Die neuen Gesetzesvorschläge im dringlichen Verfahren bezwecken, die Asylsuchenden mit Nicht-Eintretensentscheid aus dem Asylbereich auszugliedern und sie als statuslose Personen dem AusländerInnengesetz zu unterstellen. Damit erhoffen sich die Behörden eine Senkung nicht bloss der Sozialausgaben, sondern auch der Zahl von in der Asylstatistik erfassten Personen. Diese Personen (rund ein Viertel bis ein Drittel der GesuchstellerInnen) werden sich jedoch real zu einem grossen Teil über kürzere oder längere Zeit in der Schweiz aufhalten. Die dringlichen Massnahmen sollen vor Abschluss der laufenden Asylgesetzrevision in Kraft treten, allenfalls bereits im Jahr 2003.
Noch bilden die ehemaligen Asylsuchenden eine Minderheit unter den in der Schweiz lebenden und arbeitenden Sans-papiers. Seit sechs Jahren arbeitet Solidarité sans frontières (Sosf) zusammen mit Sans-papiers. In der Regel wenden sie sich ans Sosf, wenn sie sich in einer Notsituation befinden, bei Schwangerschaft, Wohnungs- und Arbeitsstellenverlust, Lohnverweigerung oder Krankheit. Die bestehenden Solidaritäts-Netze aus ehrenamtlich engagierten Privatpersonen sind mit den zunehmenden Hilfsgesuchen überfordert. Zudem machen sie sich unter Umständen mit der aus ethischen Motiven geleisteten Hilfe strafbar. Nicht selten verweisen MitarbeiterInnen öffentlicher Institutionen und der Verwaltung die irregulär Anwesenden an private HelferInnen.
1. Von einem Nichteintretensentscheid kann nicht auf Asylmissbrauch geschlossen werden
Es ist falsch, Asylgesuche, auf die nicht eingetreten wurde, pauschal als missbräuchlich zu bezeichnen.
- Frau N. aus Nepal, auf deren Asylgesuch beispielsweise nicht eingetreten wurde, weil sie keine Reisedokument und Identitätspapiere vorlegen und diese auch innerhalb von 48 Stunden nicht beschaffen konnte. Die alleinstehende schwangere Frau, eine Krankenschwester, wurde in der Heimat von Angehörigen des bewaffneten Widerstands unter Druck gesetzt, für sie zu arbeiten. Der Ehemann von Frau N., der einer anderen Religion angehört und den sie gegen den Willen ihrer Eltern geheiratet hatte, ist seit Monaten verschwunden. Frau N. fand keine kompetente Rechtshilfe. Als sie eine unbeholfene Beschwerde einreichte, verlangte die Asylrekurskommission einen Kostenvorschuss von Fr. 600.-. Ihr Gesuch, den hohen Betrag in Raten abzuzahlen, wurde abgelehnt. Heute lebt Frau N. als Sans-papiers in der Schweiz. Die nahende Geburt stellt sie vor riesige Probleme. Zu ihren Eltern, die sie wegen ihrer Mesaillance verstossen haben, kann sie nicht zurückkehren.
- Auf das Asylgesuch von Frau C. aus Sri Lanka und ihrem Baby beispielsweise wurde nicht eingetreten, weil sie bereits auf der Schweizer Botschaft in Colombo vergeblich ein Asylgesuch gestellt hatte. Auch sie hat ihren Mann verloren. Er starb bei einem Schiffsunglück auf der Flucht. Frau C. war vom Militär vergewaltigt worden, doch dauerte es lange, bis sie darüber reden konnte. Frau C. kam durch Zufall mit einer Freiwilligen in Kontakt, die nach dem Nichteintretensentscheid innerhalb von 24 Stunden eine substantiierte Beschwerde eingeben konnte. Heute ist Frau C. in der Schweiz vorläufig aufgenommen (Ausweis F).
- Auf das Asylgesuch Frau L. ist das Bundesamt für Flüchtlinge nicht eingetreten, weil sie zum zweiten Mal in der Schweiz ein Asylgesuch stellte. Sie rettete ihre Haut vor den gewalttätigen Übergriffen ihres Mannes und floh erneut in die Schweiz. Ihr Fluchtmotiv: Der Ehemann schlug Frau L. derart schwer, dass sie längere Zeit im Spital verbringen musste, als er entdeckt hatte, dass sie während ihres ersten Aufenthalts in der Schweiz ein uneheliches Kind von einem anderen Mann bekommen hatte. Nach ihrer Anzeige wurde der Mann festgenommen. Doch schon nach kurzer Zeit wurde er wieder auf freien Fuss gesetzt und verfolgte Frau L. erneut. Die Spuren der Misshandlungen waren noch gut sichtbar, als Frau L. in der Schweiz ein Asylgesuch stellte.
