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1. Weil heute in der Schweiz Männer, Frauen und sogar Kinder ohne Schuld oder Verdacht auf irgendein Delikt ins Gefängnis geworfen werden.
Die Ausschaffungshaft bestraft nie ein Delikt. Sie beraubt einen Ausländer ohne Aufenthaltsbewilligung seiner Freiheit, einzig und alleine aufgrund seiner Anwesenheit auf Schweizer Boden und bestraft ihn mit bis zu 18 Monaten Gefängnis. Im Zeitraum von Januar 2008 bis Februar 2011 wurde schweizweit in 8516 Fällen eine Ausschaffungshaft verfügt. Die Bundesbehörden behaupten, die Anzahl dieser Gefängnisse nicht zu kennen, da es sich um eine Angelegenheit der Kantone handle…
1988 durfte eine Ausschaffungshaft höchstens 30 Tage dauern. 1995 wurde die Höchstdauer auf 12 Monate und 2008 auf 24 Monate erhöht! Dass die Schweiz 2010 die Dauer wieder auf 18 Monate herabsetzte, geschah nicht etwa unter Berücksichtigung ihrer «humanitären Tradition», sondern auf Druck der Europäischen Union. In Frankreich zum Beispiel ist die Ausschaffungshaft auf höchstens 45 Tage beschränkt.
2. Weil dieser Tatbestand beweist, dass die Schweizer Behörden in hohem Ausmass die fundamentalen Rechte eines Teils der Bevölkerung verletzen, indem sie Menschen ohne fairen Prozess ihrer Freiheit berauben.
«Es handelt sich um einen administrativen Vollzug und nicht um einen Strafvollzug», bestätigt das Bundesamt für Migration. Gemäss Bundesgericht muss dieser andernorts als in einem Gefängnis durchgeführt werden. Diese kafkaeske Schlussfolgerung dient dazu, das nicht Rechtfertigbare zu rechtfertigen. Denn die sogenannte Administrativhaft ist im Grunde eine politische: Sie zielt darauf ab, das Leben der Betroffenen zu sistieren, ihre Rechte einzufrieren und sie wie Waren bis zur Auslieferung zwischenzulagern. Die juristische Tarnung kann uns nichts vorgaukeln: diese Praxis gehört in einen Unrechtsstaat. Frambois ist nicht Guantanamo, aber mit Frambois wird, genau wie mit Guatanamo, ein Teil der Bevölkerung als Untermenschen behandelt und eine Form von Apartheid institutionalisiert.
Die Inhaftierten können sich nicht verteidigen, da sie für nichts verurteilt werden. Und jene, die über sie richten, kontrollieren nur die formelle Korrektheit des Verfahrens und kümmern sich nicht um die Gründe: Welche Bedrohung stellt die Person für die Gesellschaft dar, um sie derart einzusperren? Ist ihre Inhaftierung verhältnismässig?
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte die Schweiz 2010 für die Verletzung der Freiheitsrechte eines Migranten aus Bosnien durch die Ausschaffungshaft. Das Gericht hat daran erinnert, dass «der Freiheitsentzug eine derart gravierende Massnahme ist, dass er nur als letzter Ausweg gerechtfertigt ist, sofern andere, weniger harte Massnahmen abgeklärt und für ungenügend befunden wurden, um das persönliche oder öffentliche Interesse zu wahren, welches eine Inhaftierung verlangt.»
3. Weil die blinde Gewalt des Staates Familien auseinander reisst und unentschuldbares Leid verursacht.
Familien werden getrennt, Väter ihren Kindern beraubt, Paare zerrissen und junge Erwachsene in Länder abgeschoben, in denen sie keine Angehörigen mehr haben. Der Staat macht sich der Willkür schuldig und verletzt das Recht auf Privat- und Familienleben, welches durch die Europäische Menschenrechtskonvention garantiert wird. Der Besucherraum von Frambois ist das Vorzimmer dieser menschlichen und sozialen Tragödien.
Im Jahr 2010 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Schweiz, ein äthiopisches Ehepaar am Zusammenleben gehindert zu haben, indem sie zwei verschiedenen Kantonen zugewiesen wurden. Dadurch verletzten die Behörden das Recht auf Privat- und Familienleben.
4. Weil eine solche Haftpraxis psychologische Folter darstellt, da den Inhaftierten jegliche Zukunftsperspektive und somit jede Hoffnung verwehrt wird.
Bei seiner Ankunft im Gefängnis weiss ein Inhaftierter nie, wie lange er bleiben wird. Er kann auch nicht darauf hoffen, je wieder raus zu kommen, da die Haft in den meisten Fällen nicht mit einer Entlassung sondern mit einer Ausschaffung endet. Die Ausschaffungshaft ist die Verurteilung zur Angst. Welche Anpassungen auch immer gewährt werden, um sie zu mildern, sie bleibt definitionsgemäss eine inhumane Praxis. Selbst das Ausschaffungsgefängnis von Frambois, welches sich gerne als gutes Beispiel präsentiert, zählt regelmässig Selbstmordversuche, Hungerstreiks, Verstümmelungen, psychische Zusammenbrüche, Sabotageakte und Fluchten. Frambois ist einer der Namen der modernen Barbarei, der bloss ein bisschen zivilisierter daherkommt.
