Bundesamt für Zuwanderung,
Integration und Auswanderung (IMES)
Sektion Recht und Datenschutz
Quellenweg 15
3003 Bern-Wabern
Bern, den X.X.2003
Stellungnahme von Solidarité sans frontières ENTWURF
Sehr geehrte Damen und Herren
Wir danken Ihnen für die Möglichkeit, Ihnen unsere Stellungnahme zu den Teilrevisionen der VIntA und der BVOzur Kenntnis zu bringen.
Allgemeine Bemerkungen
Die Teilrevision ist überhastet
Das schweizerische AusländerInnen- und Asylrecht ist überhasteten und unkoordinierten Änderungen ausgesetzt. Es ist aus demokratiepolitischen Gründen höchst bedenklich, vor der Diskussion über die Gesetzesrevision des ANAG (AuG) im Bundesparlament einzelne bundesrätliche Vorschläge der Botschaft bereits auf dem Verordnungsweg einzuführen und und damit neue Fakten zu schaffen. Wir kritisierten ebenso das vorschnelle Vorgehen mit den dringlichen Massnahmen im Asylbereich (siehe dazu die Stellungnahm von Solidarité sans frontières vom 20. Juni 2003 in der Vernehmlassung zum Entlastungsprogramm 2003).
Gegen das diskriminierende 2-Kreise Modell
Unsere Stellungnahme in der Vernehmlassung zur Teilrevision der BVO erfolgt unter dem Vorbehalt, dass wir grundsätzlich jegliche Diskriminierung von Personen aufgrund ihrer nationalen Herkunft ablehnen. Die Diskrepanz zwischen dem zu befürwortenden Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU und dem AusländerInnengesetz schafft markante Ungleichheiten zwischen EU-BürgerInnen und Drittstaatsangehörigen in der Schweiz, wie beim Familiennachzug, in der Rechtsstellung von KurzaufenthalterInnen, von ausländischen Ehegatten oder beim Datenschutz . Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus hat diese Diskriminierung ebenfalls kritisiert (Stellungnahme zum Dualen Zulassungsystem der Schweizer Ausländerpolitik, 2. Mai 2003). Die Schlechterstellung von Nicht-EU-Angehörigen muss beseitigt statt, wie mit der Teilrevision der BVO vorgeschlagen, verstärkt werden.
Wir lehnen deshalb die vorgeschlagene Teilrevision der BVO ab und fordern stattdessen eine Abschaffung aller Bestimmungen, welche das Menschenrecht auf Familienleben einschränken. Immerhin ist die Schweiz verschiedenen Abkommen beigetreten, die dieses Recht ausdrücklich schützen (z.B. EMRK in Art. 8, UNO-Sozialrechtspakt in Art. 10, UNO-Zivilrechtspakt in Art. 17, Kinderrechtskonvention in Art. 7 – 10 16).
Die Familie spielt in der Migration eine integrationsfördernde Rolle. (vgl. Studie "Familien und Migration" der Eidg. Koordinationskommission für Familienfragen EKFF, 2002). Familiennachzug und Integration hängen deshalb eng zusammen. Über den Familiennachzug gleicht sich zudem das Missverhältnis zwischen den Geschlechtern unter den Einwandernden aus – die bewilligte Arbeitsmigration aus Nicht-EU-Ländern ist vorwiegend männlich. Die Einschränkung des Familiennachzugs wäre also nicht nur diskriminierend, sondern hätte auch demographisch, sozial und "integrativ" nachteilige Konsequenzen.
Wären die in der Schweiz lebenden MigrantInnen aus Nicht-EU-Ländern in ihren Rechten den EU-Angehörigen gleichgestellt, hätten sie kaum Mühe, sich zu "integrieren". Um die Integration von Nicht-EU-Angehörigen zu fördern, müssen zuerst ihre rechtlichen Diskriminierungen beseitigt werden, wie sie sie beispielsweise durch den InländerInnenvorrang auf dem Arbeitsmarkt, durch die Nichtanerkennung ihrer Diplome oder durch die viel zu enge Zweckbindung ihres Aufenthaltes erfahren. Nicht-EU-Angehörige leiden zudem unter weiteren Benachteiligungen, wie Lohndiskriminierung, Schlechterstellung auf dem Wohnungsmarkt und herabmindernden Vorurteilen. Die Situation der Migrantinnen wird durch die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts auf doppelte Weise verschärft. Was den Erwerb der Landessprachen betrifft, so sind erst einmal ausreichend kostenlose oder -günstige Kurse einzurichten, auch solche für Personen mit geringer Schulbildung und grosser Lernhemmung.
Diverse wissenschaftliche Untersuchungen in der Schweiz sind zum Schluss gelangt, dass es nicht so sehr an der Integrationsbereitschaft von MigrantInnen mangelt, sondern dass vor allem rechtliche Einschränkungen eine Integration behindern.
