Paradox erscheint der Blocher-Bericht im Zusammenhang mit der Integration der Schweiz in das Schengen-System. Es ist bekannt, dass Blocher und die SVP aus rein ideologischen Erwägungen Schengen ablehnen. Sie befürchten insbesondere die Aufhebung der Identitätskontrollen an den Grenzen. Liest man nun den «Bericht über die illegale Migration», erkennt man, dass Blocher Schengen sehr wohl schätzt.
Zunächst jammern die AutorInnen des Berichts – die Bundesämter des EJPD – im Chor, dass die Schweiz nicht an das Schengener Informationssystem (SIS) angeschlossen sei. Woher dieses Gejammer kommt, erfährt man auf Seite 42: Das SIS ist für die Schweiz interessant, weil hier Personen erfasst sind, denen die Behörden der EU-Staaten die Einreise oder den Aufenthalt verweigern. Bei einer Teilnahme der Schweiz am SIS wäre jegliche in einem EU-Land unerwünschte Person fortan auch in der Schweiz unerwünscht. Wohlverstanden: Als «unerwünscht» gelten in diesem Zusammenhang längst nicht nur jene Personen, die Gesetze übertreten haben.
Weiter erklärt der Bericht, dass bereits heute die Identitätskontrollen an den Grenzen selbst möglichst gering gehalten werden sollen, um nicht den Verkehr zu behindern. Schon jetzt kontrollieren die Grenzwächter daher hinter den Grenzen im Landesinneren und der Bericht schätzt, dass die «befriedigenden Ergebnisse» zu einem Ausbau dieser Kontrollmethode führen werden. Die starke Zunahme von Identitätskontrollen im Landesinnern ist eine direkte Konsequenz des Schengen-Systems. Sie stellt eine Verletzung des demokratischen Prinzips dar, wonach eine polizeiliche Identitätsabklärung nur dann stattfinden darf, wenn ein konkreter Verdacht auf eine strafbare Handlung vorliegt.
Der Blocher-Bericht greift ausserdem die Idee wieder auf, die der EJPD-Chef bereits im Juni zum Besten gegeben hatte: die Inhaftierung von Ausländern wegen Renitenz im Fall eines Wegweisungsentscheids. 1994 hatte das Parlament den damals eingeführten Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht einige Grenzen gesetzt – in der Sorge sonst die europäische Menschenrechtskonvention zu verletzen. Konkret: Die Ausschaffungshaft muss beendet werden, wenn die Ausschaffung – aus welchem Grund auch immer – nicht vollzogen werden kann.
Die «neue» Idee Blochers und seiner zu Gefängniswärtern heruntergekommenen Bundesämter besteht darin, Leute, die ausgeschafft werden sollen, generell in Haft zu nehmen, weil sie sich dem Ausschaffungsentscheid widersetzen oder verschwinden könnten. Allerdings: Eine solche Gesetzesänderung wäre allerdings eine krasse Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Dieser Abbau von Grundrechten ist Ausdruck einer perversen Logik der Schweizer Politik: Die Bundesbehörden betrachten Europa und das europäische Recht als Selbstbedienungsladen; sie nehmen, was ihnen gerade passt und weisen zurück, was ihnen nicht gefällt. Genauso dies ist die Praxis von Christoph Blocher: Eigentlich mag er Schengen sehr gerne, insbesondere das Informationssystem und die Identitätskontrollen. Aber er verachtet Strassburg und sein Regelwerk zum Schutz der Menschenrechte.
Nils de Dardel
alt-Nationalrat SP Genf