In anderen Zentren haben mehrere Gutachten gezeigt, dass die Haftbedingungen sogar schlechter sind als bei Strafgefangenen: Die Insassen sind 20 Stunden pro Tag in ihrer Zelle eingeschlossen (Wallis), sie haben keinen Zutritt zu Aussenräumen und keine Arbeitsmöglichkeiten (Bern, Luzern, Wallis), den Kindern der Insassen werden Besuche prinzipiell verweigert (Wallis) und die Sicherheitsmassnahmen sind unangemessen (Zürich).
5. Weil die Schweiz hinter ihrer humanitären Fassade massenhaft Menschen zu Sans-Papiers macht, ausschafft und sie politisch, sozial und wirtschaftlich äusserst gefährlichen Situationen aussetzt.
Unter Missachtung des Non-Refoulement-Prinzips, welches in der Genfer Flüchtlingskonvention verankert ist, schafft die Schweiz Migranten in Länder zurück, in denen ihr Leben aufgrund von Krieg oder politischer Verfolgung ernsthaft bedroht ist. Geordry, ein im März 2010 ausgeschaffter Asylsuchender, wurde nach seiner Ankunft in Kamerun inhaftiert und gefoltert. Es stellte sich heraus, dass die Kamerunischen Behörden Teile seines Schweizer Asyldossiers erhalten hatten. Bis heute haben sich die hiesigen Behörden zu dieser Tragödie nicht geäussert und nicht auf Geordrys zweites Asylgesuch geantwortet, welches er aus Kamerun eingereicht hat. Ebenso sei an den Leidensweg von Stanley Van Tha aus Burma erinnert, dessen Asylgesuch von Bern als «nicht glaubwürdig» abgelehnt wurde. Ausgeschafft im 2004 wurde er bei seiner Ankunft zu 19 Jahren Gefängnis verurteilt. Erst 2008 konnte er schliesslich wieder in die Schweiz zurückkehren.
Tausende von Migranten werden jedes Jahr in ihre Herkunftsländer ausgeschafft, obwohl sie dort keine Familie, kein soziales Umfeld und keine Arbeit haben. Serge wurde 2009 in die Demokratische Republik Kongo abgeschoben, obwohl seine beiden Eltern einen C-Ausweis haben und seine Schwester den Schweizer Pass. Er wurde schliesslich umherirrend in den Strassen von Kinshasa aufgefunden.
6. Weil diese Ausschaffungspolitik überdies bereits Menschen getötet hat. Im Jahr 2010 stirbt ein Nigerianer während seiner Ausschaffung am Flughafen Zürich-Kloten. Der Autopsiebericht schliesst auf einen «natürlichen Tod»! 2001 stirbt ein Nigerianer im Wallis nach einer Zwangsmassnahme in seiner Zelle. 1999 erstickt ein 27-jähriger Palästinenser in einem Aufzug im Flughafen Zürich-Kloten auf dem Weg zum Flugzeug. Bei Ausschaffungsflügen werden die Betroffenen derart schwer gefesselt, dass zahlreiche Ärzte bereits die Anwesenheit an Bord verweigerten, da sie im Falle eines Herzinfarkts die Bedingungen für eine rechtzeitige Hilfe als nicht gegeben erachteten.
7. Weil die Schweiz, welche sich gerne als Modell für den Rechtsstaat und den Respekt von Minderheiten preist, sich genau so verhält wie die diktatorischen Regime, die sie anprangert.
Im Jahr 2009 löste die Verurteilung von zwei Schweizern in Libyen zu 16 Monaten Administrativhaft hierzulande eine Welle der Empörung aus. Ganz zu recht. Nur wurde es merkwürdigerweise unterlassen, daran zu erinnern, dass das Schweizer Recht eine noch längere administrative Inhaftierung zulässt. 2010 verlangte die Schweiz von Libyen, die Administrativhaft abzuschaffen. Wer wird hier zum Narren gehalten? Die Schweiz ist ausserdem eines der wenigen europäischen Ländern, in denen der «illegale» Aufenthalt strafbar ist. Einzig und alleine weil sie keine Papiere haben, können Migranten so zu Gefängnisstrafen verurteilt werden. Die Schweiz spielte eine Vorreiterrolle in dieser Repressionspraxis, welche seither von anderen Staaten übernommen wurde, unter anderem auch von Italien.
8. Weil die Ausschaffungshaft die Errichtung einer juristischen Kategorie von Menschen impliziert, denen jederzeit sämtliche Rechte entzogen werden können, wodurch sie zu absoluter Fügsamkeit genötigt werden.
