Solidarité sans frontières (Sosf) spricht sich grundsätzlich dagegen aus, dass der Bundesrat in der laufenden Asylgesetzrevision ein asylpolitisches Sparpaket im Dringlichkeitsverfahren durchsetzt. Bei den Entlastungsmassnahmen im Asylbereich geht es um zusätzliche massive Einschränkungen der Rechte von Asylsuchenden und um Zwangsmassnahmen (im ANAG), die mit Sparen nicht das geringste zu tun haben. Wir lehnen insbesondere die nachfolgenden Neuregelungen ab:
- Ausschaffungshaft nach Nicht-Eintretensentscheiden (z.B. bei fehlenden Reisepapieren, bei nicht geglaubten Identitätsangaben) von bis zu neun Monaten. In der laufenden Revision steht in diesen Fällen eine Haft von 20 Tagen zur Diskussion, wobei "der Vollzug der Wegweisung absehbar" sein muss. Der Bundesrat führt damit per Dringlichkeitsrecht eine massive Verschärfung ein, die über diejenige der laufenden Revision weit hinausgeht.
- Neue Haftgründe: AusländerInnen, die bei der Beschaffung von Reisepapieren nicht oder zu wenig mitwirken, sollen mit einer "Sicherheitshaft" bis zu neun Monaten bestraft werden können. Damit wird die Administrativhaft zur Beugehaft.
- Verpflichtung beteiligter Dritter: Bei der Beschaffung von Ausweispapieren sollen nicht mehr nur die Asylsuchenden selbst "kooperieren", sondern auch "beteiligte Dritte" aktiv mithelfen. RechtsvertreterInnen, SozialarbeiterInnen, ÄrztInnen werden damit zu Hilfskräften der Fremdenpolizei, ihre Schweigepflicht wird missachtet.
- Die Ausgliederung aus dem Asylbereich von Asylsuchenden mit rechtskräftigem Wegweisungsentscheid: Im Pauschalverfahren werden so jährlich mehrere tausend neue Sans-papiers produziert, die sich vor allem in den Städten aufhalten werden. Sans-papiers sind eine besonders verletzliche Bevölkerungsgruppe und fallen leicht der Ausbeutung und dem Missbrauch zum Opfer. Die Kosten werden durch diese Massnahme lediglich auf die Städte, auf die Empfangsstellenkantone und auf private Dritte übertragen. Die Nothilfepauschale des Bundes kann die auf kommunaler Ebene entstehenden Probleme nicht auffangen.
- Fehlender effektiver Rechtsschutz und keine staatlich finanzierte Rechtshilfe: Angesichts der kurzen Verfahrensdauer und der auf fünf Arbeitstage gekürzten Rechtsmittelfrist bei Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide lassen sich Fehlentscheide ohne unentgeltliche Rechtsvertretung an den Empfangsstellen kaum korrigieren.
Kein Paradigmawechel im Dringlichkeitsverfahren
Einen Paradigmawechsel Hals über Kopf ins Recht einzuführen, zeugt von einem Politikaktivismus, der zu Gunsten kurzfristiger Öffentlichkeitserfolge einen gesellschaftspolitischen Scherbenhaufen in Kauf nimmt. Die in Aussicht gestellten Erfolge lassen sich nicht erfüllen, und die Misserfolge werden die asyl-feindliche Stimmung anheizen.
Es ist falsch, Asylgesuche, auf die nicht eingetreten wurde, pauschal als missbräuchlich zu bezeichnen. Schwer traumatisierte Asylsuchende wie Folter- und Vergewaltigungsopfer sind in der Regel nicht in der Lage, innerhalb weniger Tage nach ihrer Ankunft einer Beamtin oder einem Beamten über ihre traumatisierenden Erlebnisse zu berichten. Es braucht oft ein Vertrauensverhältnis zu einer Bezugsperson, damit vergewaltigte und gefolterte Personen über die psychisch und physisch schmerzhaften Erfahrungen offen sprechen können. Gemäss den "Sparmassnahmen" sind Nichteintretensentscheide in der Regel innerhalb von zehn Arbeitstagen zu treffen und nur summarisch zu begründen. Ein grosser Teil der Asylsuchenden sieht sich somit - bei ungenutzter Beschwerdefrist - 15 Tage nach dem Asylgesuch zum Sans-papiers gewandelt.
