2-Klassen-Migration
Im Juli 2000 wurde ein Entwurf zu einem neuen AusländerInnengesetz (AuG), welches das Gesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG) ablösen soll, in die Vernehmlassung geschickt. Zahlreiche Nichtregierungs-Organisationen (NGOs) haben Stellung bezogen und den Entwurf zurückgewiesen. Er steht in der Tradition der "Überfremdungs"-Ideologie und spaltet MigrantInnen in zwei Klassen: Der Migrationselite soll eine verbesserte Rechtsstellung eröffnet werden. Die Unterklassen-Migration jedoch fällt der "Missbrauchsbekämpfung anheim. Der überarbeitete AuG-Entwurf ist nun im Frühjahr 2002 in der bundesrätlichen Botschaft veröffentlicht worden. Schon bald wird er im Parlament debattiert, weshalb die öffentliche Auseinandersetzung mit dem-AuG-Entwurf erneut geführt werden muss.
Zweierlei Recht
Der AuG-Entwurf tischt die verworfene 18%-Initiative mit anderen Zutaten wieder auf. Das AuG soll ein Gesetz für Nicht-EU-Angehörige werden, und von diesen sind nur die "Hochqualifizierten" erwünscht: Investoren, Unternehmer, anerkannte Personen aus Wissenschaft, Kultur und Sport, Firmenkader und Angestellte von international tätigen Unternehmen. Für die wenig begüterten MigrantInnen, die existentiell auf ein Arbeitseinkommen angewiesen sind, werden die Einreisehürden noch erhöht. Wird ihre Arbeitskraft dennoch gebraucht, dann können sie nur mit Kurz- und Kürzest-Aufenthalten in der Schweiz bleiben und müssen das Land nach getaner Arbeit sofort wieder verlassen.
Zitat: "Der Initiativtext (der 18%-Initiative) lässt mehr als genügend Spielraum, um den legitimen Bedürfnissen der Wirtschaft Rechnung zu tragen. Er erleichtert den Zugang im hochqualifizierten Bereich und ist restriktiver als die heutige Regelung bei der reinen Mengenzuwanderung." (Philipp Müller, Vater der 18%-Initiative, Fdp-Pressedienst, 8.4.99) Und wer macht die mühsame Arbeit?
Die "AusländerInnen" sind überdurchschnittlich in Tieflohn-Branchen vertreten: im Gastgewerbe, im Verkauf, im Gesundheitswesen, im Reinigungsgewerbe, auf dem Bau, im Sexgewerbe und in privaten Haushalten. Bürgerliche Parteien verlangen, um über billige und willige Arbeitskräfte auch weiterhin zu verfügen, eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung von wenigen Monaten ohne Recht auf Familiennachzug und ohne Recht auf einen weiterführenden Aufenthalt. Auch der Bauern- und der Gewerbeverband fordern solche rechtlose Aufenthalte, die weit schlechter sind als die bisherigen Saisonnierbewilligungen. Die ins Auge gefassten Kurzaufenthaltsbewilligungen öffnen der sklavenmässigen Ausbeutung Tür und Tor, gegen die sich die Betroffenen nicht zur Wehr setzen können.
Zitat: "Die Intention des AuG, dass hauptsächlich für Personen aus Staaten ausserhalb Westeuropas ... eine restriktive Zulassungspolitik gelten soll, wird von der FdP grundsätzlich unterstützt. ... Es ist kein Geheimnis, dass insbesondere die landwirtschaftlichen Betriebe sowie das Gast- und Baugewerbe mit ihren saisonnalen Bedürnissen auch auf aussereuropäische Arbeitskräfte angewiesen sind." (Stellungnahme der FdP zum AuG-Entwurf, S.1.)
Frauenhandel
Der Bundesrat erachtet die Einführung eines ausdrücklichen Aufenthaltsrechtes für Opfer von Menschenhandel nicht als notwendig. Für sie gilt, wie für die Sans-papiers die die polizeiliche Einzelfallprüfung ("Härtefall"klausel). An der bisherige Regelung für Cabaret-Tänzerinnen, welche die Frauen auf Sexarbeit festnagelt, soll festgehalten werden. Nur wenn sie nachweisen können, dass sie gegen ihren Willen zur Prostitution gezwungen worden sind, sollen erleichternde Bestimmungen zum Tragen kommen.