Zu den Ausländern könnten die Eingebürgerten hinzukommen, die Arbeitslosen, Invaliden, Unangepassten, Veränderungsscheuen und alle anderen Kategorisierungen, welche die immerwährende Mobilisierung jener garantieren, die – noch – auf der richtigen Seite stehen. Schon der Bezug von Sozialleistungen wird heute als ein hinreichendes Delikt für eine Abschiebung betrachtet.
9. Weil sich andererseits Frauen und Männer dieses Landes, Vereine, Religionsgemeinschaften, Künstler und Politikerinnen für ihre Kollegen, Nachbarinnen, Nächsten und Mitmenschen einsetzen.
Im Kanton Waadt hat der Vorfall der «523» abgewiesenen Asylbewerber eine Welle der Solidarität ausgelöst, welche es den meisten von Ihnen ermöglicht hat, ihr Leben hier weiter aufzubauen. Unter dem Druck der Demonstrationen, des Parlaments, der NGO und religiöser Gemeinschaften musste die Regierung von einer Ausschaffung absehen. Nach dem Tod eines Nigerianers in Kloten 2010 traten auch Waadtländer Richter in die Öffentlichkeit und forderten die Freilassung von Ausschaffungshäftlingen.
Wir fordern
- von den Waadtländer, Genfer und Neuenburger Behörden, ab sofort keine Ausschaffungshaft mehr anzuordnen und das Gefängnis von Frambois zu schliessen. Das Bundesgesetz lässt den Kantonen einen grossen Ermessensspielraum. Es ist daher durchaus möglich, sowohl die Menschenrechte wie auch den Willen des Volkes zu respektieren.
Die Genfer Behörden wollten das Gefängnis von Frambois massiv ausbauen. Aus welchem Grund? Es kann hier nicht von einer Überlastung des Strafvollzugssystems die Rede sein, denn die Grundlage der Ausschaffungshaft ist keine juristische. Der Ausbau von Frambois zeugt von einem politischen Vorhaben, welches darin besteht, papierlose Ausländer erhöhter Gewalt auszusetzen. - von den Bundesbehörden, den Menschenrechtsverletzungen in den Ausschaffungsgefängnissen so rasch wie möglich ein Ende zu setzen.
Bern kann sich nicht länger hinter dem Vorwand der Kantone verstecken. Es sind die Bundesbehörden, welche auf internationaler Ebene die Verantwortung für das übernehmen müssen, was in der Schweiz geschieht. Da die Schweiz die UN-Antifolterkonvention unterzeichnet hat, müssen sie sicherstellen, dass die Empfehlungen der nationalen Kommission zur Verhütung von Folter umgesetzt werden – oder andernfalls einräumen, dass diese Kommission eine Farce ist. - von Bundesrätin Simonetta Sommaruga, zur Ausschaffung und anschliessenden Folterung eines Kameruners Stellung zu beziehen, ihm umgehend Asyl zu gewähren und sämtliche Rückschaffungen nach Kamerun zu stoppen ebenso wie in Gebiete, die von Kriegen, gewaltsamen Unruhen oder Menschenrechtsverstössen betroffen sind (Afghanistan, Irak, Demokratische Republik Kongo, Nigeria, Eritrea, Gambia, Sri Lanka etc.).
- vom Parlament, die Ausschaffungshaft abzuschaffen und das Asylgesetz nicht noch weiter zu verschärfen.
Das neue Gesetz gegen die Flüchtlinge, welches gegenwärtig in den eidgenössischen Räten diskutiert wird, verbannt Asylsuchende in Ghettos und bringt sie in die Lage von Parias. Durch die Aberkennung des Flüchtlingsstatus von Deserteuren blasen die Behörden zu einem beispiellosen Angriff auf den Kern des Asylrechts. Der Wille des Nationalrats, alle Asylsuchenden auf Brot und Wasser zu stellen (was die «Nothilfe» faktisch bedeutet), zeigt deutlich den Geist, der in Bern regiert: Politische Flüchtlinge sollen in ihr Elend zurückgeschickt werden! - von den Frauen und Männern, welche mit Ausschaffungshäftlingen in Kontakt kommen (Sozialarbeiter, Wärterinnen, Friedensrichter, Ärztinnen, Psychiater, Psychologinnen, Gefängnispfarrer, Anwältinnen etc.), die Haft- und Ausschaffungsbedingungen, die Verzweiflung der Gefangenen und ihrer Angehörigen sowie die Gefahren, denen sie im Gefängnis und bei einer Rückführung ausgesetzt sind, zu bezeugen und bei den Behörden anzuprangern. Eine Webseite (www.stop-dead.ch) soll dazu dienen, die Auswirkungen der alltäglichen Gewalt dieses Systems auf die Betroffenen, ihr Umfeld und die Gesellschaft zu erfassen.
- von den Religionsgemeinschaften, klar gegen die Ausschaffungshaft Stellung zu beziehen und Ausländer zu beherbergen, welche von Zwangsmassnahmen bedroht sind.