Die Niederlande, die ebenfalls sehr rasche Verfahren durchführen (AC procedures dauern rund 47 Arbeitsstunden), wurden in einem Bericht von Human Rights Watch (HRW) schwer kritisiert. HRW fordert, dass die Niederlande traumatisierte Asylsuchende keinem schnellen Verfahren unterzögen. Andernfalls bestehe das Risiko, dass das Non-Refoulement-Gebot des internationalen und europäischen Völkerrechts verletzt werde. Weiterhin kritisiert HWR, dass es keine greifbaren Kriterien gebe, auf welche Asylsuchenden nun ein schnelles oder ein normales Verfahren anzuwenden sei. In der Schweiz beruht die Zuordnung zu schnellen Verfahren auf Kriterien, die in keiner Beziehung zu den Fluchtgründen stehen (Nichteintretensgründe wie fehlende Reisedokumente, Zweitasylgesuch, bezweifelte Identitätsangaben etc).
Die dringlichen Massnahmen sehen vor, dass bereits bei Inkrafttreten im Januar 2004 eine grosse Anzahl von Personen aus dem Asylbereich ausgegliedert wird, die zum Teil schon längere Zeit in der Schweiz leben. Zur Zeit leben 15'649 Asylsuchende mit pendentem Wegweisungsvollzug in der Schweiz - davon 3'443 mit rechtskräftigem NEE ( Stand 31.5.03). Die Kosten für Nothilfe, Unterbringung und medizinische Versorgung werden hauptsächlich auf die Städte und Empfangsstellenkantone sowie auf private Dritte übertragen, selbst wenn der Bund den Kantonen während maximal neun Monaten Nothilfepauschalen entrichtet. Es müssten neue Nothilfestrukturen aufgebaut werden, was sehr kostspielig sein wird und längere Zeit beansprucht. Ohne Wohnunterkunft wie bisher werden die Ausgegliederten ihr Leben auf der Strasse fristen müssen, was in der Öffentlichkeit auf Unverständnis und Ablehnung stossen wird.
Im Einzelfallverfahren der "Härtefall"-Regelung wurden in den letzten zwei Jahren gerade mal 1'100 Sans-papiers legalisiert. Bis anhin bildeten die ehemaligen Asylsuchenden eine Minderheit unter den in der Schweiz lebenden und arbeitenden Sans-papiers. Dies würde sich mit den dringlichen Massnahmen drastisch ändern: Kantonale und städtische Institutionen sowie die bestehenden Solidaritäts-Netze aus ehrenamtlich engagierten Privatpersonen würden mit den zunehmenden Hilfsgesuchen restlos überfordert sein.
Wenn man wirklich sparen wollte…
Durch die rückläufigen Zahlen der Asylgesuche sind die Ausgaben des Bundesamts für Flüchtlinge ohnehin gesunken. Wenn der Bundesrat wirklich sparen will, gibt es dazu einen einfachen Weg: Er muss die Arbeitsverbote im Asylgesetz und weitere Regelungen aufheben, welche die Asylsuchenden künstlich in die Fürsorgeabhängigkeit zwingen. Dadurch sinken die Fürsorge- und Betreuungskosten, die den grössten Teil des BFF-Budgets ausmachen, ganz automatisch.
Ein Paradigmawechsel im Sinne von mehr Rechte für Asylsuchende wäre nicht nur demokratischer, sondern auch Kosten einsparend.
Solidarité sans frontières
Bern, den 20. Juni 2003