Tagung zum neuen Ausländergesetz Paulus-Akademie 31.5.-1.6.2002
Podiumsgespräch: Probleme, die wir in der Migrationspolitik lösen müssen
Peter Gessler (Basel) skizziert vier Problembereiche:
1. Die Diskriminierung der sog. Drittstaatsangehörigen
Der AuG-Entwurf ist ein Sondergesetz für Personen aus den sog. "Drittstaaten". Das AuG diskriminiert einen Teil der Wohnbevölkerung. Das bilaterale Abkommen mit der EU über Personenfreizügigkeit sollte eigentlich Anlass geben, Personen aus andern Staaten schrittweise den Personen aus EU-Staaten gleichzustellen. Der AuG-Entwurf tut das Gegenteil: er schreibt die Unterscheidung zwischen Personen aus EU-Ländern und andern auf Generationen fest. Das AuG ist ein Ausgrenzungsgesetz.
Wollen wir eine Apartheids-Gesellschaft werden? Oder nehmen wir zur Kenntnis, dass es in unserm Land viele Einwohner gibt, die in den letzten Jahrzehnten aus der Türkei, aus Ex-Jugoslawien und andern Ländern zugezogen sind und jetzt ihr Lebenszentrum hier haben?
2. Die Vernachlässigung demographischer Fakten
Die Schweiz ist seit langem ein Einwanderungsland.
Die "Szenarien" der demographischen Entwicklung, die das Bundesamt für Statistik in der AuG-Botschaft präsentiert, gehen aber (aufgrund der geltenden Nichteinbürgerungspraxis) davon aus, dass fast alle Nachkommen der heute in der Schweiz lebenden Ausländer im Jahr 2060 immer noch Ausländer sind, in 3. und 4. Generation. Das ist eine absurde Annahme. Die Nachkommen der Immigranten und der Eingeborenen werden sich vermischen; ein Drittel der Eheschliessungen sind gegenwärtig binational (und werden darum von der AuG-Botschaft ausführlich als "Scheinehen" verdächtigt - eine ebenso hässliche und ausgrenzende Wortschöpfung wie "Drittstaatsangehörige"). Auch das Wort "Ausländer" wird ausgrenzend verwendet. Dabei sind zwei Drittel dieser sog. "Ausländer" in der Schweiz geboren oder leben seit mehr als zehn Jahren hier. Sie sind nicht mehr echte Ausländer, sondern Inländer ohne Schweizer Pass.
Die Ausländer, die in den letzten zehn Jahren zugezogen sind, machen nur etwa 7 % der Wohnbevölkerung aus. Davon sind etwa die Hälfte Bürger von EU-Ländern und etwa die Hälfte Bürger von andern Ländern. Das AuG grenzt sowohl diese aus, wie auch die Inländer ohne Schweizer Pass, die nicht Bürger von EU-Ländern sind, zusammen rund 10 % der Wohnbevölkerung.
3. Rechtsstellung und Rechtsschutz von Personen ohne geregelten Aufenthalt
Migration ist ein Teil der Globalisierung.
Wenn Finanzströme und internationaler Handel mit Waren und Dienstleistungen liberalisiert und globalisiert werden, folgen die Menschen. Das kann auch das repressivste Gesetz nicht verhindern. Schon heute sind die Einwanderungs-hürden so hoch, dass viele Immigranten ohne geregelten Aufenthalt unter uns leben, weil unsere globalisierte und liberalisierte Wirtschaft sie als billige und flexible Arbeitskräfte braucht und nach Kräften ausbeutet. Mindestens zwei Prozent der Bevölkerung sind derzeit Immigrantinnen/Immigranten ohne geregelten Aufenthalt, also ohne Rechts-schutz, ohne Kranken- und Unfallversicherung.
Das duale Zulassungssystem, das im AuG-Entwurf festgeschrieben werden soll, ist ein Apartheidssystem. Es ist vorauszusehen, dass das AuG noch mehr rechtlosen Immigranten prodizieren wird - eine neue Form der Sklavenwirtschaft.
4. Förderung der Integration
Die AuG-Botschaft bezeichnet Integration richtigerweise als gegenseitigen Annäherungsprozess von Immigranten und Einheimischen. Im Gesetzesentwurf selbst ist aber nur von Integration der Ausländer die Rede. Die Verfasser übersehen zudem, dass die Bereitschaft von Immigranten zur Integration in erster Linie von der Sicherheit ihres Aufenthaltes abhängig ist. Integrationsförderung ist in einem Gesetz, das sich explizit auf Ausgrenzung und Repression ausrichtet, ein Fremdkörper.
