gewalt für Sans Papiers schafft die Wirtschaft auch allein – ein Staat, der nichts kann als der Wirtschaft dabei zu helfen, entzieht sich selbst die Legitimationsgrundlage. Ein solcher Staat verteidigt nur die Interessen einer privilegierten Gruppe, statt für das Wohlergehen und die Entwicklung der gesamten Bevölkerung zu sorgen – das kann die Wirtschaft allein besser.
Die Schweiz aber kann auch ganz anders. Es bestehen in diesem Land Traditionen eines vernünftigeren und menschlicheren Umgangs mit den Fremden (vgl. für die folgende historische Skizze: Willi Wottreng, Ein einzig Volk von Immigranten. Zürich 2000. S. 23-24.). Die Schweiz hat nach 1685 die hugenottischen Flüchtlinge aus Frankreich aufgenommen, die wegen ihres Glaubens vertrieben und verfolgt wurden. Mit aktiver Beteiligung von Schweizern wurde ein Schleppernetz aufgebaut, das den Hugenotten den Übertritt in die Schweiz ermöglichte – gegen Honorar. Die Schweizer Schlepper arbeiteten ähnlich wie Bergführer, nur eben auf illegalem Terrain. Den Bedrängten sei Hilfe zu gewähren, war die Maxime der Asylpolitik, die beschlossen wurde. Die Schweizer Schlepper galten als Helfer und Beschützer der Bedrängten und genossen dafür keineswegs einen schlechten Ruf.
Die Schweiz war damals über weite Regionen arm und konnte nur knapp die eigenen Leute ernähren. In Zürich kamen 17000 Hugenotten an, eine ganze Menge im Angesicht der Tatsache, dass die Stadt nur etwa 20 000 Einwohnerinnen und Einwohner hatte. Als die ortsansässige Wirtschaft versuchte, die fremde Konkurrenz loszuwerden, hatte sie erst nach mehr als 10 Jahren Erfolg. Schliesslich beschloss der regierende Rat von Zürich, die Flüchtlinge wegzuweisen – aber nur die, die über Mittel verfügten, selbstverständlich nicht die Unbemittelten. Auch das einst Schweizer Praxis. Lasst uns an solche Traditionen anknüpfen und dieses Ausländergesetz und dieses Asylgesetz verhindern.
Die, die die Fremden vor allem als Gefahr, als Belastung und als Problem darstellen und behandeln, die, die vom Kampf der Zivilisationen reden oder doch in der Praxis der Gesetze den Fremden das Leben hier schwer machen, für die gibt es in unserer hiesigen Tradition, in der Tradition des christlichen Abendlandes und seiner jüdischen Wurzeln einen Satz, mit dem ich abschliessen möchte: Verflucht sei, wer das Recht der Fremden beugt!