- Die Asylbehörde beurteilte die Identitätsangaben von Frau B. aus dem Kongo Zaïre als nicht glaubhaft. Deshalb wurden auch ihre Fluchtgründe als nicht glaubhaft eingestuft. Frau B. hatte ihre ganze Familie im Bürgerkrieg verloren und war anschliessend von kongolesischen Sicherheitskräften vergewaltigt worden. Als schwangere Frau suchte sie in der Schweiz Schutz. Sie fand keine adäquate Rechtshilfe. Frau B. und ihr Kind haben wir als Sans-papiers kennen gelernt. Als Mittel- und Obdachlose suchte sie bei einem Hilfswerk Unterstützung, das sie an Sosf weiterleitete. Viel zu spät hat sie nun die benötigte Rechtshilfe erhalten.
Zahlreiche ähnliche Fälle gelangten uns nie zur Kenntnis, da die Kontaktmöglichkeit mit Asylsuchenden in den Empfangsstellen sehr eingeschränkt ist und die Betroffenen kaum Chancen auf Gewährung einer unentgeltlichen Rechtsvertretung im erstinstanzlichen Verfahren haben. Bloss eine kleine Minderheit erhält kompetente Rechtsberatung und –hilfe.
2. Die Folgen der Gesetzesvorschläge zu den Entlastungsmassnahmen im Asylbereich
Mit Art. 27 Abs. 4 (neu) werden Asylsuchende, auf deren Gesuch nicht eingetreten wurde, nicht mehr einem Kanton zugewiesen. Gemäss Art. 44 (neu) unterstehen sie, unter Vorbehalt von Artikel 14 ANAG nach einem rechtskräftigen Nichteintretensentscheid nicht mehr dem Asylgesetz, sondern dem ANAG.
Nichteintretensentscheide haben gemäss Art. 37 innerhalb von 10 Arbeitstagen zu erfolgen und sind bloss summarisch zu begründen. Die Frist, Beschwerde gegen einen Nichteintretensentscheid zu erheben, wird gemäss Art. 108 (neu) von 30 Tagen auf fünf Arbeitstage reduziert. Bei vorsorglichen Wegweisungen (Art. 23 Abs. 2 oder Art. 42 Abs. 3), wird die aufschiebende Wirkung der Beschwerde entzogen, die allenfalls gestützt auf ein innert 24 Stunden einzureichendes Gesuch von der Asylrekurskommission (ARK) wiederhergestellt werden kann (Art. 112, Abs. 1).
Gemäss Art. 13b Abs. 1 Bst d (neu) können Asylsuchende nach einem Nichteintretensentscheid (Nichteintretensgründe gemäss Art. 32 Abs. 2 Bst. a-c oder Art. 33), unabhängig von einer allfälligen Untertauchensgefahr, inhaftiert werden.
Innerhalb von 15 Tagen sollen die Verfahren bei vermuteten Nichteintretensgründen zu Ende sein und die Asylsuchenden aus dem Asylbereich ausgegliedert und die „Illegalität“ abgeschoben werden. Die dringliche Revision orientiert sich an der in den Niederlanden im Jahr 2000 eingeführten Asylverfahrenspraxis – eine Praxis, welche in mehrerer Hinsicht völkerrechtliche Verpflichtungen verletzt.
2.1. Verletzung des Non-Refoulement-Gebots bei traumatisierten Asylsuchenden
Schwer traumatisierte Asylsuchende wie Folter- und Vergewaltigungsopfer sind in der Regel nicht in der Lage, innerhalb weniger Tage nach ihrer Ankunft einer Beamtin oder einem Beamten über ihre traumatisierenden Erlebnisse zu berichten. Es braucht oft ein Vertrauensverhältnis zu einer Bezugsperson, damit vergewaltigte und gefolterte Personen über die psychisch und physisch schmerzhaften Erfahrungen offen sprechen können.
Die Niederlande, die ebenfalls sehr rasche Verfahren durchführt (AC procedures dauern rund 4 Arbeitstage), wurde in einem Bericht von Human Rights Watch (HRW) schwer kritisiert. HRW fordert, dass die Niederlande traumatisierte Asylsuchende keinem schnellen Verfahren unterziehen. Andernfalls bestehe das Risiko, dass das Non-Refoulement-Gebot des internationalen und europäischen Völkerrechts verletzt werde. Weiterhin kritisiert HWR, dass es keine greifbaren Kriterien gäbe, auf welche Asylsuchenden nun ein schnelles oder ein normales Verfahren anzuwenden sei. In der Schweiz beruht die Zuordnung zu schnellen Verfahren auf Kriterien, die in keiner Beziehung zu den Fluchtgründen stehen (Nichteintretensgründe wie fehlende Reisedokumente, Zweitasylgesuch, bezweifelte Identitätsangaben etc).