Recht auf Familie nur für Gutverdienende
Migration darf nicht mit der Zirkulation von Waren und Kapital verglichen werden. Menschen sind - bei aller Individualität - soziale Wesen, brauchen den Rückhalt von sozialen Netzen, leben mit ihren Angehörigen zusammen und tragen diesen gegenüber soziale Verantwortung. Der AuG-Entwurf bindet das Recht auf "Familienleben" an materielle Voraussetzungen, welche die schlechter Verdienenden nicht erfüllen können. MigrantInnen, die Sozialhilfe beziehen und nicht über eine "angemessene" Wohnung verfügen, dürfen ihre Kinder und Ehegatten nicht zu sich holen. Der Familiennachzug wird MigrantInnen nur während der ersten fünf Jahre nach ihrer Einreise gestattet, in einer Zeit, in welcher das Einkommen für den Familiennachzug oft nicht ausreicht. Das Aufenthaltsrecht von ausländischen Ehegatten (die mit einer schweizerischen oder niedergelassenen Person verheiratet sind) ist nur gewährleistet, wenn das Ehepaar in einer gemeinsamen Wohnung lebt. Allein schon eine Trennung oder das getrennte Wohnen kann das Bleiberecht des ausländischen Ehegatten gefährden. Denn hinter jeder binationalen Ehe wittert die Behörde eine "Scheinehe".
Zitat: "Wiederholt wurde gefordert, den Missbrauch der Eheschliessungen zur Sicherung der Anwesenheit in der Schweiz sowohl durch Mittel des Ausländerrechts als auch des Zivilrechts zu bekämpfen." (Begleitbericht zum AuG-Entwurf, Abs. 262.10)
Kein Mensch ist illegal!
Dass immer mehr Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung leben müssen (als Sans-papiers), ist auf die zunehmende Schaffung neuer Einwanderungs- und Aufenthaltsbeschränkungen zurückzuführen. Die Restriktionen, wie sie der AuG-Entwurf vorschlägt, bewirken mehr Sans-papiers. Sie bilden die unterste Schicht in der Migrationsgesellschaft; sie leben und arbeiten ohne jeglichen Rechte und Perspektiven. Daran vermochten sie mit ihrer mutigen Kampagne bis heute nichts zu verändern. Sans-papiers sind u.a. ehemalige Saisonniers, Botschaftsangestellte und JahresaufenthalterInnen, deren Aufenthalt abgelaufen ist, ehemalige Asylsuchende, Frauen, die im Haushalt oder im Sexgewerbe arbeiten, Ehefrauen, die wegen einer Scheidung ihr Aufenthaltsrecht eingebüsst haben, Frauen, die mit einem Heiratsversprechen in unser Land geholt und ausgenützt wurden, sowie Kinder des verbotenen Familiennachzugs. Ohne Kranken-, Unfall- und Altersversicherung sind Sans-papiers gesundheitlichen Risiken und Schwangerschaften schutzlos ausgeliefert. Sie können sich rechtlich gegen Ausbeutung und Missbrauch nicht wehren.
Zitat: "Konsequent bekämpft werden muss namentlich die illegalen Ein- und Ausreise und die Schlepperkriminalität ..." (Begleitbericht zum AuG-Entwurf, Abs. 274).
Immigration wird als Gefahr wahrgenommen
Immigration wird im AuG-Entwurf mit "Missbrauch" und "Kriminalität" assoziiert. Die Artikel zum Datenschutz schreiben nur die Vollmachten der Behörden auf den Betrieb von Datensammlungen fest, nicht aber die Rechte der Betroffenen auf Auskunft, Berichtigung und Löschung. Damit werden MigrantInnen zu Objekten behördlicher und polizeilicher Überwachung gemacht. Europa profitiert seit 500 Jahren von der Arbeitskraft der anderen Kontinente Migration findet statt und hat immer stattgefunden. Seit 500 Jahren hat sich Europa, meist unter Zwang, billiger oder fast kostenloser Arbeitskraft aus Lateinamerika, Afrika und Asien bedient. Der globale Arbeitsmarkt hat eine Geschichte von mehreren Jahrhunderten - Rassismus und Sexismus sind die strukturierenden Merkmale. Die heutigen "WanderarbeiterInnen"-Modelle mit der ausgeprägten staatlichen Kontrolle sind neueren Datums. In der Schweiz wurde seit dem ersten Weltkrieg die Migrationsfreiheit Schritt für Schritt aufgehoben. Der Bund zentralisierte im ersten Weltkrieg die vorher kantonalen einwanderungspolitischen Befugnisse und führte die Visums- und Passpflicht ein. Der Kampf gegen "Überfremdung" begann, politische Maxime zu werden, die im zweiten Weltkrieg die Abschottung gegen Flüchtlinge begründete. In diesem Geist entstand das ANAG (Gesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer), das seit 1931 bis heute in Kraft ist.
Solidarité sans frontières (Sosf) und
Frauenrat für Aussenpolitik (FrAu)
Neuengasse 8
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1.3.01