Integration als einen gegenseitigen Prozess zu fördern, an dem Immigranten und Einheimische gemeinsam teilhaben, ist nicht die Aufgabe einer Ausländerbehörde. Integrationsförderung ist keine polizeiliche Aufgabe. Sie ist eine gemeinsame kulturelle Aufgabe, unabhängig vom AuG. Weil das duale Zulassungssystem des AuG repressiv und integrationsfeindlich ist, verdirbt es unsere politische und gesellschaftliche Kultur und gefährdet die Zukunft unserer Demokratie. Eine Gesellschaft, in der privilegierte Bürger, diskriminierte Hintersassen (aus Nicht-EU-Ländern) und rechtlose Sklaven (ohne geregelten Aufenthalt) neben einander leben, ist nicht demokratiefähig. Im AuG-Entwurf ist immer wieder von "allgemeinen Landesinteressen" die Rede. Es bleibt aber unklar, ob damit die Interessen der ganzen Wohnbevölkerung gemeint sind oder nur die Interessen der privilegierten Bürger.
Noch ein paar Bemerkungen zum Entwurf des AuG, und Kriterien für ein zeitgemässes Migrationsgesetz
- Der AuG-Entwurf spricht nicht von Einwanderung oder Zuzug, sondern von "Zulassung". Das Wort ist verräterisch: Immigranten sind für das Gesetz nicht Menschen, sondern Objekte, die zugelassen oder nicht zugelassen werden.
Das Unwort "Zulassung" wird in der AuG-Botschaft endlos erweitert: Zulassungs-system, Zulassungspolitik, Zulassungsvoraussetzungen, Zulassungsbegrenzung, Zulassungspraxis, Zulassungsentscheide, Zulassungsanspruch, Zulassungsvorschriften, Zulassungsbedingungen, Zulassungsbestimmungen. - Das wichtigste "Zulassungskriterium" ist im AuG-Entwurf die Regelung des Arbeitsmarktes, d.h. das Interesse der schweizerischen Wirtschaft. Die Grundrechte der Menschen sind daneben marginal, obwohl unsere neue BV festhält, dass sie nicht nur für Schweizer, sondern für alle Einwohner gelten.
Die Fixierung der Immigration auf den Arbeitsmarkt hat in der Schweiz eine lange Tradition, ist aber trotzdem falsch. Ein zeitgemässes Migrationsgesetz muss die Koppelung einer Aufenthaltsbewilligung an einen bestimmten Aufenthaltszweck abschaffen, sagte z.B Prof. Walter Kälin in seinen Thesen vom 3. April 2001, und erläuterte: "Dies setzt voraus, dass man anerkennt, dass die Schweiz ein Einwanderungsland ist und befristete Aufenthalte eher gesetzgeberische Fiktion als Realität sind." - In seiner enormen Regelungsdichte von 122 Artikeln auf 42 Seiten atmet der AuG-Entwurf dieselbe "Überfremdungsangst" wie das ANAG von 1931. In welcher Zeit und Umgebung leben wir eigentlich?
Das Integrationsleitbild des Kantons Basel-Stadt geht vom Potential der Immigranten aus. In zwei oder mehr Sprachen und Kulturen zu leben, ist nicht ein Mangel, sondern ein Vorteil. Das Leben in der Region Basel ist heute von der kulturellen Vielfalt ihrer Einwohner geprägt.
Ein zeitgemässes Migrationsgesetz kann Kriterien für die Zuwanderung umschreiben und die Zuständigkeit des Bundes und der Kantone abgrenzen. Es soll aber davon ausgehen,
- dass Immigranten/Immigrantinnen für unser Land eine wirtschaftliche und kulturelle Bereicherung sind
- dass eine Aufenthaltsbewilligung nicht an einen bestimmten Aufenthaltszweck gebunden sein muss
- dass die Grundrechte für alle Menschen gleich gelten, für Eingeborene und für Zugezogene
- dass alle Einwohner (und auch Personen ohne geregelten Aufenthalt) Anspruch auf rechtsgleiche Behandlung und auf den Schutz ihrer Rechte haben.
Nachbemerkung:
Die wirtschaftliche Bereicherung, welche die Schweiz durch Immigranten erfährt, ist so beträchtlich, dass auch die Frage von Kompensationszahlungen an die Herkunftsländer zu diskutieren ist, z.B. für Ausbildungsprogramme.