Braucht die Schweiz eine "integrierte Migrationspolitik", welche die Trennung von Asyl- und klassischer Ausländerpolitik aufhebt? Vorab leuchtet die Begründung ein: Restriktive Zulassungsbestimmungen zum Arbeitsmarkt würden viele Menschen dazu drängen, als Asylsuchende oder illegal in die Schweiz einzuwandern. Ich zögere: Die Fehler einer diskriminierenden Migrationspolitik können nicht korrigiert werden, indem man auch die Flüchtlingspolitik in den Bereich der Nutzenabwägungen der Schweiz verschiebt. Drum plädiere ich stattdessen erstens für eine menschenrechtskonforme Asylpolitik, zweitens für eine pragmatische Migrationspolitik und drittens für garantierte Grundrechte für alle Menschen in der Schweiz.
Asylpolitik: Verfolgte schützen!
Statt die teure Bürokratie der Einzelfallprüfung zu perfektionieren, sollen Verfolgte in der Schweiz Schutz geniessen, einfach und unkompliziert. Nichtstaatliche und frauenspezifische Fluchtgründe sind endlich als asylrelevant anzuerkennen. Der volle Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren mit kostenlosem Rechtsschutz macht das Verfahren schneller, billiger und fairer. Summarische Nichteintretens-Entscheide dagegen sind der Abschied vom Rechtsstaat, provozieren teure Rekurse und benachteiligen vorab besonders gefährdete Personen. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht Asylsuchenden, für ihr eigenes Auskommen zu sorgen. Migration: Kein Zweikreismodell!
Mit den "bilateralen Abkommen" werden Personen aus EU und EFTA auf dem Arbeitsmarkt den SchweizerInnen gleichgestellt. Aus dem Rest der Welt sind nur "Hochqualifizierte" willkommen. Abschaffung des diskriminierenden Zweikreismodells und Freizügigkeit für alle heisst unsere Antwort: Wer in der Schweiz einen Arbeitsplatz findet, soll auch hier leben und mit der Familie bleiben dürfen. Gegen Sozialdumping helfen nicht restriktive Ausländergesetze, sondern staatliche festgelegte Mindestlöhne und Gesamtarbeitsverträge.
Die Legalisierung von Sans-Papiers muss auf klaren Kriterien beruhen. Wer eine Aufenthaltsdauer von 4 Jahren in der Schweiz vorweisen kann, soll legalisiert werden. Wer sich so lange durchschlagen kann, hat viel reale Integrationskompetenz bewiesen.
"No taxation without representation", die Forderung am Ausgangspunkt der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung ist noch immer aktuell. Stimmrechte für AusländerInnen bieten politische Teilhabe an: ein wichtiger Bestandteil der Integration.
Grundrechte durchsetzen!
In der realpolitischen Auseinandersetzung stellen sich schwierige Fragen: Sind Kompromisse vertretbar? Oft hilft nur der klare und unverhandelbare Bezug auf Grund- und Menschenrechte. Das Recht auf Schule und Ausbildung, auf Gesundheitsversorgung, auf eine menschenwürdige Unterkunft. Das Recht auf Lohn resp. das Verbot von Zwangsarbeit. Jeder Schritt, der die Grundrechte aller positiv sichert (und nicht nur auf dem Papier festschreibt), erweitert gleichzeitig den persönlichen und den politischen Handlungsspielraum der Rechtlosen.
Die Strategie: Solidarisch agieren
Eine zukunftsgerichtete Migrationspolitik soll nicht die Kategorien des schweizerischen Ausländerrechts reproduzieren, sondern die Solidarität aller MigrantInnen in den Vordergrund stellen. Statt erreichte Privilegien abzusichern, muss von unten der Zugang zu den Grundrechten aller MigrantInnen eingefordert werden.
Die Kampagne "Ohne uns geht nichts" versucht, genau diese Solidarisierung in praktisches politisches Handeln umzusetzen. Damit sie weiter an Breite und Überzeugungskraft gewinnt, ist es wichtig, dass viele emanzipatorische Projekte das gemeinsame Label "Ohne uns geht nichts" nutzen.
Balthasar Glättli