2.2. Ungenügende Überprüfung frauenspezifischer Fluchtgründe
Tiefe Scham hindert Frauenflüchtlinge meistens, über sexuelle Übergriffe zu berichten. Frau C. aus Sri Lanka beispielsweise vermochte anlässlich ihrer ersten Befragung in der Empfangsstelle lediglich auszusagen, dass sie von Soldaten belästigt worden sei. Diese Aussage reichte nicht als Hinweis auf geschlechtsspezifische Verfolgung aus. In der zweiten Befragung kurz danach wurde sie von einem Mann befragt. BeamtInnen drücken ihr Misstrauen während den Befragungen häufig offen aus. Es bedarf aber eines Vertrauensverhältnisses oder einer Psychotherapie, damit vergewaltigte und gefolterte Personen über die verdrängten psychischen und physischen Verletzungen detailliert sprechen können. In der kurzen Verfahrenszeit gelangen frauenspezifische Fluchtgründe kaum je zur Sprache.
2.3. Keine staatlich finanzierte Rechtshilfe, kein effektiver Rechtsschutz
Im Unterschied zur niederländischen Asylverfahrenspraxis stehen den Asylsuchenden keine staatlich finanzierte RechtsvertreterInnen bei. Angesichts der kurzen Verfahrensdauer und der auf fünf Arbeitstage gekürzten Rechtsmittelfrist bei Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide lassen sich Fehlentscheide ohne unentgeltliche Rechtsvertretung an den Empfangsstellen kaum korrigieren. Ohne kundige Rechtshilfe und Rechtsvertretung und meistens ohne Kenntnis der Schweizer Landessprachen können Asylsuchende in der kurzen Zeit keine formgerechten Beschwerden schreiben, die den materiellen Erwartungen der entscheidenden Behörde entsprechen. Selbst RechtsvertreterInnen erhalten in der knappen Zeitspanne oft keine Akteneinsicht (oder keine formgerechte Entscheideröffnung); sie hingegen sind in der Lage, sich gegen behördliche Fehler zu wehren.
2.4. In Ausschaffungshaft lassen sich Rechtsmittel kaum noch ergreifen
Die vorgeschlagene Inhaftierung nach Nicht-Eintretensentscheiden, eine Art Beugehaft, macht die beschnittenen Rechtsmittel noch vollends zur Farce. Der Zugang zu Rechtshilfe und die Kommunikation mit BeraterInnen werden dadurch faktisch verunmöglicht. Insgesamt verstossen die Vorschläge nicht nur gegen die UNHCR-Richtlinien, sondern auch gegen die EMRK. Die Haftgründe sind durch den Haftzweck des Art. 5 lit. f EMRK (Sicherstellung des konkret gefährdeten Wegweisungsvollzugs) nicht gedeckt.
2.5. Die 24 Stunden-Frist zur Einreichung eines Gesuches um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist viel zu kurz und völkerrechtswidrig.
Das Gesuch um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung muss begründet sein und ist mit der begründeten Anmeldung der Beschwerde bei der ARK einzureichen. Solche Gesuche müssen in grösster Eile und meist ohne Aktenstudium geschrieben werden und haben gemäss bisheriger Praxis kaum Aussicht auf Erfolg. Die vorsorglichen Wegweisungen werden in den Empfangsstellen zu dem Zeitpunkt verfügt, in dem die Übergabe mit den Behörden der Nachbarländer bereits abgesprochen ist. Die Frage der Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs wird kaum je gebührend geprüft. Oft werden die Weggewiesenen im Nachbarland auf die Strasse gestellt, mit der Aufforderung, umgehend zu verschwinden.
2.6. Menschenunwürdige Lebenssituation nach Nichteintretensentscheiden
Mit Eintritt der Rechtskarft des Nichteintretensentscheids werden Asylsuchende zu Sans-papiers und als solche aus der Empfangsstelle entlassen. Ohne Unterkunft und Verpflegung befinden sie sich im fremden Land in einer äusserst prekären Situation. Sie werden sich in ihrer Not im besten Falle an private Institutionen und HelferInnen wenden, um nicht mit Mundraub überleben zu müssen. Private HelferInnen sind es, wie auch das Beispiel Niederlande zeigt, welche die vom Bund eingesparten Kosten zu tragen haben.
3. Keine Notstandsgesetzgebung ohne Notstand
Dringliche Bundesbeschlüsse dienen der raschen Behebung eines Notstands. Im Asylbereich kann von einem solchen Notstand keine Rede: Die Asylgesuchszahlen sind rückläufig, die Fürsorgekosten seit dem erfolgreichen Kosovo-Rückkehr-programm stabil. Es besteht somit kein zeitlich dringender Handlungsbedarf, der eine Einschränkung der demokratischen Volksrechte rechtfertigte. Das Entlastungsprogramm ist unnötig und setzt ein falsches Zeichen: Es verstärkt auf billige Art und Weise den populistischen Schlachtruf der SVP gegen den so genannte «Asylrechtsmissbrauch». Es kann nicht hingenommen werden, dass Sparmassnahmen auf dem Buckel der schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft ausgetragen werden.
Bern, den 6.5.2003