Integration als gegenseitiger Prozess bedeutet politische Partizipation aller Der erläuternde Bericht zum Verordnungsentwurf bezeichnet Integration als einen "gegenseitigen Prozess" von SchweizerInnen und AusländerInnen (Absatz 2.1.2, erster Abschnitt). Diese auch von uns mitgetragene Haltung widerspiegelt sich allerdings nicht in den vorgeschlagenen Verordnungsartikeln. Im Gegenteil: Artikel 3a VIntA dehnt die einseitigen Verpflichtungen der AusländerInnen erheblich aus; es existiert kein entsprechender Artikel über Verpflichtungen der SchweizerInnen. Es ist rechtsstaatlich ausserordentlich bedenklich, wenn der Staat sich anschickt, den EinwohnerInnen über Gebühr Vorschriften über ihr Verhalten zu machen – umso mehr, wenn er dies für einzelne Bevölkerungsgruppen tut, die zudem noch über weniger Rechte verfügen. Es ist geradezu zynisch, von denjenigen Personen die Respektierung demokratischer Prinzipien zu fordern, die grundsätzlich von demokratischen Prinzipien ausgeschlossen sind (Art. 3a, Abs. 2). Die Integration beschränkt sich im Verordnungsentwurf auf das "gesellschaftliche Leben". Wir meinen, dass auch eine möglichst grosse politische Partizipation aller EinwohnerInnen anzustreben ist. Nur so kann die Mitverantwortung auch von MigrantInnen für die Gestaltung des Zusammenlebens zum Tragen kommen. Mitverantwortung heisst nach unserem demokratischen Verständnis auch Mitsprache und Mitentscheidung. Es sind deshalb günstige Bedingungen zu schaffen, damit alle EinwohnerInnen effektiv und damit auch politisch an der Entwicklung der Gesellschaft teilnehmen können.
Rechtssicherheit und einheitliche Politik fördern
Die VIntA-Teilrevision will die Kompetenz der kantonalen Behörden erweitern. Einerseits soll ein "beschränktes Anreiz- und Sanktionssystem" aufgebaut werden, in dessen Rahmen die kantonalen fremdenpolizeilichen Behörden nach eigenem Ermessen den "Grad der Integration" bei der Erteilung der Niederlassungsbewilligung und der Anordnung von Entfernungs- und Fernhaltemassnahmen gewichten (Art. 3a, Abs. 3). Andererseits sollen Prüfung und Empfehlungen bezüglich Projektbeiträgen für Integrationsprojekte nicht mehr zwingend Aufgabe der EKA sondern von kantonalen Integrationsdelegierten oder ähnlicher Institutionen sein. Beide Änderungen lehnen wir unter anderem auch deshalb ab, weil sie die kantonalen Unterschiede in der ausländerrechtlichen Auslegung und Praxis verstärken. Ziel der Integrationsverordnung muss eine einheitliche und klare Rechtsgrundlage sein, welche ein einvernehmliches Zusammenleben fördert.
Die Positionen von Solidarité sans frontières
Unsere konkreten Stellungnahmen mit Begründung sind in der folgenden Synopse dargestellt. Hier fassen wir unsere Position in einer kurzen Übersicht zusammen.
- Solidarité sans frontières (Sosf) begrüsst eine Ausweitung von Integrationsangeboten auf vorläufig aufgenommene Personen und schlägt vor, diese auch für vorläufig Aufgenommene zu öffnen, deren Wegweisung längerfristig unmöglich ist.
- Sosf will das Ziel, günstige Rahmenbedingungen nicht nur für die gesellschaftliche sondern auch für die politische Partizipation zu schaffen, in die Verordnung aufnehmen.
- Sosf stellt die in Artikels 3a festgehaltenen einseitigen und fragwürdigen Verpflichtungen von MigrantInnen in Frage und fordert gleichzeitig verstärkte Anstrengungen, um Vorurteile und Rassismus in der Bevölkerung abzubauen.
- Sosf bekämpft ein Obligatorium für den Erwerb einer Schweizer Landessprache und lehnt deshalb auch den vorausgesetzten Spracherwerb für die Erteilung einer Aufenthalts- und Kurzaufenthaltsbewilligung ab (Art. 3a, Abs. 4). Sosf befürwortet ein erweitertes und kostengünstiges Bildungsangebot für neu eingewanderte Personen sowie die vom Bund zu unterstützenden heimatsprachliche Kurse für Kinder und Jugendliche ausländischer Herkunft. Sosf lehnt die Schaffung eines "Anreiz- und Sanktionssystems" für die Integrationsbemühungen ab und regt an, die Migrationsbevölkerung paritätisch auf allen allen Ebenen an der politischen Planung und Entscheidung teilnehmen zu lassen.
- Sosf befürwortet eine gesamtschweizerische Koordination der Integrationspolitik, fordert dabei aber einen stärkeren Einbezug von VertreterInnen der Migrationsbevölkerung und und von gesellschaftlichen Randgruppen.
- Sosf lehnt eine Übertragung der Gesuchsbehandlung an kantonale Ansprechstellen ab, solange auf dieser Ebene die paritätischen Mitentscheidungsrechte der Migrationsbevölkerung nicht gewährleistet sind. In der EKA, der heutigen nationalen Projektbeurteilungsstelle, ist die Migrationsbevölkerung immerhin teilweise vertreten, allerdings nicht auf oberster Entscheidungsstufe.
- Sosf befürwortet, bei der Projektbeurteilung abgewiesene GesuchsstellerInnen weiterhin explizit auf die Möglichkeit einer Ergänzung hinzuweisen.
- Sosf sieht ebenfalls Vorteile im raschen Nachzug von im Ausland weilenden Kindern. Diese Beschleunigung lässt sich jedoch am besten durch die Beseitigung von ausländerrechtlichen und wirtschaftlichen Hürden erwirken. So soll der Familiennachzug nicht mehr an einkommensmässige Voraussetzungen gebunden sein. Die Löhne müssen zudem den Lebensbedarf auch einer Familie decken können. Sosf stellt sich entschieden gegen die neue Fünfjahresfrist für Familiennachzug, möchte hingegen den raschen Familiennachzug durch Abbau von Benachteiligungen fördern.
Weitere Informationen finden Sie hier (pdf, 12 S., 286 KB)
Mit freundlichen Grüssen
Balthasar Glättli
Politischer Sekretär
Anni Lanz
Politische Sekretärin