Am 11. Juni 2004 bestätigte der Kassationshof in Strafsachen des Bundesgerichts ein Urteil des Freiburger Kantonsgerichts gegen eine 56jährige Lehrerin, die im Jahre 2002 während dreier Monate einen türkischen Sans-papier beherbergt hatte. Der Tenor des Bundesgerichtsentscheids: Wer Sans-papiers einen Unterschlupf gewähre, erleichtere ihnen den illegalen Aufenthalt und verstosse damit gegen Artikel 23 ANAG. Dies gelte auch dann, wenn die Beherbergung nicht der Bereicherung diene. Entsprechend muss befürchtet werden, dass auch bei der Beherbergung von Personen mit Nichteintretensentscheid, also von staatlich illegalisierten AusländerInnen, entsprechend entschieden wird. Allerdings ist noch nicht geklärt, ob ein Urteil ebenso ausfallen würde, wenn die Beherbergung quasi subsidiär für verweigerte staatliche Nothilfe (gemäss Artikel 12 Bundesverfassung) erfolgt.
Zum beurteilten Fall: Die Lehrerin hatte den Mann durch das Freiburger Sans-papiers-Kollektiv kennen gelernt. Als das Kollektiv das Centre réformé in Charmey verlassen musste, hatte der 20-jährige noch keine neue Unterkunft. Aus Sorge um seine psychische und gesundheitliche Verfassung hatte sie den jungen Mann bei sich aufgenommen. Das Gericht stellt die uneigennützigen Motive der Frau nicht in Frage. Das Kantonsgericht (und zuvor der Kreisrichter) seien daher zurecht von einem minder schweren Fall ausgegangen und hätten nur eine Busse von 300 Franken ausgesprochen.
Nichtsdestoweniger sei das Handeln der Frau strafbar. Der Schlepperartikel (siehe Kasten) stelle eben nicht nur die Aktivität von tatsächlichen Schleppern unter Strafe, sondern betreffe auch andere Formen von Hilfe zur illegalen Einreise oder zum illegalen Aufenthalt. Unter den Straftatbestand des Artikels 23 ANAG falle zwar nicht jeder Kontakt zu einem illegal aufhältlichen Ausländer: Busfahrer, die Ausländer befördern, Ladenbesitzer, die ihnen Lebensmittel verkaufen oder die Betreiber eines Restaurants, wo Sans-papiers essen, seien nicht strafbar. Wohl aber Hoteliers, Vermieter oder Unternehmer, die ein Zimmer überlassen.
Umsonst hatten sich die Lehrerin und ihr Anwalt Jean-Michel Dolivo auf die Botschaft zur Einführung des Artikels Ende der 40er Jahre sowie auf die aktuelle Botschaft zum Ausländergesetz bezogen, in denen ausschliesslich von der Gefahr krimineller Schleuserbanden die Re-de ist, nicht aber von der uneigennützigen Solidarität mit Hilfsbedürftigen. Das kriminelle Einschleusen mit dem Ziel der Bereicherung sei aber nur ein besonders schwerer Fall des Art. 23, argumentiert das Bundesgericht. Der Wortlaut des Artikels sei dagegen eindeutig und erfasse auch die einfache Hilfe. Die Frau habe ausserdem gewusst, dass sich der junge türkische Sans-papiers illegal in der Schweiz aufhielt.
Zusammengefasst heisst das: StaatsbürgerInnen, denen die Solidarität mit Hilfsbedüftigen wichtiger ist als der Gehorsam gegenüber einer absurden und repressiven Ausländerpolitik, riskieren eine Strafe.